Illustration: Mirjam Dumont
Was den Katholiken weltweit auf den Nägeln brennt. Ein Blick auf fünf Länder in vier Kontinenten
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
22.03.2013

Nigeria: Pfingst­kirchen und muslimische Fundamentalisten

Afrika sei die „geistliche Lunge“ der Menschheit, schrieb 2011 Papst Benedikt XVI. Er lobte den religiösen Reichtum des Kontinents, auch wie begeisterungsfähig viele Afrikaner seien. Genau dies rief aber auch die Pfingstkirchen ins Land. So sehr man sie als Zeichen eines neuen religiösen Aufbruchs verstehen mag – sie befinden sich oft in handfester Konkurrenz mit den älteren Kirchen und rufen durch ihre forschen Missionskampagnen und ihr Schwarz-Weiß-Denken islamische Fundamentalisten auf den Plan.

Im Norden Nigerias gilt die Scharia. In zwölf nördlichen Bundesstaaten wurde sie seit 1999  eingeführt, mit verheerenden Folgen für die Kirchen. Schätzungsweise 10 000 Christen haben in religiös begründeten Konflikten ihr Leben verloren, viele Opfer gehen auf das Konto der Gruppe Boko Haram, die sich selbst „Nigerianische Tali­ban“ nennt. Bei gewaltsamen Übergriffen am ersten Weihnachtstag 2011 starben durch sie allein 40 Christen.

Für manche Muslime erscheinen die Christen als Repräsentanten einer weltweiten Macht, die den Kontinent religiös überfremdet und wirtschaftlich ausbeutet. Immer wieder kommt bei kirchlichen Konferenzen die Forderung hoch, die Kirchen müssten ihre Verstrickung in Kolonialismus und modernen Kapitalismus aufar­beiten. An Krisen ist das Land nicht arm: Aids, Bürgerkrieg, Migration, die wirtschaftliche Ausbeutung der Ressourcen. Wie viele afrikanische Länder ist Nigeria wirtschaftlich abhängig von den reichen Ländern. Und wenn die eine Hand gibt, nimmt die andere Hand doppelt zurück. So drückte es 2006 ein Vorbereitungspapier zur afrikanischen Bischofssynode 2009 aus.  

Nigerias Katholiken ringen nicht nur um Religions­freiheit und Frieden, sondern im muslimisch dominier­ten Norden ums nackte Überleben. Sie sind eingesperrt zwischen zwei überschäumenden religiösen Strömungen – den christlichen Pfingstlern und den muslimischen  ­Aktivisten.

Auf die päpstliche Agenda gehört: Inter­nationalen Druck gegen die „nigerianischen Taliban“ aufbauen und die Pfingstkirchen, die ein rotes Tuch für die Islamisten sind, beschwichtigen.

USA: Wann kommt die parteipolitische Öffnung?

Die Mehrheit der römisch-katholischen Christen in den USA wählte Barack Obama zum Präsidenten. Für die ­katholischen Bischöfe war dies eine enttäuschende Er­fahrung: Sie mussten erkennen, dass ihre Kirche gleich doppelt gespalten ist: zwischen konservativen und liberalen Katholiken, wie auch zwischen ihnen, den Bischöfen und dem Kirchenvolk. Die Bischofskonferenz hatte die Fragen der Homo-Ehe und des Lebensschutzes zu Wahlkampf­themen gemacht, doch ihre Kirchenmitglieder ließen sich kaum darauf ein. Die an Zahl zunehmenden hispanischen Katholiken, Einwanderer aus Mittel- und Südamerika, hatten sich offensichtlich mehr an den Themen Einwanderungspolitik und Gesundheitsreform orientiert und damit an Obama. Auch die jüngeren Wähler versagten den Bischöfen die parteipolitische Gefolgschaft. Die katholische Kirche muss nun ihre kritische Haltung gegenüber der demokratischen Partei überdenken.

Der Missbrauchsskandal hat die Glaubwürdigkeit der Kirche sehr beschädigt. Rund 2,5 Milliarden Dollar Schadensersatz musste sie den Opfern zahlen. Zwar hat die Bischofskonferenz hart durchgegriffen, doch sie wird noch lange damit zu tun haben, das verlorene Vertrauen wiederzugewinnen.

