Anja Lehmann
Toben mit der Schulrektorin
Rentnerruhe ist fein. Aber doch nicht dauernd! Also lädt sich Ruth Weber fremde Kinder ein
21.03.2014

Ruth Weber, 71:

Wieso lädst du dir so was auf, haben mich manche Leute gefragt, als sie hörten, dass ich einmal im Monat einen Tag lang was mit vier fremden Kindern unternehme. Fahr doch lieber Ski, reise, geh in die Sauna, tu was für dich! Mach ich ja auch. Aber immer nur etwas für mich selber machen als Dauerzustand, das fände ich unbefriedigend. Als Rektorin einer Grundschule in Berlin-Neukölln war ich jahrzehntelang von Kindern umgeben, das hat mich geprägt, ich fühle mich mit Kindern wohl.

Moment, dachte ich deshalb nach meiner Pensionierung. Enkel habe ich nicht, da lade ich mir doch einfach andere Kinder ein: Ich habe ein Auto, in das vier Kinder passen, freie Zeit und einen großen Garten. So eine Ausstattung muss man auch nutzen. Also hole ich am Samstag oder Sonntag jeweils vier andere Kinder vor meiner ehemaligen Schule ab, wir fahren ins Museum oder in einen Freizeitpark und anschließend zu mir nach Lankwitz in den Süden Berlins.

Das Highlight ist immer der große Garten. Und ins Haus rein- und rausrennen, rauf bis unters Dach und runter bis in den Keller. Haustiere kann ich nicht bieten, aber der Pool gleicht das aus.

Kindergeschrei im ruhigen Villenviertel

Das erregt natürlich Aufsehen, wenn hier, in diesem ruhigen bürgerlichen Viertel, plötzlich Kinder mit Migrationshintergrund herumtoben. Die Nachbarn geben sich gönnerhaft und nett, ­finden sogar, dass die Kinderstimmen Leben bringen. Nur dass es manchmal wilde und „farbige“ Kinder sind, ist ihnen etwas befremdlich. Ich erkläre dann, wie sehr ich mich freue, dass die Schüler da sind. „Das sind die, auf die wir noch dringend angewiesen sein werden, weil sie uns vielleicht mal pflegen werden.“

Mir sind die Kinder aus Neukölln lieber als die aus Wannsee. Denn die würden mir erklären, dass sie einen größeren Garten und ein tolleres Schwimmbecken haben. Von den Kindern aus Neukölln höre ich höchstens mal: „Wir haben auch ein Haus, in der Türkei.“ Manchmal diskutieren wir dann: Ist man reich, wenn man ein Haus hat?

Wir machen Stockbrot oder backen Waffeln, und ich freue mich, wenn ein Schüler beim Backen ein Ei aufschlägt, etwas, das er sich vorher nicht getraut hat. Einmal saßen wir im Garten am Grill, und ein Junge fehlte. Es stellte sich heraus, dass er in der Küche alles zusammengesucht, das Brot geschnitten und den Tisch fertig gedeckt hatte. Erst musste ich lachen, aber dann erzählte er,  er müsse seiner Mutter immer das Frühstück machen und werde trotzdem oft getadelt.

Bloß kein Lieblingskind haben!

Da denke ich dann: Schade, dass du einzelnen Kindern keine Kontinuität bieten kannst. So bleibt es etwas Einmaliges, eine schöne Erinnerung. Aber wenn ich es anders machen würde, dann würde ich einige bevorzugen müssen. Und das lehne ich ab, seit ich als Kind erlebt habe, wie es ist, wenn ein Lehrer ein Lieblingskind hat. Ich bemühe mich, alle Kinder gleich zu behandeln.

Nur einmal kam ich in Versuchung, dem Wunsch der Kinder nach mehr Zeit nachzugeben. Als sie sagten: „Mensch, so ein toller großer Dachboden, da könnte man doch mal übernachten!“ Stimmt, dachte ich, warum eigentlich nicht? Aber da wäre noch mehr Organisation auf mich zugekommen. Ich möchte die Verantwortung nur für einen Tag übernehmen – das ist das, was ich einhalten kann.

Am späten Nachmittag fahre ich die Kinder direkt zu sich nach Hause zurück. Ich bin dann auch froh. Nicht weil sie mir lästig geworden wären, sondern weil alles glimpflich abgelaufen ist. Das ist meine einzige Befürchtung, dass sich hier mal jemand verletzt. Sie toben und springen ja herum, und das sollen sie auch. Dieses In-Sorge-Sein kenne ich natürlich von den Schulausflügen früher. Nur ist es etwas anderes, wenn man einen Schüler im eigenen Auto sitzen hat und der die Tür öffnet, während wir an der Ampel stehen. Das kam aber nur ein Mal vor.

Wenn ich dann wieder zu Hause bin, räume ich erst mal auf. Früher als Lehrerin hätte ich darauf bestanden, dass das alle gemeinsam machen, bevor wir den Raum verlassen. Manchmal räumen die Kinder auf, und zwar ganz ohne meine Ansage. Und sonst sage ich mir: Hier machst du keine Erziehungsversuche mehr.

Protokoll: Bernd Schüler

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