THEKLA EHLING
Lesen lernen mit dem Föhn
Bücher, die wirklich interessant sind, nehmen sogar Jungs in die Hand. Anke Leitzgen hat eine neue Reihe für Leseanfänger entwickelt: mit Spiel, Spaß und vielen Experimenten
24.04.2014

chrismon: Es gibt viele gute Buchreihen für Leseanfänger. Warum brauchen wir ein neues Konzept?

Anke Leitzgen: Wegen der Jungs. Die kommen so schwer ins Lesen. Ich habe selbst zwei Söhne, die beide nicht gern lesen, ich habe mit vielen Eltern gesprochen und oft in Schulen hospitiert. Jungen sind so kritisch. Sie schauen sich Bücher an, stellen dann fest, nö, das ist nicht für mich – und sind fertig damit. Bei Mädchen ist das grundsätzlich anders. Sie haben einfach Spaß daran, lesen zu können. Jungs sind da viel pragmatischer.

Für was interessieren sich Jungen?

Für Sachbücher. Und für Geschichten, die etwa im Fernsehen oder Kino laufen. Je komplexer die Geschichten sind, desto besser. Schon im Kindergarten kennen sich die Jungen mit „Star Wars“ aus, vor ­einigen Jahren auch mit den verschiede­nen Leveln von „Pokémon“. Wenn man ihnen dann mit einem Erstlesebuch kommt, in dem es um Hamster geht, sind sie in ihrem Verständnis, in der Literacy, schon ganz woanders und langweilen sich. Deshalb wollte ich die Jungen mit Themen packen, die sie interessieren, die auf ihrem Niveau sind und sie ein bisschen  fordern. Die aber so aufbereitet sind, dass sie sie schaffen können.

Also haben Sie Erstlesebücher für Jungen entwickelt?

Nein, meine Bücher sind für Jungen und Mädchen. Aber bei der Auswahl der ­Themen hatte ich mehr die Jungen im Blick. Ich hatte nie Angst, dass ein Thema, das Jungen interessiert, Mädchen nicht ­interessieren könnte. 

Was sind das für Themen?

Das Weltwissen! Ich habe etwa 1000 ­Themen gesammelt und dann nach einem Ordnungssystem gesucht. Und da es ja auch ums Lesenlernen beziehungsweise Lesetraining gehen sollte, war die Sor­tierung von A bis Z die logische Folge.

Was ist das Ergebnis?

26 Bücher, kleines Format, jedes in einer anderen Farbe. Auf jedem Buch steht ein Buchstabe des Alphabets. Also zum Beispiel A für Abenteuer, B für Bauen, C für Comic, D für 3-D usw. Es sind Themen, die Kinder zwischen sechs und zwölf cool ­finden. In den Büchern sieht man Kinder, die sich mit diesen Themen beschäftigen. Sie forschen, sie lernen neue Spiele kennen, sie sind kreativ, zum Beispiel bei G wie ­Gruseln, H wie Helden oder Q wie Quatsch.

Ab wie viel Jahren kann man anfangen?

Das Einstiegsalter ist fünf. Wer mit sechs, sieben schon ein bisschen lesen und handwerkern kann, kann selbst loslegen. Elternhilfe ist okay: Kinder lernen mehr, wenn sie mit Erwachsenen forschen. Aber die Bücher sprechen auch Zwölfjährige noch an. Deshalb haben wir auch Kinder ihres Alters fotografiert – Sechsjährigen bei der Arbeit zuzugucken, fänden Zwölfjährige natürlich uncool.

Wie sind Sie auf die Themen gekommen?

Manche Themen standen relativ schnell fest. „Ich“ fand ich wichtig, „Körper“ fand ich wichtig. Alles, was Kinder über sich selbst wissen können. Auch „Wetter“ war irgendwie naheliegend. Ich habe ja schon einige Selbermach- und Forscherbücher gemacht und hatte einen Themenpool. Im Internet fand ich vieles für den Experimentierbereich – weniger Deutsches, mehr aus Frankreich, Spanien, England und den USA. Ich habe aber kaum etwas eins zu eins übernommen, die meisten Ideen sind eine Kombination aus verschiedenen guten Quellen.

