Maren Amini
Betriebsräte bilden und sich gewerkschaftlich organisieren, streiken – das ist vielen kirchlichen Angestellten untersagt. Die Dienstleistungs­gewerkschaft Verdi fordert: Schluss mit dem eigenen Arbeitsrecht für Kirchen!
Ein Interview mit Verdi-Vorstandsmitglied Sylvia Bühler.

chrismon: Das Grundgesetz räumt den Kirchen ein, „ihre Angelegenheiten selbst zu ordnen und zu verwalten“. Sie dürfen sich deshalb als Dienstgemeinschaft verstehen und in ihrem Arbeitsrecht regeln, dass Tarifstreit in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen friedlich gelöst werden muss. Was haben Sie dagegen?

Sylvia Bühler: Ich kann nicht erkennen, warum das, was bei Arbeiterwohlfahrt, Deutschem Roten Kreuz und im öffent­lichen Dienst selbstverständlich ist, in den Kirchen nicht gelten soll. In kirchlichen Einrichtungen dürfen Angestellte keine regulären Betriebsräte bilden und sich von den Gewerkschaften vertreten lassen. Auch die Arbeitgeber in privaten Einrichtungen gucken ja kritisch, was da passiert. Kein privater Arbeitgeber darf selber entscheiden, wie die Arbeitsbedingungen sind. Sonst gäbe es ja noch schlimmere Verwerfungen, als wir sie heute schon ­haben. Wir wollen im Sozial- und Gesundheitswesen ein gerechtes Einkommen und gute Arbeitsbedingungen. Die Kirchen sind die zweitgrößten Arbeitgeber nach dem Staat. Dadurch haben sie auch eine große gesellschaftliche Verantwortung.

Warum kämpfen Sie gerade jetzt für das Ende dieses sogenannten Dritten Weges, also der gemeinsamen Verhandlungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern über die Arbeitsbedingungen?

Weil die Branche in den vergangenen zehn Jahren einen erheblichen Wandel durch­gemacht hat. Sie ist in weiten Teilen einem vollen Wettbewerb ausgesetzt. Das Prinzip Dritter Weg hat ja in den 30 Jahren zuvor so funktioniert: Wir Gewerkschaften ­haben im öffentlichen Dienst Tarifver­träge abgeschlossen, und die Kirchen haben sie eins zu eins übernommen. Das ist zunehmend nicht mehr der Fall. Die Kirchen haben immer mehr Ausnahmeregelungen getroffen. Manche Einrichtungen von Diakonie und Caritas waren maßgeblich daran beteiligt, den Wettbewerb über ­einen Preiskampf anzuheizen und nicht über die Qualität der Arbeit. Damit haben sie erheblich zum Druck auf die Löhne ­in der Branche beigetragen. Sie haben Arbeitsbereiche aus ihren Einrichtungen aus­gegliedert und die Arbeit von privaten Arbeitgebern zu schlechteren Arbeitsbe­dingungen erledigen lassen. Dienstgemeinschaft in den Kirchen heißt seither: Einige gehören zu uns, andere nicht mehr. Sie ­haben Festangestellte durch Leihar­beiter ersetzt. Sie haben in Werkverträgen schlechte Löhne durchgesetzt. Sie haben die ganze Palette der Möglichkeiten genutzt, die wir in der Privatwirtschaft auch kennen. Und ich ­finde es schon beschämend, dass Beschäftigte  im Sozial- und Gesundheitswesen staatliche Lohnzuschüsse brauchen, um ihre Exis­tenz bestreiten zu können.

Und dem wollen Sie mit einem flächendeckenden Tarifvertrag entgegentreten?

Ja, sicher. Wir wollen, dass die Arbeitsbedingungen überall in der Branche Gesundheit und soziale Dienste vergleichbar sind und der Wettbewerb doch bitte nicht weiter auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird. Das schadet allen: den Beschäftigten und besonders denen, die auf Hilfe angewiesen sind.

Haben Sie grundsätzlich etwas dagegen, dass die Kirchen im Sinne des Grundgesetzes ihre eigenen Angelegenheiten selbstständig regeln?

