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Die Mönche eines Klosters auf dem Berg Athos liegen im Streit mit dem Rest der Welt. Gerichtsurteile ignorieren sie einfach. Sie haben sich vor dem Zugriff der Polizei verschanzt, ihren Patriarchen zum Häretiker erklärt. Ein Besuch bei den mit Stacheldraht eingeschlossenen Brüdern von Esphigmenou
05.03.2014

Trutzig ragen die Mauern des Esphigmenou-Klosters über die Mittelmeerbrandung. Das schwarze Banner mit dem Leitsatz  der Bruderschaft hängt wie eine mittelalterliche Kriegsstandarte schräg über dem Eingangstor: "Orthodoxie oder Tod“. Es richtet sich gegen ihren Erzfeind, Bartholomaios I., Oberhaupt der orthodoxen Christen in Istanbul. 

Ökumene ist ein Irrweg: Abt Methodius, Leiter des Klosters Esphigmenou, sieht sich als Hüter des wahren Glaubens.
Im Innenhof hockt Methodius, der Abt des Klosters, auf einem steineren Absatz, mit dem Rücken an die Kirchenmauer gelehnt. Die Hände hat er vor dem schweren Körper gefaltet. Es sitzt so da, als sei er selbst ein Teil der Anlage. „Wir sind bereit, hier für unsere Sache zu sterben“, sagt er leise und bestimmt. Beim Reden schließt er die Augenlider bis auf einen kleinen Schlitz. Es wirkt, als lese er die Worte von einer inneren Granittafel ab. Methodius ist einer von 115 Mönchen, die in dem griechisch-orthodoxen Kloster auf dem Berg Athos ihr Leben dem Kampf verschrieben haben.

Was sie für den wahren Glauben halten, gilt ihrer griechisch-orthodoxen Mutter­kirche als Extremismus. Patriarch Bartholomaios von Konstantinopel hat Metho­dius und die anderen starrsinnigen Mönche aus der Kirche ausgeschlossen und zum Verlassen der Halbinsel aufgefordert. Methodius hat dafür nur Verachtung übrig. „Der Patriarch ist ein Häretiker“, sagt er in die Stille des Innenhofs hinein. „Aber wir leben hier den wahren orthodoxen Glauben.“ Dann schweigt er. Nur das gleichmäßige Scharren eines Rechens ist zu hören. Die Situation ist angespannt. Das Kloster steht gleichsam unter Belagerung und ist abgeschnitten von der Versorgung mit Lebensmitteln.

###mehr-extern###Doch die Mönche sind ein bescheidenes Leben gewöhnt. In ihren kargen Zellen steht nichts außer einem Bett, Stuhl und Tisch. Bereits um Mitternacht stehen sie auf. Insgesamt acht Stunden beten sie am Tag, den Rest des Tages widmen sie sich ihrer Arbeit im Kloster und persönlichen Studien. Privatbesitz existiert in der Mönchsgemeinschaft nicht. Viele verlassen das Kloster nur alle paar Jahre.

Der 2000 Meter hohe Berg und die Halbinsel, auf der er liegt, ist für viele Orthodoxe, was der Vatikan für die Katholiken ist. Innerhalb Griechenlands ist es eine autonome, von den Mönchen verwaltete Republik, für deren Besuch ein Visum erforderlich ist. Nur Männer haben hier Zutritt. Die freie Mönchsrepublik besteht aus 20 Klöstern und hat eigene Statuten, deren Gültigkeit Jahrhunderte zurückreicht. In den niedrigen Kellern und Bibliotheken der Klöster hüten Mönche Kirchenschätze: Ikonen, Kruzifixe, Reliquien, Schriften.

Blick über die Barrikaden: Ambrosius, einer der jungen Mönche, schaut in den Hof des besetzten Gebäudes.
Das Kloster Esphigmenou arbeitet wie ein autarkes Dorf. Neben der Kirche steht der gedrungene Küchenbau mit dem umfangreichen Lagerraum. Im angrenzenden Wirtschaftsflügel sind kleine Werkstätten für Schuhmacher, Schreiner und Ikonenmaler untergebracht. Vor den Außen­mauern arbeiten Mönche in ihren ­schwarzen Kutten auf abgezäunten Fel­dern. Mit Spaten und Hacken machen sie sich im Gemüsegarten zu schaffen.

900 Jahre herrschte feindseliges Schweigen

Neben dem Haupttor schützt eine Mole aus Felsbrocken eine kleine Bucht mit Anlegeplätzen für Fischerboote. Obwohl es eine Landverbindung vom Athos auf die Halbinsel Chalkidiki gibt, sind die Klös­ter nur über das Meer erreichbar. Die bauchigen, gelb-weißen Boote liegen auf dem Kiel am Ufer.

