Wer soll in die Bundeswehr? Söldner oder Zwangsverpflichtete?
Ein Politiker und ein Ökonom streiten über die Wehrpflicht
09.08.2013

chrismon: Ist der Dienst an der Waffe eher eine Bürgerpflicht oder eine Dienstleistung?

Thomas Straubhaar: Er ist eine Dienstleistung geworden. Das war historisch mal anders, als es um Landesverteidigung ging. Solange sozusagen Haus und Herd verteidigt werden sollten, da konnte es eine Bürgerpflicht sein. In dem Moment, in dem sich das Aufgabenfeld wandelt und internationaler wird, mehr Auslandseinsätze hinzukommen, mehr Krisenreaktionskräfte gebraucht werden, ist es eindeutig eine Dienstleistung.

Hans-Ulrich Klose: Ich glaube, dass man das nicht so einfach beantworten kann. Es gibt unverändert eine Aufgabe der Landesverteidigung, vielleicht nicht so sehr in der jetzigen Situation, aber die kann sich ja ganz schnell wieder verändern. Die Bundeswehr hat aber auch, wie Verteidigungsminister Struck sagen würde, die Aufgabe, Deutschland am Hindukusch zu verteidigen: Afghanistan ist da das klassische Beispiel auf der Grenzlinie zwischen Verteidigung und Intervention. Von dort ging eine Bedrohung aus, die überall in Europa zuschlagen konnte. Deshalb ist das in der Tat Verteidigung. Eine andere Frage wäre es, wenn wir Soldaten in den Kongo schicken, weil sich die Menschen dort massakrieren – das geschieht dann zur Vermeidung einer humanitären Katastrophe. Aber wir müssen beides können, verteidigen und intervenieren, je nach aktueller Situation. Das ist ein Grund, warum wir an der Wehrpflicht festhalten.

Straubhaar: Eigentlich geht es doch um die Bereitstellung einer Sicherheitsdienstleistung. Es gibt ein öffentliches Bedürfnis an internationaler Sicherheit. Im Inneren haben wir keine Schwierigkeit, dies als Dienstleistung zu sehen, zum Beispiel bei der Polizei.

Klose: Richtig. Doch der militärische Ansatz ist immer noch anders als der polizeiliche, denn der polizeiliche Einsatz geschieht in der Regel nicht – jetzt in Anführungsstrichen, weil das sonst so gefährlich klingt – „zur Vernichtung eines Gegners“, der militärische Einsatz schließt dies ganz explizit mit ein. Soldaten vernichten, Polizisten tun etwas anderes.

Straubhaar: Aber vom Ergebnis her sollen beide Sicherheit schaffen. In beiden Fällen delegieren wir einen Teil unserer Ziele an Leute, die dafür spezialisiert sind, die dafür ausgebildet sind, die bestenfalls damit sogar ein Berufsethos verbinden.

Klose: Die schreckliche Konsequenz ist natürlich, dass – wenn man das zu Ende durchdenkt – man diese Aufgabe am besten auf Söldnerheere überträgt.

Straubhaar: Das habe ich ja schon mal vorgeschlagen. Warum denn auch nicht?

Klose: Da möchte ich aber auf gar keinen Fall hin. Das ist eine schreckliche Vorstellung, dass wir uns auf so eine Geschäftsgrundlage einlassen.

Straubhaar: Sind wir so weit weg von Söldnerheeren, wenn wir in Afghanistan und anderswo mit multinationalen Truppen operieren?

Klose: Im Irak kann man das so sagen, weil ich vermute, dass die zweitgrößte Einheit nach den Amerikanern die privaten Sicherheitsdienste sind.

Was ist daran so schlimm, Herr Klose?

Klose: Wenn ich mir’s ganz einfach mache, sage ich: Das, was da im Irak passiert an Menschenrechtsverstößen, das ist im großen Maße das Ergebnis der Söldnermentalität.

Straubhaar: Aber dann wäre doch die Politik gefordert, Strukturen zu schaffen, die verhindern, dass es diese Söldnermentalität geben kann. Das ist ein Führungs- oder Organisationsproblem, aber nicht eine Frage, wer es denn letztlich ausführt.