Nein, selbstverständlich können sie das tun. Wir haben überhaupt kein Problem damit, wenn es um Verkündung, Seel­sorge und spirituelle Fragen geht. Aber ­die Arbeitsbeziehung ist doch keine eigene Angelegenheit der Kirchen. Sie ist zumindest eine gemeinsame Angelegenheit und ganz zuvorderst die der Beschäftigten. In vielen Bereichen und Landstrichen haben Beschäftigte gar keine Wahl, bei welchem Träger sie arbeiten, wenn sie einen sozialen Beruf gewählt haben, weil es dort nur kirchliche Einrichtungen gibt. Auch ihnen müssen volle Rechte als Arbeitnehmer­innen und Arbeitnehmer zustehen. Dazu gehören von Gewerkschaften geführte Tarifverhandlungen und eine Interessensvertretung mit den gleichen Rechten wie in weltlichen Einrichtungen.dagegen?

Bislang galt beim Dritten Weg das Konsensprinzip: Arbeitgeber und Angestellte klären alle Fragen einvernehmlich, ohne Arbeitskampf. Was spricht 

Wenn die Kräfteverhältnisse stimmen und sich beide Seiten einig sind, nichts. Aber es gibt ja auch bei kirchlichen Betrieben und Einrichtungen unterschiedliche Interessenlagen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Die Kirchen sprechen etwa individuelle und betriebsbedingte Kündigungen aus. Und sie nutzen das Disziplinarrecht genauso wie weltliche Arbeitgeber auch. Genau dafür hat der Gesetzgeber Gesetze geschaffen, nämlich die Mitbestimmung. Und er hat den Tarifvertragsparteien aufgegeben, Arbeitsbedingungen festzulegen – auf Augenhöhe.

Sie wollen also kirchliche Einrichtungen bestreiken dürfen?

Es geht uns ja in erster Linie nicht darum, dass wir streiken wollen, sondern um die Möglichkeit, streiken zu dürfen. Der Streik ist das letzte Mittel, das bleibt, wenn die Interessen der Beschäftigten am Verhandlungstisch nicht ­adäquat berücksichtigt werden. Dann müssen die Beschäftigten ihrem Arbeitgeber gegenüber zeigen, dass es ihnen ernst ist. Und da hat sich das Mittel des Streiks in den vergangenen 40 Jahren auch in Deutschland gut bewährt. Wenn die Kirchen weiterhin gute Arbeitgeber sein wollen, geben sie keinen Anlass zu streiken. Das ist doch das Beste: Wenn man am Verhandlungstisch miteinander einen guten Ausgleich findet.

Wie läuft so eine Verhandlung ab?

Die Gewerkschaft berät ihre Forderung zu Beginn mit ihren Mitgliedern und beschließt sie dann in einer Tarif­kommission: Wie hoch müssen die Löhne steigen, welche Arbeitsbedingungen müssen verbessert werden, welche Regelungen brauchen wir in einem Tarifvertrag. Dann übermitteln wir dem Arbeitgeber diese Forderun­gen, und die Arbeitgeber erwidern und stellen ihre Bedingungen. Und dann geht man in Verhandlungen und sucht nach einem fairen Kompromiss. Wenn dieser Kompromiss am Verhandlungstisch nicht gefunden wird, kann über betriebliche ­Aktionen Druck während der Verhandlungen ausgeübt werden. Als weitere Eskalations­stufen sind dann Warnstreiks bis hin zum Erzwingungsstreik möglich. Aber noch einmal, das ist das letzte Mittel, wenn wir am Verhandlungstisch zu keiner Lösung kommen. So lange uns aber kirchliche Arbeitgeber sagen, wir suchen nicht den Konflikt, wir wollen den Konsens, ist das eine gute Voraussetzung für Tarifverhandlungen.

Und Sie haben den Streik als Drohmittel.

Welche Möglichkeit haben denn Beschäftigte, um auf Augenhöhe mit Arbeitgebern zu verhandeln, wenn nicht das Streikrecht? Alles andere ist kollektives Betteln, dafür stehen wir nicht zur Verfügung. Wir wenden uns im Übrigen auch nicht grundsätzlich gegen eine Schlichtung, da gibt es viele gute Beispiele, wo das funktionieren kann. Was wir allerdings nicht akzeptieren, das ist eine Zwangsschlichtung, wo am Ende ein Dritter über die Interessen der Beschäftigten entscheidet. Wo eine gute Kompromisslinie liegt, das müssen die Beschäftigten selbst entscheiden.

