Christiane Paul und Sven Plöger
Sebastian Arlt
Man müsste mal...
Die Schauspielerin und der Wetter-Mann über den Klimawandel, was da eigentlich passiert – und was wir tatsächlich tun können
Portrait Anne Buhrfeind, chrismon stellvertretende ChefredakteurinLena Uphoff
Tim Wegner
27.05.2014

chrismon: Frau Paul, wir haben Sie heute Morgen von Berlin nach München geflogen – für ein Gespräch über den Klimawandel...

Christiane Paul: Ja, das ist mir auch bewusst geworden vorhin, als ich am Flughafen stand und Massen an Menschen zusammen mit mir in den Flieger stiegen. Alle wollen sich ohne großen zeitlichen Aufwand treffen. Wer sich mit dem Klimawandel auseinandersetzt, lebt in einem Widerspruch.

Sven Plöger: Ja. Heute waren es für mich zwar nur 700 Meter mit dem Fahrrad, aber manchmal fliege ich auch für einen Tag nach Hamburg, um dort über den Klimawandel zu sprechen.

Paul: Wir hätten skypen können. Wenn es für mich zeitlich passt, nehme ich den Zug. Ich habe mal von einem Mann gehört, der in England in einer Höhle wohnt und sein Enkelkind in den USA noch nie gesehen hat, weil er kein CO2 verursachen will. Die ­quälende Frage ist: Lebt man in so einem Extrem oder mit Kompromissen?

Plöger: Jeder hinterlässt einen ökologischen Fußabdruck. Es ist wichtig, dass mein Abdruck klein ist, ohne dass ich ganz anders leben muss als alle anderen um mich herum. Wenn ein Idealist sich in die Höhle hockt, dann ist das interessant, es bringt aber nichts. Wir müssen erreichen, dass viele Menschen von selbst klima­freundlich leben. Dafür müssen wir auch etwas am ge­samten System ändern. Allerdings interessiert das Thema die Menschen in Deutschland immer weniger: 2006 haben 62 Prozent in einer Umfrage gesagt, dass Klimawandel ein wichtiges Thema sei. 2013 fanden das noch 39 Prozent.

Paul: Nach dem ersten Report des Weltklimarates waren alle ­aufgeschreckt, damals fing ich auch an, mich mit dem Thema zu beschäftigen. Aber der Einzelne will eben doch nicht wirklich etwas damit zu tun haben. Man weiß zwar, was notwendig wäre, aber die eigenen Bedürfnisse und Gefühle sind auch stark, und so redet man sich vieles schön – kognitive Dissonanz nennt man das.

Plöger: Ich glaube, dass wir viele Jahre sehr übertrieben haben. Die Medien haben immer die extremsten Dinge hervorgehoben, die durch den Klimawandel passieren könnten. Dann sieht man draußen Sonne und 23 Grad und verliert irgendwann das Inte­resse an immer katastrophaleren Zukunftsszenarien. Mehr Sachlichkeit könnte helfen.

Es ist schon schwer zu verstehen, warum 16 Grad besser sein sollen als 23 Grad...

Plöger: In uns tragen wir noch ein Urwetter von unseren Vorfahren aus Afrika: 25 Grad finden wir am besten! Aber immer öfter 35 Grad ist eben ein Problem. Außerdem sollten wir uns wieder mehr über Regen freuen. Sonst hätten wir kein Getreide, sondern Sahara. Dass man jetzt in Norddeutschland schon Wein anbauen kann – prima. Aber woanders richtet der Klimawandel Schlimmes an.

Paul: Bei uns doch auch. Das extreme Wetter, die Fluten, die Hitze­wellen. Das sind Folgen des Klimawandels.

Plöger: Ja. Wir haben lange Zeit große Fehler gemacht. Seit der Klimakonferenz in Rio de Janeiro 1992 ist der CO2-Ausstoß ­weltweit um 53 Prozent gestiegen! Wir haben überhaupt nichts erreicht. Klimawandel ist wahnsinnig kompliziert. Man muss erklären, was da eigentlich passiert, um Menschen zu überzeugen.

Erklären Sie mal!

