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Pippi braucht den Negerkönig nicht
Auch wenn Verlage ihre Kinderbuchklassiker überarbeiten, haben wir keine Diktatur der politischen Korrektheit. Die ist so out wie nie zuvor
Portrait Hanna Lucassen, Redaktion chrismon, Redaktions-Portraits Maerz 2017Lena Uphoff
24.01.2013

Die intellektuelle Öffentlichkeit schreit auf, weil das Wort „Neger“ aus Ottfrieds Preußlers „Kleiner Hexe“ rausfallen soll. Der Begriff sei veraltet und politisch nicht mehr korrekt, so der Thienemann-Verlag.  Im Zuge dessen wurde auch publik, dass Oetinger aus Pippis Langstrumpfs Negerkönigs-Vater schon länger einen Südseekönig gemacht hat. Ein schwerer Fall von Zensur, glaubt nicht nur die ZEIT, noch dazu lange unentdeckt!

Die Negerkussdebatte

Aber warum hat´s bislang keiner gemerkt? Weil sich erwachsene Literaten seit jeher nicht besonders für Kinderbücher interessieren. Und es auch in dieser Debatte nicht tun. Es geht stattdessen mal wieder um „Negerküsse, nein: Mohrenköpfe, nein: Schokoküsse – Mann, das ist mir echt zu doof!“ Denn: Sprache, die vorsichtig mit dem Gefühl anderer umgeht, ist total out. „Politisch korrekt“ ist schon lange ein Synonym für opportunistisch und feige.  Wer im privaten Umfeld  von „Menschen mit Migrationshintergrund“  oder “Menschen mit besonderen Fähigkeiten“ spricht, wird verlacht. Natürlich klingen diese Begriffe komisch. Natürlich gibt es die Gefahr, dass Missstände damit einfach überdeckt werden.  Aber offenbar kann sich keiner mehr vorstellen, dass jemand auch ehrlich mit seinen Formulierungen ringt. Und sich um eine Welt bemüht, in der  Menschen erst einmal als Menschen gesehen werden, und nicht gleich in Schubladen landen.

Und es gibt ja längst eine Gegenströmung. In jeder Talkshow stößt der auf Beifall, der postuliert: Ich lasse mir keinen Maulkorb verpassen! ICH nicht! Deutlich das zu sagen, was ich meine, ohne Rücksicht auf Verluste, ist zu einem Wert an sich geworden. Nicht von ungefähr ist Peer Steinbrück Kanzlerkandidat geworden: Markige Sprüche, deutliche Worte – das gefällt. Wenn das ein Ideal ist, fühlen sich offenbar viele bevormundet, eingeschränkt, in ihrer Freiheit beschnitten. Und nun folgt einem die Sprachpolizei auch noch bis ins Kinderzimmer. An einen der letzten Orte, wo man noch ungehindert Quatsch machen kann. Und eben nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen muss.

Opfer ist heute ein Schimpfwort

Die Gründe, warum wir nicht mehr „Neger“ sagen oder „Kanake“ oder „Krüppel“, treten bei der Debatte in den Hintergrund. Opfer sind offenbar nicht die Minderheiten, die man damit verletzen kann. Opfer sind wir, die wir nicht mehr sagen dürfen, was wir wollen. Dabei sollte man sich um einen Opfer-Status nicht allzu sehr bemühen:  Auch dieser Begriff steckt mitten im Bedeutungswandel. In Schulen ist er mittlerweile zu einem der schlimmsten Schimpfworte geworden.

„Opfer“ sind dort nicht mehr die, auf die man Rücksicht nimmt, sondern die, auf die jeder ungehindert dreinschlagen darf. Frei nach der Haltung: Man ist auch ein bisschen selbst schuld an seiner Stellung. Die Jugend ist immer ein Motor des Sprachwandels. Die Chance, dass sich das durchsetzt, ist also leider groß.

