Privat
Wir werfen Anker
Wieviel Heimat braucht der Mensch? Einer Familie aus Norddeutschland reichte ein Segelboot - sechs Jahre lang, unterwegs auf hoher See. Jetzt geht es zurück. Mutter Bente über den Sog der Ferne und die Ängste, die mit der Heimkehr verbunden sind
Portrait Hanna Lucassen, Redaktion chrismon, Redaktions-Portraits Maerz 2017Lena Uphoff
02.06.2013

chrismon: Sechs Jahre sind Sie mit Mann und zwei Kindern durch die Welt gesegelt. In ein paar Wochen soll es zurückgehen nach Deutschland. Mit welchen Gefühlen?

Bente: Mir tut es schon ein bisschen weh, an das Ende zu denken. Unseren Alltag auf dem Boot aufzugeben, der mir sehr vertraut ist. Nach Hause – das klingt richtig und falsch. Denn eigentlich sind wir ja schon die ganze Zeit zu Hause.   

Auf dem Boot? Wie viel Platz gibt’s denn da?

Die „Narwal“ ist 11 Meter lang und 3,6 Meter breit. Es ist keine Luxusjacht, sondern vom Komfort etwa wie eine einfache Berghütte: kein fließendes und heißes Wasser, sondern Fußpumpen. Keine ­Klimaanlage, kein Fernseher. Schiffstechnisch allerdings sehr modern. Arnd und ich schlafen in einer Kabine vorne im Bug, die hat vier Quadratmeter. Die Kinder teilen sich die etwas größere Achterkajüte.

Wo erwische ich Sie jetzt gerade?

Vor der kolumbianischen Insel San Andrés, da ankern wir seit ein paar Wochen. Ich habe mich ins Cockpit verzogen, Arnd und die Kinder schlafen noch. Es ist sechs Uhr morgens. Die Sonne geht gerade auf.

Türkisfarbenes Meer?

Ja!

Warme, sanfte Luft, plätschernde Wellen?

Ja!

Was steht heute an? Baden, sonnen, schnorcheln?

Frühstück auf Deck

Nein! Frühstück machen, aufräumen, mit dem Beiboot in den Hafen fahren, Wasserkanister füllen, frische Sachen einkaufen: Gemüse, Obst, Joghurt, Käse. Mittags kochen: Nudeln in Knoblauchsoße. Mit den Kindern lernen, das machen wir zwei bis drei Tage in der Woche. Und: Wir werden versuchen, das Segel zu reparieren, es ist auf der Herfahrt gerissen. Natürlich baden wir oft und machen Ausflüge – aber wir machen keinen sechsjährigen Urlaub. Ich hab das Gefühl, ich muss mich oft rechtfertigen für diese Reise.

Aber es klingt ja auch nach Luxus: sechs Jahre Auszeit!

Na ja, angedacht waren zwei. Ich bin Lehrerin und war in der Erziehungszeit, als wir im Juli 2007 losfuhren. Unsere Tochter Siri war knapp ein Jahr alt. Arnd ist Freiberufler im IT-Bereich und wollte schon lange auf Tour. Als wir überlegten, ob wir uns das zu dritt zutrauen, habe ich die „Narwal“ das erste Mal gesehen. Sie lag im Hafen von Monastir in Tunesien. Ich weiß noch genau, wie ich von dem Steg aus auf den Bugkorb kletterte, um aufs Schiff zu gelangen. Ich hatte sofort das Gefühl: Hier bin ich zu Hause.

Ganz bei sich ist Siri in der Unterwasserwelt, die sie beim Schnorcheln vor der Karibikinsel San Andrés entdeckt.


Und wie wurden aus den zwei dann sechs Jahre?

###mehr-extern###Das war der Sog des Westens. Nach der Geburt von Lars im Januar 2009 verlängerte ich meine Erziehungszeit. ­Später habe ich meine Stelle als angestellte Lehrerin gekündigt. Wir waren die meis­te Zeit in der Karibik und träumten davon, den Pazifik zu durchqueren. Mit den noch nicht schulpflichtigen Kindern wäre das der ideale Zeitpunkt gewesen. Ein paar Mal waren wir kurz davor, aber am Ende wurde nichts daraus. Immerhin: Wir waren einmal drüben! Zwei wunderschöne Monate haben wir auf den Galapagosinseln verbracht!

War es denn keine Frage des Geldes, umzukehren? Wie finanzieren Sie sich?

Wir hatten vorher gespart und haben Einnahmen, weil wir zwei Wohnungen vermieten. Unsere Familien unterstützen uns gelegentlich. Und wir geben sehr wenig aus: Wir schlafen auf dem Boot und ankern meistens in Buchten. Die Liegeplätze in den Jachthäfen sind teuer, ohnehin mückenverseucht und zu heiß, ohne Wind. Wir brauchen jeder nur ein paar einfache T-Shirts und kurze Hosen. Lebensmittel sind meist sehr günstig. Für Souvenirs, CDs, viele Bücher ist sowieso kein Platz an Bord. Reparaturen am Schiff können teuer werden, also machen wir so viel wie möglich selbst. Was ins Geld geht, sind Werftaufenthalte, eine neue Take­lage, wenn nötig, und Flüge. Einmal im Jahr etwa fliegen wir nach Hause, zu den Großeltern und Freunden.