Plöger: Wir haben jetzt sehr oft Standwetter. Wie Standfußball. Der Jetstream in der Atmosphäre, dieses Starkwindband, schlängelt sich stärker als früher und bleibt häufiger stationär. So war es bei uns im vergangenen Winter ständig warm und in den USA ständig kalt. Außerdem fließt mehr Kaltluft nach Süden und mehr Warmluft nach Norden. Das arktische Eis zieht sich sehr schnell zurück, seit 1979 ist eine Fläche verschwunden, die so groß ist wie West- und Mitteleuropa zusammen. Stellen Sie sich vor, diese Fläche würde im nächsten Jahr in Europa einfrieren. Was das für eine Berichterstattung gäbe! Aber in der Arktis wohnt keiner, spürt das keiner. Der arktische Ozean erwärmt sich also...

Paul: Ich will das alles gar nicht wissen.

Plöger: Wenn es hoch im Norden sehr viel schneller warm wird als sonst, ist der Temperatur- unterschied zu den niederen Breiten geringer, und der Jetstream wird schwächer. So kommt es zu ­diesem Standwetter: Regen immer an derselben Stelle, Hoch­wassergefahr. Und wenn das Hoch immer an derselben Stelle steht: Dürregefahr. Wir haben das mitverursacht.

Paul: Aber denken Sie, durch das viele Erklären verändern die Menschen ihr Handeln? Manche bleiben gern bei ihrer „Man müsste mal“-Argumentation. Man müsste mal weniger Auto fah­ren, weniger Fleisch essen und so weiter. Oder sie sagen: Erst müssen die anderen. Ich habe mal einen Kellner gefragt, warum er Heizpilze vors Lokal stellt, da konterte der, nicht ganz zu Unrecht: Da sollen die Gäste mal nicht mit dem Auto kommen. Es ist schwierig, die Leute zum Handeln zu bewegen, man eckt oft an.  Wie schlägt man die Brücke zwischen Bewusstsein und Handeln?

Plöger: Viele bestreiten doch immer noch, dass es einen von uns mitverursachten Klimawandel gibt. Klimaforschung und Politik, sagen sie, stecken unter einer Decke, damit sie uns das Geld aus der Tasche ziehen können. Ökosteuer und so.

Paul: Die wirkliche Auseinandersetzung mit dem Klimawandel und die Konsequenzen, die daraus folgen, sind erschreckend. Was machen wir jetzt damit? Wie sollen wir leben? Wie verringern wir unseren Energiebedarf? Die Menschen brauchen eine An­leitung, darauf wollen Sie doch hinaus, Herr Plöger, eine Hilfe.

Plöger: Genau.

Paul: Und es ist ganz schön schwer zu sagen, was man tun kann. Weil das Thema so viel- schichtig ist. Weil manche Leute sich schon angegriffen und in ihrer Freiheit beschränkt fühlen, wenn man vorsichtig fragt, warum sie beim parkenden Auto den Motor laufen lassen. Es geht auch nicht um Rechthaberei. Sondern erst einmal darum, zu gucken, was geht und ob das etwas bringt.

Ist es so schwer, weil unsere gesamte Lebensweise betroffen ist, weil alles auf fossilen Brennstoffen beruht?

Plöger: Damit wir heute so leben können, wie wir leben, brauchen wir jeden Tag 14 Milliarden Liter Erdöl. Das meiste wird verbrannt. Das ist tragisch! Ich bin überzeugt, dass erneuerbare Energien der richtige Weg sind. Die Sonne liefert uns 6000-mal mehr Energie, als wir brauchen.

Paul: Erdöl braucht man auch, um Plastik herzustellen. In ­Spanien darf neuerdings auf den Tischen in Restaurants das Öl nur noch in Einweg-Plastikflaschen stehen, die nachfüllbaren Flaschen wurden per Gesetz abgeschafft, das ist mir unbegreiflich.

Plöger: Ja, das ist absurd! Wenn wir die Müllberge, die im At­lantik schwimmen, immer vor Augen hätten, würden wir vielleicht etwas ändern. Wir sehen auch nicht, wie Tiere gehalten und geschlachtet werden, wenn wir das sähen, würden wir kaum noch Fleisch essen. Aber dann kommt genau diese Frage: Was kann ich als Einzelner verändern? Die Menschen fühlen sich machtlos.

Paul: Es scheint einfach zu viel.

Plöger: Stellen wir uns mal das hier vor: Ich bin die Umweltsau und Sie, Frau Paul, die Umweltaktivistin. Wir leben beide nebeneinander, Sie tun, was nur geht, und ich fahre mit meinem SUV und hau das CO2 raus – am Ende haben wir beide dieselbe Welt vor der Nase. Sie haben keinen Vorteil und sehen den Erfolg Ihres Handelns nicht. Genau das fehlt uns.

Paul: Und wir haben beide nichts geschafft. Wenn nur einer sich radikal ändert, bringt es nichts. Ein Einzelner muss nicht unbedingt vegan leben. Es würde schon reichen, wenn fünf andere mal einen Tag lang auf ihre übliche Fleischportion verzichten würden. Das wäre schon fast revolutionär. Aber die meisten Leute wollen ihre Verhältnisse nicht ändern. Niemand möchte sich ein Leben ohne materiellen Wohlstand vorstellen.

Liegt es auch daran, dass man das alles nicht fassen kann, weil CO2 unsichtbar ist?

Paul: Der Smog in China ist schon ziemlich sichtbar!

Plöger: Ja, in China findet man nicht mal mehr den Bäcker im Nachbarhaus. Die politische Führung in Peking erlebt es am ­eigenen Leib. Die sehen jetzt, wie die Gesundheitskosten ex­plodieren. Deswegen gucken sie mit großem Interesse auf die deutsche Energiewende. Sie wollen wissen, ob man es anders machen kann, als immer nur Kohle zu verbrennen. Erst wenn ich es wirklich spüre, dann reagiere ich, so ist der Mensch. Aber wir hier in Europa merken ja nichts, nur die Unwetter...

Paul: Das verknüpft man nicht! Selbst Menschen, die wegen eines Flutschadens aus ihrem Haus mussten, stellen oft keinen Zu­sammenhang her. Es reicht, wenn man einen Deich baut, man macht eine symptomatische Therapie und keine kausale.

Aber selbst wenn wir verstehen würden – würden wir auch ­handeln? Wir wissen doch gar nicht, wo wir anfangen sollen.

Paul:
Hauptsache, einfach anfangen. Bei den kleinen Sachen, die man im eigenen Leben ändern kann. Nun bin ich, was Mobilität angeht, kein gutes Vorbild, weil ich wegen meines Berufs so viel unterwegs bin, aber ich versuche, die Dinge innerhalb meines Umfeldes zu verändern. Meinen kompletten Haushalt umzu­organisieren. Umweltpapier, ökologischer Stromanbieter, ökologische Waschmittel, Stand-by-Funktion ausschalten, solche Sachen. Wenn ich zu Hause in Berlin bin, fahre ich meist mit dem Fahrrad oder den öffentlichen Verkehrsmitteln. Das sind vielleicht banale Dinge, aber man kann sie ja mal anpacken.

Plöger: Das Problem liegt nicht nur in den Privathaushalten, ­es liegt am Wettbewerb, am Zwang zum Wachstum.

Paul: Ja. Wir brauchen ein Gesellschaftsmodell, das nachhaltig funktioniert und nicht nur auf Wachstum beruht. Trotzdem ist auch die Frage, was man als Einzelperson tun kann.

Plöger: Aber da passiert so wenig. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Man könnte die Waschmaschine jetzt mal nicht auf 60, sondern auf 40 oder 30 Grad stellen – ist eigentlich einfach. Aber weil man das schon immer so gemacht hat, bleibt man lieber dabei.

Ist Energiesparen die erste Maßnahme?

Plöger: Ja. Und wir brauchen noch viel mehr erfolgreiche Projekte, wo man unmittelbar sieht, dass es geht. Unsere Wettersendungen werden bei unserer Produktionsfirma Bavaria-Film jetzt praktisch klimaneutral erzeugt. Mit Hilfe von Wasserkraft und Geothermie sind die CO2- Emissionen innerhalb eines Jahres um 95 Prozent zurückgegangen. Für den Rest haben wir Kompen­sationsprojekte. Solche Projekte sind etwas zum Vorzeigen.

Sie beide werben nicht nur für klimagerechtes Verhalten, Sie verhalten sich auch selbst so. Was fällt Ihnen schwer?

Paul: Die Ernährung. Komplett auf Fleisch, Milch und Käse zu verzichten. Das sehe ich bei meinen Kindern, das funktioniert nicht so, nicht mal eine vegetarische Woche. Und ausschließlich ökologische Kleidung, das schaffe ich nicht.

Plöger: Vor zwei Jahren war ich mit Brot für die Welt in Bang­ladesch, einem Land mit 150 Millionen Einwohnern auf einer ­Fläche, die doppelt so groß ist wie Bayern, aber der Staats- haushalt ist kleiner als der von Hamburg. Da fragt man sich sofort: Wie leben wir hier in Mitteleuropa eigentlich, worüber diskutieren wir? Wir müssten da alle mal zwei Wochen hin und in so einer Textilfabrik arbeiten. Das fehlende Spüren ist ein Riesenproblem. 
Wozu hat das Spüren bei Ihnen geführt?

Plöger: Ich versuche, nur noch einmal die Woche Fleisch zu essen – obwohl ich sehr gern Fleisch esse. Und ich habe seit einem guten halben Jahr eine Solaranlage und erzeuge meinen Strom selbst, bisher schon 2,2 Megawattstunden, viel mehr, als wir seither gebraucht haben. Finanziell wird sich die Anlage bei ehrlicher Rechnung zwar erst nach 15 bis 20 Jahren amortisieren, aber derzeit bin ich täglich sehr glücklich über diese Investition...

Paul: Ich denke bei jeder Sache, die ich kaufe: Wo kommt sie her, wie ist sie verpackt? Und vor allem: Brauche ich sie überhaupt? Wenn jeder kurz innehalten und darüber nachdenken würde, wäre das ein erster Schritt zu anderem Handeln.

Plöger: Zu viele Leute behaupten immer noch, wir in Deutschland hätten schon so viel fürs Klima getan – und die anderen täten alle nichts. Wir sollen sparen, damit die immer mehr verbrauchen können, ja sind wir denn blöd? Aber jeder Deutsche emittiert elf Tonnen CO2 jedes Jahr, jeder Chinese 7,5, stark steigend. Die Inder sind bei 1,2 Tonnen. Wir müssen also 90 Prozent reduzieren, um mit denen auf einem Niveau zu diskutieren.

Was müsste man hier als Erstes entscheiden?

Paul: Die Politik muss sich unabhängig von der Industrie machen. Als die EU den CO2-Ausstoß der Autos begrenzen wollte, gab es einen Aufschrei in der Automobilindustrie. Die Bundes- regierung hat dann schnell in Brüssel interveniert – und erreicht, dass die Vorgaben aufgeweicht wurden.

Plöger: Wir brauchen mehr dezentrale Energieversorgung und nicht vier große Energie- unternehmen, die Preise und Methoden diktieren. Auf lokaler Ebene passiert schon so viel. Ich höre von Gemeinden, die sich mit ein paar Windrädern vom Strom der großen Anbieter unabhängig machen. Übrigens fanden die Bewohner die Windräder plötzlich gar nicht mehr hässlich, weil sie davon profitieren. Insgesamt diskutieren wir zu viel über den Strompreis und vergessen dabei, dass Wärme und Heizen 70 bis 80 Prozent des Energieverbrauchs ausmachen.

Schaffen wir es noch, das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen? Zwei Grad wärmer, aber mehr nicht?

Paul: Ich befürchte, wir schaffen das nicht.

Plöger: Theoretisch können wir es schaffen. Nur: Wir erreichen unsere Ziele ständig nicht. Das Kyoto-Protokoll...

Paul: Erschütternd ist das, die treffen sich jedes Jahr und sagen immer wieder: Keine Ratifizierung.

Plöger: Ja. Aber ich bin Rheinländer und mit Grundoptimismus ausgestattet. Ich glaube, dass wir in zehn Jahren einen Schritt weitergekommen sind. Der Mensch ist ein Erfolgsrezept, sonst gäbe es ihn nicht so oft. Er ist lernfähig.

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Respekt für die Offenheit, aber schade, dass Christiane Paul tatsächlich eine Flugreise unternommen hat für dieses Interview inklusive Fotos im Wald. Es wäre ein starkes Zeichen, wenn Prominente wie sie auf Flugreisen verzichten würden und Interviews dann eben via Skype oder gar nicht führen würden. Das ist nämlich der Beginn des kritisierten Wachstumszwangs: Muss ich jede Interviewanfrage, jedes Engagement mitnehmen oder ginge es auch langsamer, im kleineren Maßstab? Das Engagement von Leuten wie Niko Paech finde ich da wesentlich glaubwürdiger. Der lebt übrigens auch nicht in einer Höhle - ärgerlich, dass im Interview mal wieder unterschwellig suggeriert wird, dass man nur als Totalaussteiger etwas ändern kann. Das ist eine bequeme Ausrede, um sich nicht damit befassen zu müssen, wie man seinen CO2-Ausstoß von 11t auf etwa 6t pro Jahr reduzieren könnte.

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