Mit Hilfe von Zahnstochern und getrockneten Erbsen entstehen Schiffe, Himmelskörper, Architekturmodelle - Foto: Petra Stockhausen und Anke M. Leitzgen


Welches Thema steht bei Ihnen für den Buchstaben Y?

Im Deutschen gibt es ja kaum Wörter mit Y, im Grundwortschatz 500, den Grundschulkinder lernen sollen, kommt keines vor. Im Englischen dagegen gibt es viele. Und deshalb stand dann ziemlich schnell Yes für Y fest. Das Wort kennt schon jedes Kindergartenkind.

Was lernt man da?

Es ist ein Spielebuch. Man erfährt, wie Wettkugeln, Wettwickeln, Wetthüpfen, Wettbewegen und Wettschießen geht. Man kann eine Bowlingbahn bauen, Kinder um die Wette mit Toilettenpapier in Mumien verwandeln – und wer fertig ist, schreit „Yes!“. Oder man baut einen Bindfaden­parcours, durch den man sich ganz vorsichtig bewegen muss. Die Kinder, mit denen wir das ausprobiert haben, hatten großen Spaß. Das sieht man auch auf den Bildern.

In welchen Büchern geht es ums Forschen und Experimentieren?

Klassische Forscherbücher sind Ich, Körper, Wetter, Müll, Nacht, Licht, Technik, Jupiter und Erde. In „Urzeit“ geht es um Dinosaurier, das war auch schnell klar. Das erste Experiment in diesem Buch ist die „Versteinerung“ von einem kleinen Plas­tik­­dinosaurier und ein paar anderen Dingen in Toastbrot, das man dann übrigens immer noch essen kann. Alle Bücher sind nach demselben Prinzip aufgebaut. Am Anfang jedes Experiments steht die Frage eines Kindes. Hier: „Woher weiß man, dass es früher Dinosaurier gegeben hat?“ Dann sieht man das Ergebnisfoto: In diesem Fall also die Abdrücke, die der Dinosaurier im Toast hinterlassen hat. Da weiß man also schon mal, wo das Experiment hinführen soll. Auf den nächsten Seiten sind alle ­Sachen abgebildet, die man braucht, um es selbst zu machen. Und dann wird erklärt und gezeigt, wie das geht. Erst danach folgt oft noch ein kleiner Text mit Zusatzin­formationen für Kinder, die sich schon mehr zutrauen. Aber durch diesen Aufbau sind die Bücher eben auch für Lesean­fänger schon ganz einfach zu erfassen.

Das Kind begreift also, was eine Ver­steinerung ist, indem es sie selbst macht?

Ganz genau, um dieses Begreifen geht es in allen Forscherbüchern. Es war mir so wichtig, Kindern von heute zu zeigen, dass es neben den neuen Medien auch andere spannende Dinge gibt, die ein Er­lebnis sein können. Kinder sollen die Erfahrung machen, dass sie selbst etwas bauen und bewirken können, dass sie gebraucht werden.

Warum ist das so wichtig?

In unserer Welt ist doch alles so komplett. Alles funktioniert, die Technik geht flupp, flupp. Wenn Mama nicht weiß, wo wir mit dem Auto hinmüssen, macht sie eben das Navi an. Das ist so fad. Und gleichzeitig so komplex, dass man es eigentlich nicht ­verstehen kann. Kinder bleiben dabei ­außen vor. Sie sind nicht mehr dabei, wenn etwas repariert oder hergestellt wird. Sie erleben nur das Endprodukt. Und in der Medienwelt ist auch schon alles vorweg­gedacht, da tut man auch nur scheinbar etwas. Man kann die Welt des Entwicklers nie verlassen. Kein Wunder, dass viele gelangweilt wirken.

Was setzen Sie dagegen?

