Foto: Markus Böttcher
Auslandspfarrer Markus Böttcher mit einer E-Mail aus Guatemala
26.10.2014

Zuerst fahre ich zum reichen Cash. Die wahrscheinlich größte Pfingstkirche Guatemalas steht am Rande der Hauptstadt, wo sich viele Wohlhabende ein Haus gebaut haben. Sie heißt Casa de Dios, Haus Gottes, das Logo ist eine blaue Hand, die als ein Dach geformt ist. Aber das Haus Gottes sieht wie ein Stadion aus. Rundherum stehen tausende Luxus- und Mittelklassewagen. Ich betrete den halbrunden, vollen Saal, eine Ordnerin führt mich zu einem Platz. Hier passen, sagt man, 12.000 Menschen hinein. Scheinwerfer an der Decke, überhaupt eine angenehme Beleuchtung, Kameras an der Seite, vorn eine halbrunde Bühne, eine große Leinwand und mehrere kleine. Eine Band spielt. Der Gottesdienst, oder vielleicht besser: die Show, läuft schon eine Stunde. Angefangen hat es mit einem halbstündigen Lobpreis-Teil. Laute Musik, 12.000 Menschen mit erhobenen Armen. Jetzt wird ein kleiner Film eingespielt, Interviews mit Mitgliedern der Gemeinde, professionell gemacht, wie alles hier. Und dann kommt Pastor Cash Luna, die Legende, auf die Bühne. Er heißt eigentlich Carlos, wirkt jung und ist sehr gut angezogen. Man sagt, er hätte Kommunikationswissenschaft studiert. Andere, er hätte vor kurzem noch Autos, dann Hemden verkauft. Wieder andere, er würde jeden Montag im teuren Hotel Camino Real zu Mittag essen. Im Gesellschaftsteil eines Magazins sieht man seine beiden erwachsenen Söhne – ihre Kleidung wird mit der von Fußballstars und Schauspielern verglichen. Warum nennt er sich Cash? Die, die ich frage, versichern mir, dass Cash nicht mit ä ausgesprochen wird, sondern mit a, eine Koseform von Carlos. Aber alle, die so antworten, haben dabei ein schelmisches Leuchten in den Augen.

Die Predigt beginnt er wie nebenbei, wie einer, der gerade spontan etwas sagen will. Statt der Bibel hat er ein Tablet in der Hand. Wie spricht man zu 12.000 Menschen? Ganz einfach scheint das zu sein, wenn man ihn hört. Er ist Moderator, Lehrer, Nachbar, der eine Anekdote erzählt. Er hat den Charme von Thomas Gottschalk und vielleicht die Rhetorik von Guido Westerwelle. Es wird viel gelacht im Saal. Pastor Luna zitiert zahlreiche Bibelstellen. Und das ist ganz und gar nicht trocken. Jedes Zitat eine Performance. Der Text erscheint auf den Leinwänden, im Hintergrund ein Landschaftsbild von Guatemala im Abendlicht. Es geht um die Wiederkunft Christi. Cash Luna sagt: „Matthäus 24, Vers 36: Von dem Tage aber und von der Stunde weiß niemand, auch die…“ jetzt macht er eine Pause und schaut seine Tausendschaften an. „Wer?“ fragt er. Spärliche Antworten aus dem Zuschauersaal. Er macht einen Witz, alles lacht. „Na, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein…“ Wieder schaut er erwartungsvoll und etwas kokett. „Sondern allein, na?“ – „Der Vater“ schallt es nun deutlich aus den Reihen. Der Pastor lächelt, ein zufriedener Lehrer. So arbeitet Cash Luna. Vor zwanzig Jahren begann es in einem Wohnzimmer mit zwanzig Leuten, heute sind es Zwölftausend, zu denen er spricht. Und er erreicht die vielen ebenso spielend wie früher die wenigen. Die Leute fühlen sich zuhause in der Casa de Dios.

Wie ist die Kirche so reich geworden? Die Leute geben den Zehnten. Und die meisten hier scheinen gut zu verdienen. Außerdem müssen die Ableger-Kirchen wie bei einem Francise-Unternehmen einen Teil der Einnahmen an „Cash“ (mit a!) abgeben. Ein Freund sagt mir: „Natürlich gibt es viele Geschichten über Cash. Eine junge Frau hat ein krankes Kind. Sie brachte es aus Geldmangel nicht ins Krankenhaus. Weil sie zuerst den Zehnten geben muss. Das wird erzählt. Aber gleichzeitig ist er ein exzellenter Motivator. Die Leute gehen nach Hause und fühlen sich stark. Sie haben den Mut, Dinge zu tun, die sie vorher nicht getan hätten. Cash Luna hat das Leben der meisten Familien, die zur Casa de Dios gehören, tatsächlich verändert.“ Nachdenklich fahre ich nach Hause. Cash Luna: geldgieriger Halsabschneider oder Motivator, der den Leuten mit dem Tablet voller Bibelstellen Mut zum Leben macht? Ja, sicher beides.

In Guatemala gibt es eine unüberschaubare Menge von Pfingstkirchen. Man spricht von 200-300 eigenständigen Kirchen. Mit Ablegern oder ohne.  Mega-große wie Casa de Dios und kleine, die in Baracken in den Siedlungen der Armen ihre Gottesdienste feiern. Etwa 50 % der Gläubigen, und in Guatemala bezeichnen sich über 90 % als gläubig, gehören einer evangelischen (also: Pfingst-) Kirche an. Was in Guatemala evangélico heißt, hat nichts mit dem zu tun, was Deutsche unter evangelisch verstehen. Liturgie, Predigt, Theologie, Einnahmen – alles ist anders. Tradition spielt keine Rolle, allein der Moment zählt. Und, vorsichtig gesagt, der wirtschaftliche Erfolg der Christen spielt in der Verkündigung eine gewisse Rolle.