„Schon unter den Osmanen und der Naziherrschaft waren unsere Klöster Widerstandszentren“, sagt Abt Methodius. „Das ist heute wieder so.“ In den Augen der Mönche ist der Patriarch der griechisch-orthodoxen Kirche vom wahren Glauben abgefallen. „Der Patriarch betet zusammen mit dem katholischen Papst. Deshalb ist er kein wahrer Orthodoxer“, sagt Methodius. Der aktuelle Streit hat eine Vorgeschichte, die bis ins elfte Jahrhundert reicht. Der Papst, so erzählt Methodius, habe 1054 ­eigenmächtig den Wortlaut des christlichen Glaubensbekenntnisses geändert, weswegen ihm der Patriarch in Istanbul die Gefolgschaft versagte. Die Kirchen­führer exkommunizierten sich gegenseitig. Die Einheit zwischen Ost und West zerbrach in Orthodoxie und Katholizismus. 900 Jahre herrschte feindseliges Schweigen.

Erst 1964 trafen sich Papst und Patriarch erstmalig wieder, um in ­Jerusalem gemeinsam zu beten – obwohl sie strengge­nommen unterschiedliche Glaubensbekenntnisse vertreten. Der Dialog provozierte Widerstand. „Das Wichtigste am orthodoxen Glauben sind die Dogmen“, sagt Abt Methodius. „An sie müssen wir uns halten.“ Seit den Siebzigern schließen sie den Patriarchen nicht mehr in ihre gottesdienstlichen Fürbitten ein. Fast 30 Jahre ließ der Patriarch die Mönche von Esphigmenou gewähren. Alle Gespräche scheiterten. Die Mönche sind davon überzeugt, im Recht zu sein. Wenn es um Gott geht, wollen sie keine Kompromisse machen.

Der Patriarch entschied, das Problem mit handfesten Mitteln lösen zu lassen. Er wandte sich an die Gerichte, gewann seine Prozesse und erklärte die Esphigmenou-Mönche zu Besetzern im eigenen Haus. Die umgaben sich alsbald mit Barrikaden und Stacheldraht, um eine Räumung zu verhindern. Die Polizei konfiszierte abgelegene Bauernhöfe und Felder des Klosters. Die Küstenwache hindert die Fischerboote am Auslaufen. Erwischt die Polizei einen Mönch außerhalb der Klosteranlage, wird er festgehalten, ausgefragt und außerhalb der Halbinsel wieder freigelassen. Eine Rückkehr ist ihnen zwar verboten, doch über geheime Pfade kehren sie immer wieder unbemerkt ins Kloster zurück.

Der Raum, in dem die Ikonenmaler sitzen.
Alles, was an Lebensmitteln und Mate­rialien nicht im Kloster hergestellt wird, muss per Boot hineingeschmuggelt werden. Die Mönche verlassen den Berg nur noch nachts. Mit einem Jeep geht es über unmarkierte Sandpisten entlang der ­Klippen zu einem Streifen Strand, von ­da an ohne Licht zu Fuß zur Grenzbefes­tigung des Berges. An einer Stelle haben die Mönche ein Loch in den Zaun ge­schnitten. Sie schlüpfen hindurch, steigen in einen anderen Jeep und lassen sich ins nächste Dorf bringen.

„Der Patriarch irrt. Er ist Teil einer neuen Weltordnung“

Aus Angst vor der Polizei fuhr ein Mönch die Strecke zum Außenzaun vor einiger Zeit im Dunkeln ohne Schein­werferlicht. Er verfehlte eine Kurve. Der Wagen stürzte die Klippe hinab. Der Mönch wurde unter seinem Auto begraben und starb.

Bruder Savas sitzt am langen Esstisch des Gesandtschaftshauses in Karyes, der Hauptstadt der Republik Athos. Das Gebäude ist die Vertretung des Klosters in der Nähe des „Parlaments“, in das jedes Großkloster einen Vertreter entsendet. Nach einer letztgültigen Gerichtsentscheidung  sollen die Mönche von Esphigmenou auch ihr Gesandtschaftshaus verlassen. Die Poli­zei will es räumen. Savas, der zugleich Assistent des Abtes ist, hat das Haus seit Monaten nicht verlassen. Auf seiner fahlen Haut erscheinen die Ringe unter den Augen, seine Falten und der schwarze Vollbart noch dunkler. „Wir scherzen immer, dass es hier schlimmer ist als im Gefängnis. Da gibt es wenigstens täglichen Hofgang“, sagt er.

Die Tür neben ihm ist vergittert und mit einem armdicken Metallriegel gesichert. Den Balkon, auf den sie führt, haben die Mönche mit NATO-Draht gesichert. Die Fenster sind verhangen. Der Strom wurde abgestellt, weswegen die Mönche Stirnlampen benutzen. Wenn sie in ihren schwarzen Kutten durch den dämmrigen, niedrigen Flur gehen, sehen sie aus wie Grubenarbeiter. Vor Savas steht auf dem Tisch ein Glas Zitronensaft. Er hat einen schmerzhaften Nierenstein, kann aber zur Behandlung nicht ins Krankenhaus, weil er dann nicht ins Haus zurückkehren dürfte. Für ihn steht viel auf dem Spiel. Er erzählt von Dämonen und Engeln, die um den Menschen ringen. Allein die ­Dogmen und der traditionelle Weg der Kirche führten ins Paradies. Der Patriarch aber sei auf einem Irrweg.
 