Bislang hieß es vom Dritten Weg, dass die Kirchen die mit den Gewerkschaften ausgehandelten Tarife übernehmen und sogar noch etwas draufgeben.

Das ist mir nicht bekannt. Mal abgesehen davon, dass man sich im konkreten Fall ganz genau ansehen muss, was womit verglichen wird: Ab wann gilt eine Lohn­erhöhung, und welche Sonderzahlungen werden wann wie bezahlt? Und wenn die Kirchen den Abschluss im öffentlichen Dienst zum Beispiel erst ein paar Monate später nachvollziehen, und für einige Berufsgruppen auch nicht in voller Höhe, dann sparen sie natürlich gegenüber den öffentlichen Einrichtungen. Dass in den Kirchen besser bezahlt wird als in unserem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst, der immer noch als Leitwährung gilt, ist schlicht falsch.

Aber insgesamt werden die kirchlichen Mitarbeiter doch besser bezahlt als die in den privaten Pflegeeinrichtungen!

Mit Sicherheit gibt es da unter den pri­­va­ten Einrichtungen große Ausreißer nach unten. Die gilt es gemeinsam mit den Kirchen einzufangen. Es kann nicht sein, dass ein so wichtiger Bereich wie die Pflege zum Billiglohnbereich verkommt. Im Gegenteil, die Beschäftigten erledigen da einen Knochenjob, und sie erfüllen eine gesellschaftlich sehr wichtige Aufgabe. Das muss man anerkennen und wertschätzen. Und Wertschätzung und Anerkennung haben auch sehr viel mit einer guten leistungsgerechten Vergütung zu tun. Da sind wir gerade als Gewerkschaft in einem heftigen Abwehrkampf, und ich wünsche mir, dass die Kirchen uns tatkräftig unterstützen. Das könnten sie gut, wenn sie mit uns einen Tarifvertrag abschließen, den wir dann für allgemeinverbindlich erklären.

Auch der Dritte Weg sieht kirchliche Mitarbeitervertretungen vor. Was können Sie, was die nicht können?

Das A und O ist natürlich, dass Beschäftigte erst mal wissen müssen, was man in Verdi und mit Verdi gemeinsam machen kann. Wir handeln ja nicht nur Tarifverträge aus, wir beeinflussen auch Politik im Interesse von abhängig Beschäftigten.

Wollen die kirchlichen Mitarbeiterver­tretungen denn Ihre Unterstützung?

Zum Teil haben das die Mitarbeitervertretungen so angefragt, sofern dort Mitglieder bei Verdi sind. Das sind aber nicht alle.

Für wie viele kirchliche Angestellte ­sprechen Sie?

Mehrere Zehntausend, gemessen an der Zahl von 1,3 Millionen Beschäftigten viel zu wenige! Aber bis zum Urteil des Bundesarbeitsgerichtes am 20. November 2012 ­hatte ich als Repräsentantin einer wichtigen Gewerkschaft noch nicht einmal ein Zugangsrecht zu kirchlichen Einrichtungen. Ich hätte dort auch gar nicht über unsere Arbeit informieren und Menschen dafür begeistern können, sich uns anzuschließen. Das hat erst das Urteil des Bundesarbeitsgerichtes von 2012 ermöglicht.

Kann es sein, dass Sie neue Gewerkschaftsmitglieder haben wollen?

Wir gucken anders drauf. 1,3 Millionen kirchliche Beschäftigte stehen außerhalb unserer Tarifverträge. Wenn wir etwa im öffentlichen Dienst Verhandlungen führen, schauen die Kirchen am Ende auf den Abschluss und sehen, welchen Teil sie übernehmen wollen. Aus dieser Zuschauer­rolle dürfen die Beschäftigen jetzt raus und ihre eigenen Interessen in die Hand nehmen. Mitbestimmung und Tarifverhandlung sind ja die sehr konkrete Umsetzung der Demokratie im Betrieb. Kirchen sind doch kein demokratiefreier Raum! Deshalb ist es jetzt überfällig, dass wir das weltliche Arbeitsrecht bei den Kirchen einziehen lassen und die Beschäftigten ihre Interessen in die eigene Hand nehmen dürfen. Das unterstützen wir mit unserer Erfahrung. Wenn wir dabei Beschäftigte überzeugen können, Mitglied bei Verdi zu werden, freut uns das.