Klose: Nein! Wenn Sie nur noch Söldnerheere haben, dann haben Sie die irgendwann nicht mehr unter Kontrolle und auch keine Machtmittel mehr, die zu stoppen. In Wahrheit ist es ja so, dass die Amerikaner diese große Zahl von Söldnern nur deshalb einsetzen, weil sie erhebliche Personalprobleme haben. Die haben ja ihre Personalreserve nahezu erschöpft, was ein Grund für ihre Schwierigkeiten ist. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es ex post in den USA eine große Debatte darüber geben wird, ob der Umstieg auf eine ausschließliche Berufsarmee eine weise Entscheidung gewesen ist. Eine Debatte übrigens, die bereits in vielen Ländern läuft, die umgestiegen sind.

Straubhaar: Also Wehrpflichtigenarmeen haben in der Vergangenheit nicht geschützt vor Menschenrechtsverletzungen. In allen großen Kriegen mit ihren Schrecken – und vor allem auch mit ihren Verwerfungen auf persönlicher und ideeller Ebene – waren immer auch Wehrpflichtige beteiligt.

Klose: Die Wehrpflicht hat davor nicht geschützt, das ist richtig, aber es ist...

Straubhaar: Im Gegenteil, man könnte sogar sagen, dass die Wehrpflichtigenarmee dazu verleitet, möglicherweise zu rasch mit einem zu großen Menscheneinsatz zu versuchen, Sicherheitsbedürfnisse zu befriedigen.

Klose: Ich will darauf hinaus, dass eine Wehrpflichtarmee, die einen Verfassungsauftrag verfolgt, in besonders starkem Maße bestimmten Standards verbunden ist.

...die in einer reinen Berufsarmee nicht aufrechterhalten werden können?

Klose: Die Länder, die von der Wehrpflichtarmee zur Berufsarmee übergegangen sind, haben enorme Schwierigkeiten, ihre Streitkräfte personell aufzufüllen. Die müssen aus einem Reservoir schöpfen, das in der Qualität deutlich schlechter ist als das, was sie bei einer Wehrpflichtarmee rekrutieren können. Bei der Bundeswehr ist das noch anders: Wir bekommen mehr als fünfzig Prozent des Unteroffiziers- und Offiziersnachwuchses aus dem Potential der Wehrpflichtigen. Das führt dazu, dass wir einen qualitativ besseren Durchschnitt bekommen, mit der Folge, dass unsere Soldaten einfach besser sind.

Straubhaar: Ich habe acht Jahre lang mit Bundeswehroffizieren zusammengearbeitet und kann ihren Eindruck bestätigen. Aber das ist genau der entscheidende Punkt. In dem Sinne leistet sich Deutschland – ich sehe das „Leisten“ jetzt nicht negativ, sondern das ist nur eine Feststellung – diese Qualität und bezahlt dafür ökonomisch einen vergleichsweise hohen Preis. Nur wird dieser Preis von den Wehrpflichtigen bezahlt und nicht vom Staat. Deshalb wird natürlich eine Berufsarmee eben nicht billiger für den Verteidigungs- oder den Finanzminister, im Gegenteil. Für die wird sie teurer. Denn um wirklich gute Leute zu rekrutieren, muss man mehr Geld in die Hand nehmen, als wenn man sie zwangsverpflichten kann. Mit Wehrpflichtigen erreicht man quasi eine Normalverteilung durch alle Berufe und Bildungsschichten. Wenn Sie nicht mehr zwangsverpflichten können, aber gleichzeitig sparen wollen, dann müssen Sie – da haben Sie Recht, das ist die empirische Feststellung – die vergleichsweise schlechteren Leute rekrutieren.

Klose: Gerade diese beiden Erwägungen – Qualität und Preis, den man aufwenden muss – sind ein sehr starkes Argument für die Beibehaltung der Wehrpflicht. Bisher haben es jedenfalls die Berufsarmeen nicht geschafft, diese höhere Qualität zu rekrutieren. Das klingt jetzt harsch, weil man dann über die redet, die dort als Berufssoldaten tätig sind.