Amerika ist das Mutterland der Religionsfreiheit. Traditionell sind viele Amerikaner bereit, für ihre Religionsgemeinschaft aktiv zu werben. Katholische „Laien“ packen beherzt an, wenn es um gemeinsame Aufgaben in der Gemeinde geht. Das Überleben vieler Gemeinden hängt am Engagement ihrer Ehrenamtlichen. Denn der Priestermangel setzt der Kirche zu. Jährlich wird nur ein Drittel der ausscheidenden Priester durch junge ersetzt.

Auch aus diesem Grund ist die Mehrheit der Katholiken für die Ordination von Frauen. In einer Befragung befürworteten 61 Prozent der Katholiken diesen Weg. Verheiratete Priester? 75 Prozent der Befragten sind für diese Möglichkeit.

Auf die päpstliche Agenda gehört: Die „Laien“ rechtlich aufwerten und den Bischöfen ins Ge­wissen reden, ihre Demokratenphobie aufzugeben.

China: Eine vatikanfeindliche Zentralregierung

Seit mehr als fünfzig Jahren ist die katholische Kirche in ­China gespalten. Die staatsnahe Kirche ist in der Chinesischen Katholischen Patriotischen Vereinigung organisiert. Anders die Untergrundkirche, deren Bischöfe der Papst ernennt. Diese Bischöfe versuchen, sich möglichst eng an die katholischen Spielregeln zu halten. Die Patriotische Vereinigung, gegründet 1957, beansprucht die Leitungsgewalt über die katholischen Christen und ihre Pfarrer und Bischöfe. Wiederholt hat der Vatikan betont, dass die Autonomie der Patriotischen Vereinigung von Rom der kirchlichen Lehre widerspreche. Auch ihre Bischofsweihen seien rechtswidrig, wenn auch nicht ungültig.

Etwas über fünf Millionen Katholiken soll es in China geben. Bisherige Schätzungen gingen von 12 bis 13 Millionen aus. Die Zahl der Protestanten ist erheblich höher, aber auch sie ist nicht verlässlich zu bestimmen. Nach Schätzungen von 2010 hat die Patriotische Vereinigung etwa 56 Bischöfe, die romtreue Kirche etwa 38. Es lässt sich nicht sagen, wie viele der staatstreuen Bischöfe sich in den vergangenen Jahren darum bemüht haben, ihren Status durch den Vatikan bestätigen zu lassen. Es scheinen nicht wenige gewesen zu sein.

Der Vatikan, völkerrechtlich ein Staat, hofft, dass es eines Tages zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Volksrepublik kommt. Was die Vertreter des Staatlichen Büros für religiöse Angelegenheiten, der chinesischen Religionsbehörde, dem Papst aber nicht abnehmen, ist dessen Behauptung, die katho­lische Kirche habe keine politischen Ziele und sei auch nicht auf ein politisches System festgelegt.

Die katholische Kirche hat immer zu den Kritikern der Einkindpolitik gehört. Der Staat hält sie für einen Erfolg und behauptet, ohne diese Politik gäbe es heute 1,7 Milliarden ­Chinesen und nicht 1,3 Milliarden. Die Einkindpolitik hat aber eine gravierende Folge – ein Dauerthema für die Kirche: Das Gleichgewicht der Bevölkerung ist empfindlich gestört. Die Gesellschaft droht zu vergreisen, was die Errungenschaften der Renten- und Krankenversicherungen unterlaufen könnte. Eine weitere Ungerechtigkeit: Die Vermögenden können sich mehrere Kinder leisten, da sie die Geldstrafen dafür aufbringen können.

Auf die päpstliche Agenda gehört: Verhandeln, damit die unsägliche Spaltung der Kirche aufgehoben werden kann, und weiter munter die Einkindpolitik kritisieren. „Laien“ rechtlich aufwerten und den Bischöfen ins Ge­wissen reden, ihre Demokratenphobie aufzugeben.