„Er ist Teil der neuen Weltordnung. Sie wollen die Welt beherrschen. Und der ökumenische Dialog mit dem Vatikan und den anderen Weltreligionen ist Teil dieses Plans“, sagt Savas. „Sie“, das ist eine Mischung aus Freimaurern, Politikern und Geistlichen. In Savas’ Weltbild wird zur globalisierten Wirtschaft und zur weitgehenden Integration der Staaten eines Tages eine gemeinsame Weltreligion treten. Darauf ziele die Ökumene zwischen Patriarch und Papst: nicht auf Dialog, sondern auf Vereinigung. Zehntausende weltweit würden seine Ansicht teilen.
„Wir sind hier die Frontlinie“, sagt Savas mit einem abgehackten Lachen.

Wir, das ist die Bewegung der Altkalenderisten. 1924 hatte die orthodoxe Kirche einen neuen Kalender eingeführt, ähnlich dem der katholischen Kirche. Viele feierten den Schritt als ökumenischen Durchbruch. Viele griechisch-orthodoxe Gemeinden und Klöster vollzogen die Kalenderumstellung nicht mit. Vor allem in Griechenland und den USA fand der Widerstand Anhänger, Menschen, die zu den Wurzeln der Orthodoxie zurück­kehren wollen. Das Kloster erhalte genug Spenden, um die Belagerung durchzustehen. Unterstützer betreiben Websites und Lobbyarbeit. Und die Bruderschaft wächst.

Der Großteil der Brüder ist jünger als 35 Jahre, immer wieder kommen Novizen hinzu. „Ich war gerade 18 geworden und besuchte das Kloster“, sagt Savas. „Ich ging nie mehr zurück.“ Sein Vater war erfolgreicher Kosmetikhersteller mit mehreren Fabriken. Savas hätte die Geschäfte übernehmen sollen, doch das einfache Leben im Kloster zog ihn an. Zwei Mal jährlich kam sein Vater zu Besuch und flehte ihn an zurückzukommen. Jedes Jahr fuhr er alleine zurück.

Das Handy immer dabei: Abt Methodius hält die Theologie des 11. Jahrhunderts mit modernen Mitteln hoch.
Als er älter wurde, standen ihm seine beiden anderen Söhne bei. „Seit mein Vater tot ist, habe ich meine Brüder nicht mehr gesehen“, sagt Savas. Er und eine Handvoll anderer Mönche sind im Gesandtschaftshaus, um es gegen eine Räumung zu verteidigen. Der Gerichtsbeschluss ist da, Savas erwartet die Polizei jeden Augenblick. Eine Messe haben sie lange nicht gehalten, da diese auf keinen Fall unterbrochen werden darf. Käme die Räumung während der Messe, wären sie ihr hilflos ausgeliefert.
 

"Die Mönche sind verblendet. Hier geht es gar nicht um Religion."

Wenn Savas auf den Balkon tritt, sieht er rechts den Gipfel des Berges Athos und links das Ordenshaus der neuen Bruderschaft von Esphigmenou, die der Patriarch als rechtmäßig anerkannt hat. Es ist ein kürzlich gebautes einstöckiges Fertighaus mit zwei Schiffscontainern davor. Ohne Zugriff auf das Kloster und das Gesandtschaftshaus ist die Macht der neuen Bruderschaft beschränkt.

Ephraim ist einer dieser Brüder. „Ich kenne Juden, Muslime und Katholiken. Aber solche Extremisten wie diese habe ich noch nie erlebt“, sagt er. „Diese Mönche sind ungebildet und verblendet. Hier geht es gar nicht um Religion.“ Anders als mit Zwangsmaßnahmen sei ihnen nicht beizukommen.

Aber auch die haben ihre Grenzen. Im August 2013 war ein Gerichtsvollzieher beim ­Gesandtschaftshaus aufgetaucht, eine Gruppe Arbeiter mit einem Bulldozer beglei­tete ihn. Sie forderten die Mönche auf, das Gebäude zu verlassen. Diese weigerten sich. Der Bulldozer rangierte in der engen Gasse, bis seine Schaufel auf die stählerne Eingangstür gerichtet war. Dann rollte er los. „Die Mönche warfen einen Molotowcocktail auf den Bulldozer“, sagt Ephraim. „Ein Wunder, dass keiner verletzt wurde.“

Fragt man im Kloster Esphigmenou nach, hört man eine andere Version. Ein Mann habe hinter der Tür gestanden, die der Bulldozer eindrücken wollte, sagt Savas. Um ihn zu schützen, hätten die Mönche einen brennenden Lappen aufs Fahrzeug geworfen. Als Alarmzeichen. Savas fürchtet sich nicht vor dem Tag, an dem die Bauarbeiter erneut anrücken. Er ist bereit, das gleiche Schicksal zu erleiden wie sein Namensgeber, der heilige Sava aus dem 13. Jahrhundert. Obwohl von den Herrschern verfolgt, blieb er seinem Glauben treu. Er wurde getötet, ein Märtyrer.

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