Viele, viele Anregungen, und das Ergebnis ist immer das Ureigene. Nur die Richtung ist vorgegeben. So entwickeln Kinder Kompetenz. Sie interessieren sich, kommen auf neue Fragen, greifen dann vielleicht sogar zu anderen Büchern über das Thema. Vielleicht entwickeln sie sich sogar zu Experten, wissen dann sogar mehr als die Erwachsenen und werden plötzlich ernst genommen. Kinder wollen ja gut sein. Und ich wollte sie auch mit anderen Kindern verbinden – und mit Eltern. Meine Bücher regen auch dazu an, etwas zusammen zu machen, Sachen zusammen zu suchen, Erfahrungen auszutauschen, zu fachsimpeln. Wie wir es auch in unserem Team gemacht haben, bei der Entwicklung der Bücher. 



Woher wissen Sie, dass alle Spiele und Experimente funktionieren?

Wir haben immer wieder überprüft, ob sie funktionieren und vor allem auch einfach genug sind. Und die Kinder haben sie ausprobiert. Alles sollte so schlank wie möglich, so unkompliziert wie möglich und so effektvoll wie möglich sein. Wichtig war uns auch, dass die Dinge fast nichts kosten. Und dass man sie im Haushalt hat, so dass man etwa an einem Regentag sofort darauf zugreifen kann. Außerdem ist immer ein Spiel oder Experiment im Buch, dass man ganz alleine machen kann, eins, das sich für einen Kindergeburtstag eignet und eins, dass im Unterricht funktioniert.

Ist nie was schiefgegangen?

Alles ist supergeprüft. Aber trotzdem. Jeder, der schon einmal etwas nach Anleitung gemacht hat, weiß, dass es nicht immer auf Anhieb klappt. Es gibt zum Beispiel auch ein Kreativbuch „Farbe“. Da klebt man Wachsmalstifte auf ein Papier, das an einer Wand hängt, und föhnt sie. Das Bild, das entsteht, ist spektakulär. Aber nicht alle Wachsmalstifte verhalten sich gleich. Manche zerfließen auf Anhieb, bei anderen dauert es länger. Das habe ich aber auch dazu geschrieben. Forscher brauchen Geduld.

Woher kommen die vielen fotografierten Kinder in den Büchern?

Es sind ungefähr 70, zwischen sechs und zwölf Jahre alt. Am Anfang habe ich mal eine offene Ganztagsschule angeschrieben. Darüber haben wir viele kennen­gelernt. Aber es sind auch Kinder von Freunden und aus der Nachbarschaft dabei. Mit ­Kindern zu arbeiten ist ein Freude. Zu ­sehen, wie klug sie sind, wie professionell, wie konzentriert. Ich habe aber oft danach von Eltern gehört, dass die Kinder in der Schule schlecht sind und nicht aufpassen. Davon habe ich nichts gemerkt. Ich glaube, sie haben gespürt, dass es um etwas geht, dass ein Buch entsteht. Wenn es ernsthaft um etwas geht, lässt das kein Kind kalt. Deshalb haben wir jetzt auch noch ein großes Workshopkonzept entwickelt. Mit Themen, die Kinder entflammen, die sich sonst vielleicht langweilen.

Wie reagieren die Eltern auf die Bücher?

Ein Vater, der neulich die Zaubertricks aus „Zaubern“ vorgeführt hat, sagte: Eltern brauchen Bücher, die Kinder begeistern. Mütter sagen oft, oh, das sieht aber toll aus, das müssen wir unbedingt auch mal machen, Väter lieben eher die technische Herausforderung. Es wäre schön, wenn meine Bücher die Familien verbindet. 

Wie wichtig war Ihnen die Ästhetik der Bücher?

Für Kinder nur das Beste, da waren wir uns im Team einig. Die Bücher sind ein Gesamtkunstwerk. Frische Farben, aber auch keine Angst vor Schwarz und ­immer ganz klar. Jede Seite ist durchdacht und jedes Detail liebevoll ausgedacht. Und Kinder sind ja immer schön. Begeisterte umso mehr. Wir haben sie einfach nur ­fotografiert.

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