Brasilien: Die hässlichen Seiten der Globalisierung

Brasilien, Land der Basisgemeinden und der Befreiungstheologie: Das war lange Jahre das Lieblingsbild vieler Europäer. Was sich in dem riesigen Land mit seinen mehr als 200 Millionen Einwohnern in den Kirchen tat, galt als zukunftsweisend nicht nur in Lateinamerika. Die Basisgemeinden machten Front gegen die Großgrundbesitzer, die Fazendeiros, und die Ausbeutung in den Großunternehmen. Doch es ist still geworden um diesen politisch aktiven Zweig der katholischen Kirche. Das hat nicht nur mit dem jahrzehntelangen Gegenwind aus dem Vatikan zu tun, sondern auch mit wachsendem Wohlstand im Land.

Brasilien befindet sich in einem wirtschaftlichen Aufschwung. Beim Bruttoinlandsprodukt ist es inzwischen die sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt. Seine Agrarexporte übertreffen die der USA. Brasilianische Konzerne kaufen mehr und mehr Unternehmen im Ausland auf. Die Arbeits­losenquote lag im Dezember 2012 bei nur 4,9 Prozent. 40 ­Millionen Brasilianer stiegen im vergangenen Jahrzehnt in die Mittelschicht auf, die jetzt knapp die Hälfte der Brasi­lianer umfasst. Die Hoffnung auf Wohlstand spült Hunderttausende Menschen vom Land in die Großstädte, ein großes Betätigungsfeld für die Kirche.

Das neue Problem Brasiliens: Landgrabbing – der groß­flächige Aufkauf von Grund und Boden durch internatio­nale Gesellschaften, die dann Monokulturen anlegen und die Kleinbauern vertreiben. So erwarben Chinesen vor zwei Jahren im Bundesstaat Goiás 20 000 Quadratkilometer Land zum Preis von zwei Milliarden US-Dollar.

Religiös hat in Brasilien lange Zeit der Katholizismus das Bild bestimmt. Doch in den siebziger Jahren kam es zu einem beschleunigten Wachstum der Pfingstkirchen und zum Wechsel vieler Katholiken in diese Kirchen. Deren zweite Generation, die „Neupfingstler“, führt ihre Kirchen fast wie ein Wirtschaftsunternehmen, Pfarrer sind am Spendenumsatz beteiligt. In jüngster Zeit nimmt auch die Zahl der Konfessionslosen zu, der Anteil der Katholiken an der Bevölkerung ist auf 67 Prozent gesunken. Brasilien wird im Juli Gastgeber des katholischen Weltjugendtreffens. Auf innerkatholische Protestbewegungen wird der neue Pontifex dort nicht stoßen, aber auf eine ganze Palette an Globalisierungsproblemen.

Auf die päpstliche Agenda gehört: Den Ausverkauf von Grund und Boden anprangern und die Menschen in den wachsenden Großstädten erreichen.

Philippinen: Gefangen in den eigenen Machtansprüchen

Die Philippinen sind das „katholischste“ Land Asiens. 92,5 Prozent der Bevölkerung sind nach einem Zensus des Jahres 2000 Christen, 80,9 Prozent der rund hundert Millionen Menschen bekennen sich zum katholischen Glauben. Aber: Ein Viertel der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Das Land leidet unter Übervölkerung. Die katholische Kirche, die eine ungewöhnliche Machtfülle gegenüber Staat und Politik gewonnen hat, konnte sich gleichwohl beim Thema Familienplanung nicht durchsetzen. Fünfzehn Jahre lang hatte sie jede Sexualaufklärung in den Schulen und die kostenlose Vergabe von Verhütungsmitteln blockiert. Nun hat das Parlament ebendies durch ein Gesetz (Reproductive Health Bill) im Januar 2013 erlaubt. Die katholische Kirche schlug jedes Versöhnungsangebot der Regierung aus.

Die katholische Kirche ist im Land auch deshalb so beliebt, weil sie vielerorts Gesundheitszentren unterhält. Nun befürchtet sie, dass ihre Mitarbeiter in Gewissenskonflikte geraten, wenn sie zwischen gegensätzlichen staatlichen und kirchlichen Vorgaben entscheiden müssen.
Wie machtvoll die Kirche ist, zeigte sich in der Vergangen­heit darin, dass es zu breitem Protest gegen frühere Regierungen erst kam, als die Kirche ihn gutgeheißen hatte. Besonders deutlich war das unter dem Diktator Marcos seit 1972. Auch gegen korrupte Politiker brachte die Kirche die Menschen auf die Straße.

Papst Benedikt hatte Asien kaum besucht, sich aber in Lehrschreiben mit der religiösen Lage und dem sozialen Wandel in Asien auseinandergesetzt. Eine kritische Bemerkung über die Machtfülle der philippinischen Kirche war darin nicht zu finden.

Auf die päpstliche Agenda gehört: Ein Umdenken beim Thema Familienplanung und ein klares Wort an die Bischöfe, sich nicht mit politischen Machtspielen zu verzetteln.

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Sehr geehrte Damen und Herren von Chrismon.
Als Bischöflicher Zeremoniar am Hohen Dom zu Mainz (ohne den Prunk und Protz von Rom!) war ich u.a. auch Seelsorger der Chöre am Dom. In dieser Eigenschaft habe ich stets stark ökumenisch ausgerichtet 'gearbeitet' weil mir das bis heute selbstverständlich erscheint. Von einer evangelischen Freundin, die Mitsängerin in unserer Mainzer Domkantorei ist, erhalte ich immer noch die kleine Chrismon-Ausgabe aus der ZEIT - und schätze sie. Als kath. Theologe ist für mich der eine oder andere Artikel nicht so unbedingt einleuchtend oder zugänglich, aber ich bin interkonfessionellen "Streit" zwischen "echten" Reformierten, "tiefgläubigen" Lutheranern und "glühenden" Orthodoxen aus Begegnung, Gespräch und Freundschaft in Bonn, Mainz und meinen orthodoxen-liturgischen Studien in Würzburg gewöhnt - und mit vielen dieser "Streit"-Partner von damals bin ich bis heute befreundet. - Soviel voraus.
Nun habe ich im Internet per Zufall diesen Artikel aus der Ganzausgabe von Chrismon gefunden: Vorschläge von Eduard Kopp - eher eine To do-Liste - für den neuen Bischof von Rom. Wieder einmal steht zunächst das Politische im Vordergrund, die von oben zu schaffende (befehligende?) Veränderung - eigentlich das, was man uns sonst vorwirft, uns von Rom abhängig zu machen.
Sollte nicht erst eine Veränderung in uns selbst, eine andere, neuere Sicht auf den Glauben ( vosichtig von oben angestoßen) und dann den Teilkirchen, Bistümern etc. im Vertrauen auf den Hl. Geist und ihre eigenen Kräfte und Phantasien gefördert werden: Eine Vertiefung von Glaube, Hoffnung und Liebe (ganz fromm ausgedrückt - aber weltverändernd, weil ein gesellschaftlicher Sprengsatz!) aus sich selbst heraus? Das würde dann "Poltik" machen im Namen unseres gemeinsamen Herrn Jesus Christus - und das hätte auch die Kraft, uns wesentliche Schritte im gemeinsamen Tun und daduech auch auf dem Weg zu einer Einheit in christlicher Buntheit und Vielfalt zu führen. Ein Brasilianer als Bischof in Rom erscheint mir dazu eigentlich, trotz seinbes Alters, ein guter Mann, dazu die ersten Schritte einzuleiten. Fordern hilft da nichts - aber ihm die Hände hilfreich über die Konfessionen hinweg zu reichen hat einen unschätzbaren Mehrwert.
Mit österlichen Grüßen

franzrudolf kordel, Dipl.-Theol., Diakon em.

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Pfingst­kirchen und muslimische Fundamentalisten. Das sind zwei weltweit extreme Glaubensrichtungen, die schon gar nicht zusammenpassen oder -harmonieren. Da wird Papst Franziskus auch nicht viel ändern können.

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