Korrekturen sind willkürlich – aber nicht sofort Zensur

Insofern ist es richtig, dass die großen Kinderbuchverlage auch ihre Klassiker kritisch betrachten und punktuelle Änderungen vornehmen.  Es gibt gute Argumente dagegen, das stimmt. Eine Korrektur geschieht immer im Sinne der herrschenden Ideologie. Im Lied „Komm, lieber Mai und mache“ etwa wird aus einem Fritzchen, das den Winter richtig satt hat, keine Lust auf Vokabeln hat und sich über die strenge Mutter ärgert, in späteren Fassungen ein braves Kind, das sehr wohl die Schönheit des Winters zu würdigen weiß, sich aber schlicht auf den Frühling freut. Kein kritisches Wort mehr  über die Mutter,  keine schlechte Laune oder Ungeduld. Kindheitsideal Ende des 18. Jahrhunderts. Wer nicht will, dass Kunst zum Spielball von Zeitgeist und politischer Wetterlage wird, und damit auch in Zeiten von Diktatur keine Gegenwelt mehr bieten kann, muss jegliche „Modernisierungen“ ganz ablehnen.

Aber ganz ohne kleine Anpassungen an die heutige Sprache geht es ohnehin nicht, das haben Verlage  ganz zu Recht immer zu ihren Aufgaben gezählt. Deshalb: Ein Dammbruch zu Zensur und Umschreibung ist der „Südseekönig“ sicher nicht. Keine Staatsmacht steht dahinter. Niemand will die Originaltexte und älteren Ausgabe  zerstören oder der Öffentlichkeit vorenthalten, was in Zeiten digitaler Konservierung ohnehin kaum möglich ist. Einige Kommentatoren wollten den „Neger“ im Kinderbuch als Stolperstein erhalten sehen – biete er doch einen wunderbaren Anlass, beim abendlichen Vorlesen mit den Kindern über Rassismus zu sprechen. Ich glaube, da gibt es noch eine Menge anderer Gelegenheiten.

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Kommt dann bald jemand auf die Idee "Faust" zu ändern, oder sonstige Literatur, in denen Worte wie "Weib" ganz selbstverständlich gebraucht werden. Meine Meinung: Die Bücher so lassen wie sie geschrieben wurden und lieber die Worte den Kindern erklären, ob persönlich, oder mit Fussnote. Sonst sterben irgendwann Worte aus.

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Für mich ich das Ganze Ausdruck der Deutschen und ihrer Blockwartmentalität.
Beispiel: Die Kür eines "Unwort des Jahres" ist bereits ein intellektueller Übergriff von selbsternannten Blockwarten des Denkens.
Amüsant: Wie zitiere ich denn diese Buchpassagen demnächst? Was für ein Dilemma bei Promotionen!
Doch der Volksmund wehrt sich. Dieser Tage hörte ich zum Thema einen Kollegen, der den Begriff "Negerkuss" hanebüchen politisch korrekt umschrieb: "Schaumdessert mit Schokoladenüberzug auf Migrationshintergrund". Albern, nicht?

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Peer Steinbrück wurde Kanzlerkandidat, weil er in´s politische Kalkül passte - nicht wegen seiner Semantik.
Artikel, die die Grundlagen historisch-kritischer Exegese nicht mal tangieren, gehören nicht auf ein evangelisches Publizistik-Portal. Bitte mal ein disclosure: welche Standards müssen Ihre "Redaktionsmitglieder" erfüllen? Und mit welchem Recht unterdrücken Sie autorenkritische Kommentare von evangelischen Christen?

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Verehrte chrismon Redakteurin Hanna Lucassen,
auch nach Ihrem Versuch, die nachträgliche Zensur der genannten Kinderbücher schön zu reden, bleibt es eine lächerliche Geschichte der political correctness. Ich esse weiterhin Negerküsse und komme mir dabei weder rassistisch noch rechtspopulistisch vor.

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