Und nun geht’s zum armen Byron. Er ist Pastor der kleinsten evangelischen Gemeinde, die ich kenne. Um ihn kennenzulernen, fahre ich mit Annemarie Sandovál, einem Mitglied meiner Gemeinde, auf ihre Finca in der Region Zacapa im Osten des Landes, nahe der honduranischen Grenze. Auf dem Weg zum Zentrum des knapp 600 Hektar großen Landgutes – „siehst Du die Berge dahinten? Bis dahin geht die Finca“ – fahren wir mit dem Pickup etwa 30 Mal durch ein Flüsschen, sehen einen Wasserfall, geht es vorbei an Kaffeepflanzen und Bananenstauden. Wir passieren ein Dorf, deren Einwohner auf der Finca arbeiten. Jeder Arbeiter bekommt 80 € im Monat, das ist unter dem Mindestgehalt. Aber jede Familie bekommt auch ein Stückchen Land, wo man Mais und schwarze Bohnen für den Eigenbedarf anbaut. Etwa 30 Kinder umringen das Auto und rufen: Doña Ani! Doña Ani gibt jedem Kind einen Bonbon. Wir fahren weiter, es kommt ein zweites Dorf. Für beide Dörfer gibt es eine Grundschule. Der Lehrer wird von Annemarie bezahlt. Am Eingang des Dorfes steht eine Kirche. „Das war die katholische Kirche. Aber der Pfarrer kam nur zweimal im Jahr, die Leute sind mittlerweile alle evangelisch geworden.“ Die evangelische Kirche ist weiter unten im Dorf, da gehe ich abends hin. Es ist Freitag.

###autor### Die kleine Kirche ist ein Schuppen. Innen sitzen schon 20 Leute auf Plastikstühlen. Vorn rechts liegen drei Kinder unter einer Decke auf dem Boden. Sechs unruhige Füßchen schauen heraus. Vorn an der Wand ein Gewirr von Kabeln, eine Neonlampe, ein Pult, ein Kreuz, Plastikblumen, eine Gitarre, Lautsprecher. Ohne Verstärkung geht es auch in der kleinsten evangelischen Kirche nicht. Ich sitze vorn neben dem Pastor Byron Reyes und seiner Frau. Sie sind jung, haben noch keine Kinder. Sie sind einfach, aber ordentlich gekleidet. Die Gemeinde gehört zur „Iglesia de Dios Evangelio Completo“ („Kirche Gottes vom erfüllten Evangelium“), einer Pfingstkirche, die etwa 230 Gemeinden in Guatemala hat. Einer macht eine Mikrofon-Probe mit den Worten „Halleluja, Gloria a Dios“. Dann tritt eine junge Frau ans Pult und sagt: „Ich möchte euch ein Lied singen.“ Ein Gitarrist begleitet. In Guatemala trauen sich viele Leute, vor anderen zu reden oder zu singen. Singen wird hier nicht gelernt sondern einfach getan. Es klingt meist etwas schief und das Mikrofon macht es nicht besser. Dann kommt eine ältere Frau und singt auch. Und dann noch jemand. Die anderen hören zu. Das ist der Lobpreis-Teil. Es wird immer nur vor-, nie mitgesungen. Das Vorsingen ist eine Art Zeugnis. Männer singen nicht. Die Kinder unter der Decke sind eingeschlafen.

Dann werde ich aufgefordert, nach vorn zu gehen. Ich kenne einige spanisch-sprachige Lieder und probiere es mit Dios está aquí, „Gott ist hier“. Ich lade zum Mitsingen ein, es funktioniert. Das Mikrofon habe ich weggedreht, geht auch so. Dann predigt Pastor Byron. Er predigt nicht schlechter als Cash Luna, nur nicht mit Tablet, sondern mit der abgegriffenen Bibel in der Hand, die er immer wieder an anderer Stelle aufschlägt. Und zwischendurch: „Halleluja, gelobt sei Gott“. „Amén“, respondiert die kleine Menge. Er redet nicht lange, die Leute sind müde von der Kaffeeernte. Ab und zu wird er laut, dann schallt es laut aus der Gemeinde zurück. Auch Byron ist ein Motivator. Er predigt nicht vom Geld, wozu auch. Hier gibt es keine Aussicht auf wirtschaftlichen Erfolg. Byron redet auch nicht wie ein Theologe. Doch ich nehme ihm sein Feuer für den Glauben ab. Beim Gebet dankt er Gott für den Besuch des Pastors aus Deutschland und bittet um Gottes Segen für meine „Iglesia“.

Dann gibt es Abendbrot bei Doña Ani. Die Frau des Lehrers serviert. Später muss sie noch die eigenen Kinder ins Bett bringen. Auch Annemaries Sohn Arturo ist da, der selbst schon Großvater ist. Wir sprechen über Byron, der sich als neuer Pastor vor einem halben Jahr bei ihm vorgestellt hätte. Er bekommt kein Geld von der Finca. Aber die Leute geben ja den Zehnten. Wenn nur zehn Familien bezahlen, hat er schon so viel, wie die anderen bekommen, 80 €. Arturo hat ihm gesagt, er solle bitte keinen Aufruhr predigen und dass sie nicht so viel trinken mögen. Aber da muss er keine Sorge haben. Evangélicos predigen keinen Aufruhr, weder Cash Luna noch Byron Reyes. Und der Alkohol ist eh verpönt.

Der reiche Cash und der arme Byron. Mir sind beide fremd geblieben – aus entgegengesetzten Gründen. Der eine in seinem Reichtum, der andere in seiner Armut. Aber wer mich mehr überzeugt hat, das ist nicht schwer zu erkennen.

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