Mal alleine sein? Schwierig! Arnd, 48 macht mit Sohn Lars Vorschulübungen. Bente, 44, putzt Tochter Siri die Zähne.

Auf engstem Raum so lange zusammen, ging das denn immer gut?

Der Anfang war ziemlich anstrengend. Ein halbes Jahr brauchte es mindestens, bis Arnd und ich uns daran gewöhnt hatten, von morgens bis abends zusammen zu sein. Alle Entscheidungen betrafen uns beide, im Streit konnten wir uns nicht einfach aus dem Weg gehen, ebenso wenig unseren Launen. Mittlerweile sind wir alle sehr eingespielt. Wie anders wird das sein in Deutschland, wenn alle morgens das Haus verlassen, Richtung Schule, Kindergarten, Arbeitsstelle, und wir uns dann am Nachmittag erst wieder treffen! Hier sind wir räumlich und emotional sehr eng ­beieinander. Ich glaube, das vermisse ich jetzt schon.

Aber es gibt dann viel mehr Freiraum für Sie.

Ja, und darauf freue ich mich auch. Aber ich muss das Alleinsein bestimmt üben; ich weiß gar nicht mehr, wie das geht. Tee aus meiner schönen Porzellankanne trinken? Mit Arnd ins Kino gehen? Freunde besuchen? Ganz schön exotisch.

Wie wird Ihre Zukunft im Beruf aussehen?

Diese Sorge hat mich lange begleitet. Ich habe ja nur we­nige Jahre als Lehrerin gearbeitet und muss sehen, wie ich da wieder Fuß fassen kann – mit Mitte vierzig zwischen jüngeren und erfahreneren Kollegen. Mittlerweile bin ich zuversichtlich, dass es irgendwie weitergeht. Ich frage mich aber: Ich habe so viel erlebt – werde ich mich trotzdem an den gleichen Konflikten festbeißen wie früher? Die größte Herausforderung wird wohl sein: Wenn es uns zu Hause nicht gefällt, können wir nicht einfach weiterziehen. Wir werden uns mit dem, was uns stört, stärker auseinandersetzen müssen. Das ist sicher gut. Aber zugegeben: Mich einfach treiben zu lassen, das liebte ich schon sehr.  

Warum wollen Sie überhaupt zurück?

Letzten Endes ist Deutschland unsere Heimat, wo wir uns auch wohlgefühlt haben. Wir haben ein altes Schulungs­gebäude gekauft, das wir auf Vordermann bringen wollen. Ich habe enge Freundinnen, die ich endlich wieder regel­mäßig treffen möchte. Mit unseren Eltern mailen und telefonieren wir oft. Aber sie sehen ihre Enkel nur einmal im Jahr. Das soll kein Dauerzustand sein. Zu Siris Einschulung wollten wir immer zurück sein.

Alle T-shirts trocknen an Deck, Siri und Lars beim Wäsche aufhängen
Hatten Sie eigentlich nie Angst um die Kinder – dass sie ins Wasser fallen oder krank werden?

Bei ungemütlichem Wetter auf hoher See sind sie mit Schwimmwesten angeleint. Ansonsten bewegen sie sich frei im Cockpit. Für Notfälle haben wir ein Satelliten­telefon an Bord oder können über Funk Kontakt mit der Außenwelt aufnehmen. Wir sind als Familie auch nie länger als ­eine Woche durchgehend gesegelt. Wenn wir ankern, meist für mehrere Tage oder Wochen, klettern sie ohne Westen auf dem Deck herum. Schwimmen können beide, seit dem dritten und vierten Lebensjahr.

Und nun geht’s aus der großen Freiheit in das euro­päische Bildungssystem?

Bei einem Besuch in Europa sagten mir einmal Verwandte, Lars würde ohne Regeln aufwachsen und werde es später schwer haben, sich einzugliedern. Klar, ich bin manchmal unsicher, ob die Kinder sich sozialkompetent entwickeln, ohne Kindergarten und feste Gruppen. Aber sie kommen mit den Familien von anderen Schiffen gut zurecht, sind Menschen gegenüber aufgeschlossen, tragen als Geschwis­ter viel miteinander aus. Und hätten wir keine festen Regeln an Bord, würden wir untergehen. Was die Kinder schließlich mitnehmen von der Reise, wissen wir nicht. Neulich sollte Siri zu einem Kunstkurs, in dem sie  niemanden kannte und alle spanisch sprachen. Sie sagte mir: Ich habe keine Angst, ich weiß ja, dass ich mich überall auf der Welt verständigen kann. Da trägt sie einen echten Schatz in sich.

Wann werden jetzt wieder die Segel gehisst?  

Morgen ist Freitag, da darf man nicht losfahren – alte Seemannsregel. Aber danach geht’s weiter Richtung Jamaika. Ich weiß noch, vor zwei Jahren kamen wir dort einmal mitten in der Nacht an. Als wir uns der Insel näherten, schlug uns ein wunderbarer Duft entgegen. Der Mond schien, und zwei Delfine begleiteten uns. Wie schön das war! 

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