Wofür sind Heilige gut?
Sie geben der Kirche Gesicht und den Gläubigen Halt: die Märtyrer und Heiligen. Doch über ihre Fähigkeiten streiten sich die Konfessionen
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
06.08.2013

Viele Jahrhunderte lang gehörten sie zu den Besten der Besten in der christlichen Kirche: Märtyrer und Heilige, die durch ihre unbestechliche Glaubenstreue zu Vorbildern für die späteren Generationen geworden sind. Zu Anfang Stephanus, der erste Märtyrer, der gesteinigt wurde, weil er zu harte Kritik übte am jüdischen Gesetzesdenken im frühen Christentum. In jüngster Zeit ein Dietrich Bonhoeffer, der daran Anstoß nahm, dass ein nationalsozialistischer Staat Kirche und christlichen Glauben seinen totalitären Zielen unterwirft. An Glaubenszeugen wie Stephanus oder Bonhoeffer richten sich Menschen auf. Ihr Vorbild färbt ab.

Portrait Eduard KoppLena Uphoff

Eduard Kopp

Eduard Kopp ist Diplom-Theologe und chrismon-Autor. Er studierte Politik und Theologie, durchlief die Journalistenausbildung des ifp, München, und kam über die freie Mitarbeit beim Südwestrundfunk zum "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt" nach Hamburg. Viele Jahre war er leitender theologischer Redakteur bei dieser Wochenzeitung und seinem Nachfolgemedium, dem evangelischen Magazin chrismon. Seine besonderen Interessengebiete sind: Fragen der Religionsfreiheit, Alltagsethik, Islam, Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, Krieg und Frieden.

Der evangelische Pfarrer Bonhoeffer: ein Heiliger? Ein Märtyrer ohne Zweifel – es waren die Nationalsozialisten, die ihn, den "persönlichen Gefangenen des Führers", am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg mit dem Strang hinrichteten. Aber ein Heiliger? Die evangelische Kirche kennt keine Heiligen im katholischen Sinn, aber manchmal nutzt sie den Begriff, um besonders vorbildliche Christen hervorzuheben. Der "evangelische Heilige Bonhoeffer" (Wolfgang Huber) war ein solcher. Beim 60. Jahrestag seiner Hinrichtung fiel immer wieder dieser Begriff.

Heilige sind Vorbilder, aber ihre Bedeutung selbst für die Christen sinkt. Für 90 Prozent der Protestanten und 70 Prozent der Katholiken haben sie keine oder nur eine geringe Bedeutung. Zugleich lässt sich beobachten: Die evangelische und die katholische Position zum Thema gleichen sich einander an: Die römisch-katholische Heiligenverehrung ist erheblich zurückgegangen, obwohl der verstorbene Papst Johannes Paul II. fast doppelt so viele Menschen heilig gesprochen hat wie seine Vorgänger in 400 Jahren. Und in der evangelischen Kirche setzt sich die Einsicht durch, dass die Ablehnung des Heiligengedenkens seit der Reformation zu weit gegangen ist: Mit der Ablehnung von Wunderglauben und überirdischen Kräften hatte man die Heiligen als Vorbilder beseitigt.

Heilige sind einfach Zeugen des Glaubens

Heute haben Protestanten keine Probleme mehr mit den "Heiligen" im Sinne solcher Vorbilder. Nicht nachvollziehbar ist für sie, dass Heilige so etwas wie Anwälte der Menschen vor Gottes Thron sind. Dass zu den Heiligen gebetet wird, um bei Gott mehr Gehör zu finden, widerspricht dem evangelischen Prinzip, dass jeder Mensch eine unmittelbare Beziehung zu Gott haben kann. Für den sanften Reformator Melanchthon und den jungen Martin Luther war es noch denkbar, dass Heilige Fürsprecher bei Gott sind, immer unter der Voraussetzung, dass der einzige Mittler zu Gott Jesus Christus ist. Doch für "Abgötterey" hielten die Reformatoren die Verehrung der Heiligen in dem Sinn, dass sie eine eigene Macht haben, die Geschicke auf Erden und im Himmel zu lenken. Luther sprach sehr kritisch über die Wirkung von vermeintlichen "Nothelfern". Alle Formen der Heiligenverehrung, die darauf beruhen, dass Heilige die Verhältnisse verändern können, kamen für Luther damals und kommen für Protestanten heute keinesfalls in Frage. Die Wunderkraft eines Josemaría Escrivá de Balaguer, des Gründers der katholischen Geheimorganisation Opus Dei (Werk Gottes), zählt auch dazu: Er soll die vollkommene Heilung eines krebskranken Arztes von Radiodermitis, also Schäden durch Röntgenstrahlen, "gewirkt" haben. Der Nachweis eines solchen Wunders, der von katholischer Seite als Voraussetzung für die Heiligerklärung genannt wird, liegt außerhalb evangelischen Denkens.

Nach evangelischem Verständnis bilden Heilige auch keinen fest umrissenen kleinen Kreis von Personen, die in einem offiziellen Verhandlungsprozess den Status als Vorbilder zugesprochen bekommen. Weder müssen Heilige bereits tot sein, noch bedürfen sie einer offiziellen Approbation. Wenn Protestanten von Heiligen sprechen, dann in einem weiten, sehr offenen Sinn: als Zeugen des Glaubens.

Die Eingangsfrage "Wofür sind Heilige gut?" lässt sich eindeutig beantworten: Sie geben ein Beispiel dafür, was es heißt, den Glauben mutig zu bekennen, selbst dann, wenn man dafür erhebliche Nachteile in Kauf nehmen oder sogar das Leben einsetzen muss. Nur: Dass sich durch die Verehrung der Heiligen oder die Bitte um ihre Fürsprache bei Gott die Verhältnisse hienieden verbessern, ist für Protestanten abwegig. Und ob jemand heilig ist oder nicht, erweist sich für sie nicht in einem geld- und kräftezehrenden Prozess. Heilig sind alle Menschen, die sich von der Gnade Gottes erreichen lassen: die gesamte Kirche. Das darf sich auch ruhig in ihrem alltäglichen Verhalten niederschlagen.

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