Halten Sie es grundsätzlich für sinnvoll, wenn sich die Kirchen im Pflege- und Krankenhausbereich als Arbeitgeber betätigen?

Ja, natürlich. In Deutschland hat das eine lange Tradition und das ist auch gut so. Aber die Politik hat nun einmal entschieden, den Bereich der sozialen Arbeit, auch der kirchlich organi­sierten, dem Wettbewerb zu überlassen. Darauf müssen wir gemeinsam die passenden Antworten finden, damit es nicht zu weiteren Verwerfungen kommt. Da sind die Kirchen gefordert, ihrer Verantwortung gerecht zu werden, und da stehen wir gerne bereit, gemeinsam Politik zu machen. Der Druck ist überall enorm: Die Personal­decke ist viel zu dünn, das Sparen im Personal- und Gesundheitswesen hat gefährliche Formen angenommen. Da sind wir gemeinsam aufgerufen, dem etwas entgegenzusetzen und der Schmutzkonkurrenz, die es zum Teil im privaten Bereich gibt, gemeinsam Einhalt zu gebieten.

Warum haben Sie überhaupt gegen die evangelische Kirche geklagt?

Diakonische Einrichtungen, in denen wir Streiks organisiert hatten, wollten uns ­dies untersagen. Der Instanzenweg führte uns bis zum Bundesarbeitsgericht. Die ­juristische Auseinandersetzung ist letztlich die Folge von Auswüchsen in einzelnen Einrichtungen. Die Kirchen entfernen sich vom alten Prinzip, sich um alle Beschäftigten zu kümmern. Gewerkschaftlich orga­nisierte Kolleginnen und Kollegen haben uns gesagt, wir müssen jetzt dieses Thema in Angriff nehmen, wenn wir nicht zulassen wollen, dass Kirchen den Dritten Weg als Wettbewerbsvorteil im Sozial- und Gesundheitswesen ausnutzen.

Sind Sie mit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom November 2012 zufrieden?

Es erlaubt ja den Gewerkschaften, zum Streik aufzurufen, wenn sie an Tarifverhandlungen nicht beteiligt wurden.
Es hat ein paar gute Ergebnisse gebracht. Zum Beispiel, dass wir nun ein Zugangsrecht zu kirchlichen Einrichtungen haben. Auch trägt das Urteil den kirchlichen Einrichtungen auf, einen schonenden Ausgleich zwischen den Rechten der Arbeitnehmer und den Rechten der Kirchen zu suchen. Solange dieser Ausgleich nicht gefunden ist, gilt faktisch das Streikrecht. Das bedeutet aber auch, dass letztlich doch die Kirchen darüber entscheiden, in welchem Umfang den Beschäftigten demokratische Grundrechte gewährt werden. Damit sind wir nicht einverstanden, weil das in der Kirche nicht in dem Sinne umgesetzt wird, wie wir das erwartet hätten. Deshalb hat Verdi das Bundesverfassungsgericht angerufen.

Gewerkschaften und Spitzenvertreter der Kirchen sprechen auch außerhalb der Gerichtssäle miteinander, oder?

Aber sicher doch. Das wäre ja schlimm, wenn nicht. Und manches passiert auch nicht öffentlich, damit wir besser vorankommen. Wir haben ja viele Themen, die wir miteinander vorantreiben können. Wir kämpfen gemeinsamen dafür, sozial benachteiligte Menschen besserzustellen. Wir wollen beide, dass soziale und gesundheitliche Dienstleistungen besser finanziert werden. Gemeinsam haben ­wir erhebliche Überzeugungskraft, ­be­sonders gegenüber der Politik.

Kirchen und Gewerkschaften haben viele gemeinsame Interessen. Umso erstaunlicher, dass es an dieser Stelle so knirscht.

Genau. Wir wollen, dass es we­ni­ger knirscht. Dass es zur Normalität wird, wenn wir mit den Kirchen Tarifverträge abschließen, und dass wir gemeinsam ­die Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigen im sozialen Bereich gut regeln.

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Plain text

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
Wählen Sie bitte aus den Symbolen die/den/das LKW aus.
Mit dieser Aufforderung versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt.