Anne Lass
Ein altes Brautpaar
Eigentlich konnte sich der Witwer keine neue Partnerschaft vorstellen. Aber dann...
19.05.2014

Heinz Scheiba:

Ich war 19 und schon vergeben, als Inge und ich uns das erste Mal sahen, 1947 war das. Inge war die beste Freundin meiner künftigen Schwägerin. So kam es, dass wir über die Jahrzehnte hin aufeinander trafen, wenn Geburtstage gefeiert wurden. Wir waren uns sympathisch, aber mehr war nicht. Wir hatten ja unsere Ehepartner und ein eigenes Leben.

So blieb das bis zum Tod meiner Frau vor sieben Jahren. Ich konnte mir keine neue Partnerschaft vorstellen. Aber immer, wenn ich auf dem Heimweg vom Friedhof noch wo einkehrte und um mich herum nur Pärchen sah, die vertraut miteinander sprachen, merkte ich: Du kannst das schlecht ertragen.

Ein paar Monate nach der Trauerfeier rief Inge an, um sich nach mir zu erkundigen. Sie selbst war da schon länger Witwe. Wir gingen zum selben Sportverein, aber an verschiedenen ­Tagen. Deshalb schlug sie vor, dass wir uns zur Gymnastik ver­abreden. Irgendwann lud sie mich ein, nach dem Training bei ­ihr zu frühstücken.

Eigentlich haben wir unsere Beziehung angefangen, wie es ­früher üblich war, vor über 60 Jahren, als wir unsere ersten Ehegatten kennenlernten: Es geht nicht gleich zur Sache, sondern man kommt sich so ganz allmählich näher. Man trifft sich und wird vertrauter. Und irgendwann wird geheiratet.

Natürlich, manchmal muss man Kompromisse machen

Es vergingen sechs Jahre, bis wir zusammenzogen. Inge zog zu mir, weil meine Wohnung so zentral liegt. Wir leben jetzt in ihren Möbeln, weil die schöner sind als meine. Schwergefallen ist uns dieser Schritt nicht. Wir wussten ja schon, wie wir in unserem Wesen sind. Wir sind schließlich aus der Entfernung zusammen alt geworden. Um dieses Glück werden wir manchmal beneidet. Andere Alleinstehende in unserem Alter sagen: Mit ­jemandem zusammenzufinden, der so aus dem Nichts kommt, das ist schwierig, denn man weiß ja gar nichts über ihn.

Dass wir den anderen vielleicht mal pflegen müssen, diese Aussicht schreckte uns nicht. Im Gegenteil: Wir wissen, dass wir uns aufeinander verlassen können. Denn wir haben das beide schon mal geschafft: Sie hat ihren Mann gepflegt und ich meine Frau. 

Auch im Haushalt klappt es. Zum Putzen kommt jemand. Ansonsten sorgt Inge für Ordnung, wischt Staub und hängt die Wäsche auf. Waschen tue ich, es ist meine Maschine, da lasse ich keinen anderen ran. Wenn wir zu Hause Mittag essen, dann koche ich. Nach all der Zeit, die ich meine erste Frau versorgte, bin ich das gewöhnt. Und Inge ist das auch recht, sie wurde schon von ihrem ersten Mann bekocht.

Haben wir noch zehn Jahre, fünf oder drei?

Natürlich, manchmal muss man Kompromisse machen. Zum Beispiel esse ich nicht gern chinesisch. Aber weil ich weiß, wie glücklich ich Inge damit mache, schlage ich ihr das gern mal vor. So kommen wir immer irgendwie auf einen Nenner. Wir wollen uns die Zeit, die noch bleibt, so schön wie möglich machen. Viel haben wir ja nicht mehr. Sind es noch zehn Jahre, fünf oder drei? Wir wissen es nicht, Gott sei Dank.

Dass Inge bei mir wohnen darf, das hatte ich schon mit dem Vermieter geklärt. Aber könnte sie auch in der Wohnung bleiben, wenn mir etwas zustößt? Um das abzusichern, mussten wir hei­raten. Was würde man zu so einem alten Brautpaar sagen? ­Nun, wir wollten das mit Humor nehmen. Was mit Inge, so lebens­lustig wie sie ist, immer gut gelingt.
Die Standesbeamten lachten, als sie hörten, wie wir heiraten wollen –  heimlich nämlich. Es war an meinem Geburtstag, die ­Gäs­te hatte ich in ein Restaurant eingeladen. Wir kamen direkt vom Standesamt ins Restaurant und offenbarten uns. Da war was los! Alle fanden es ulkig. Die Freunde sagten: „Na, wird ja auch Zeit.“ Nur einer fand es schade, weil er keine Rede vorbereiten konnte.

Eigentlich hätten wir längst unsere Hochzeitsreise in die Alpen angetreten. Doch dann bekam ich es mit den Nieren zu tun. Jetzt muss ich regelmäßig zur Dialyse. Wenn ich da an das Gerät angeschlossen liege und mich umschaue, weiß ich aber auch, dass ich es gut habe. Andere hat es härter erwischt, auch weil sie allein klarkommen müssen. Wenn einer allein lebt und irgendetwas passiert – wer hilft ihm denn da? Ich bin dankbar, abends im ­
Bett zu Inge sagen zu können: „Schön, dass du da bist!“

Protokoll: Bernd Schüler

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