Straubhaar: Noch einmal: Das hat damit zu tun, dass man glaubt, gleichzeitig auch noch Geld einsparen zu können. Mein Punkt ist ja: Das Budget des Staates muss hier ausgedehnt werden, um die Art von Berufsarmee zu bekommen, die man will. Es enstehen dann positive Effekte, indem eben Menschen nicht zwangsverpflichtet werden, etwas zu tun, wofür sie nicht geeignet sind. Ich glaube, dass es nicht sinnvoll sein kann, junge Leute mehrere Monate – je nachdem, wie lange die Grundwehrzeit ist – aus ihrem angestammten Beruf zu reißen und sie in der Bundeswehr zwangszuverpflichten, etwas zu tun, wofür sie vielleicht nicht geeignet, vielleicht nicht gewillt sind.

...und was zunehmend als ungerecht empfunden wird. Nur noch jeder fünfte wehrfähige Mann eines Jahrgangs wird tatsächlich eingezogen. Hängt über der Wehrpflicht nicht schon zu lange das Damoklesschwert der so genannten Wehrgerechtigkeit?

Klose: Der Begriff der Wehrgerechtigkeit ist eine Erfindung der juristischen Wissenschaft und steht in keinem Gesetz. Sondern er wird abgeleitet von dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes. Aber die Weizsäcker-Kommission, die sich mit dem Problem beschäftigt hat, hat immer gesagt: Wenn es über Freiwilligkeit nicht geht, was spricht dagegen, ein Losverfahren durchzuführen? Was ist daran ungerecht?

Hans-Ulrich Klose: „Was spricht gegen ein Losverfahren?“

Straubhaar: Das Losverfahren ist auch die letzte Ratio der Ökonomie. Ich würde aber einwenden: Es gibt vorher noch sinnvollere Mechanismen. Und Sie haben eben einen genannt. Man muss ja nicht gleich sagen, entweder Wehrpflichtigenarmee oder Berufsarmee. Man kann das ja auch mehr in Richtung Freiwilligenarmee interpretieren, und dann kriegt das Ganze schon einen viel pragmatischeren Ansatz. Man könnte es zum Beispiel bei einer Wehrpflichtigenarmee belassen, aber schickt nicht mehr Marschbefehle aus, sondern bietet Anreize, damit möglichst viele sich freiwillig zu melden beginnen.

Eine Wehrpflicht ohne Pflicht also?

Klose: Also ich glaube jedenfalls, dass wenn man überhaupt vor diese Entscheidung gestellt würde, weil die Politik es so will, dann könnte das ein Zwischenschritt sein, um auszutesten, welches der beste Weg ist. Darüber lasse ich mit mir reden.

Noch mal zurück zur Gerechtigkeitsdebatte. Es ist ja trotzdem noch eine Pflicht, die ausschließlich Männer trifft. Ist das eigentlich heutzutage noch vertretbar?

Straubhaar: Das halte ich in der Tat nicht für gerecht, vielleicht nicht im juristisch-verfassungsmäßigen Sinne, aber ungerecht in einem moralischen Sinne.

Klose: Ich hab da überhaupt keine Probleme. Denn ich finde, wenn man von den Realitäten ausgeht, sind Frauen nach allem, was wir wissen, immer noch stärker belastet als Männer, sie sind nämlich unverändert – Männer mögen noch so emanzipiert sein – doppelt belastet, Frauen machen die Kindererziehung, sie machen die Familienarbeit, und sie machen das, wenn sie berufstätig sind, auch noch nebenbei. Die Männer, jedenfalls zu 80 Prozent, halten sich weitgehend raus. Oder wenn man so etwas anguckt wie die Pflege von Älteren: Wer macht denn das? Das sind die Frauen. Frauen sind bei uns also ohnehin schon stärker belastet. Und wenn ich deshalb sage, Wehrpflicht betrifft nur die Männer, finde ich das sehr angemessen. Damit habe ich überhaupt kein Gerechtigkeitsproblem.

In der Diskussion ist auch ein so genanntes „soziales Pflichtjahr“ für Männer und Frauen, falls Wehr- und Zivildienst wegfallen. Was halten Sie denn davon?

Klose: Überhaupt nichts.

Straubhaar: Also eine allgemeine Dienstpflicht halte ich für den denkbar schlechtesten Weg. Da haben wir abschreckende Beispiele aus sozialistischen Systemen, wo flächendeckend Männer und Frauen zu irgendwelchen Dingen zwangsverpflichtet wurden, zu Ernteeinsätzen zum Beispiel oder Straßenbau. Das senkte scheinbar für das öffentliche Budget die Kosten und schien auf den ersten Blick eine gute Sache zu sein, hat sicher auch das Identitätsgefühl gefördert und so fort, aber im Endeffekt wissen wir: Es war die teuerste Variante, um Güter und Dienstleistungen zu erstellen, und entspringt einer völlig fehlgeleiteten Sicht der Dinge. Es widerspricht dem Menschenbild einer offenen, marktwirtschaftlich orientierten und demokratischen Gesellschaft.

Was außer Steuern und Gesetzestreue darf ein Gemeinwesen heute noch von seinen Bürgern erwarten?

Straubhaar: Es ist immer noch legitim zu sagen, dass es in bestimmten Situationen eine Bürgerpflicht geben kann, die gemeinsamen Güter einer Gemeinschaft, den Rechtsstand, die Freiheit, die wir hier seit ein paar hundert Jahren der Aufklärung erworben haben, zu verteidigen. Ich glaube auch, dass wir nicht ohne Sekundärtugenden und nicht ohne gemeinsame Werte leben können.

Klose: Der Prozess der Individualisierung hat da schon seine Schleifspuren hinterlassen. Ich vermute allerdings, wir werden auch eine Gegenbewegung erleben. Und in ganz leichten Ansätzen haben wir sie schon. Also wie zurzeit über Höflichkeit und solche Dinge diskutiert wird, zeigt, dass es so etwas gibt wie ein Bedürfnis nach Gemeinwohlorientierung. Ich habe das auch manchmal bei Gelöbnissen beobachtet: Da stehen die Angehörigen der Wehrpflichtigen und viele freuen sich darüber, dass da welche etwas für die Gemeinschaft tun.

Straubhaar: Bei der Wehrpflicht fängt aber für mich als Ökonom natürlich das Problem an. Wenn das Argument sein sollte: Wehrpflichtige tun was Gutes für die Gemeinschaft, kriegen aber statt Geld Ehre, Orden und Urkunden, halte ich das für bedenklich. Dann ist es ehrlicher zu sagen: Uns ist das so und so viel Euro wert, dass du für uns die Sicherheitsdienste erfüllst, und dann zwingen wir dich nicht dazu, sondern wir entschädigen dich anständig.

Klose: Ich fände es allerdings schrecklich, wenn allein das Geld das beherrschende Prinzip würde.

Straubhaar: Aber das wäre der transparentere Weg.

Thomas Straubhaar: „Geld wäre der transparentere Weg“

Klose: Das kann schon sein. Aber dies wäre mir genauso unsympathisch wie die überzogene Idealisierung von Pflicht und Gemeinschaft. Ich glaube, wir sind in einem demokratischen Gemeinwesen immer darauf angewiesen, die richtigen Mittelwege zu finden. Ich hatte immer schon etwas gegen Hundertprozentiges. Ich bin immer für 52 Prozent.

Straubhaar: Das verstehe ich auch als Aufgabe der Politik, Kompromisse zu suchen. Die Aufgabe der Ökonomen ist, absolute Lösungen aufzuzeigen, damit die Politiker wissen, welche Konsequenzen sie ökonomisch verursachen.

Wann wird der letzte Wehrdienstleistende eingezogen?

Straubhaar: Ich denke, früher als Herr Klose erwartet.

Klose: Ich kann es Ihnen nicht sagen.

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