Michael Ondruch
Sträflich prügeln
Sicherlich sollten sie es nicht. Allerdings empfehlen einzelne Prediger in den USA Prügel und drakonische Strafen.
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
25.06.2013

Sean Paddock starb 2006 im Alter von vier Jahren. Seine Adoptivmutter aus North Carolina hatte ihn mit einem Hartplastikschlauch geprügelt und in Tüchern erstickt. Ein ähnliches Schicksal traf die 13-jährige Hana Williams 2009 im Bundesstaat Washington, ebenso die 7-­jährige Lydia Schatz 2010 in Kalifornien. Stets waren die Eltern dem Rat des freischaffenden Predigerehepaars Michael und Debi Pearl gefolgt. Das Paar rät, widerspenstige Kinder konsequent zu schlagen. Ihr Rat sei biblisch, behaupten sie. Im Buch der Sprüche Salomos 13,24 heißt es: „Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn.“

Gläubige Christen schlagen ihre Kinder häufige als andere - so hat es Christian Pfeiffer vom Krimonologischen Institut in Hannover herausgefunden. Henning Kiene kann so eine Handlung einfach nicht verstehen und ist wütend darüber.

2010 erfuhr der niedersächsische Kriminologe Christian Pfeiffer über einen ­Artikel in der „Süddeutschen Zeitung“ vom grausamen Erziehungsbuch der Pearls. In Deutschland seien bereits 4000 Exemplare verbreitet, stand dort. Pfeiffer stellte ge­rade eine Untersuchung mit 45.000 Neuntklässlern über prügelnde Eltern fertig. Er sah noch einmal in der Statistik nach und entdeckte: 431 der befragten Schüler hatten ihr Elternhaus als „evangelisch-­freikirchlich“ eingeordnet. Auffällig viele von ihnen, vor allem die aus streng-reli­giösen Elternhäusern, gaben an: Ihre Eltern hätten sie geschlagen.

Sollten ausgerechnet freikirchliche Protestanten eine Neigung haben, Kinder zu züchtigen? „Evangelisch-freikirchlich“ kann vieles heißen. Die liberale, weltoffene Baptistengemeinde, in der Christian Pfeiffer an manchen Sonntagen als ehrenamtlicher Prädikant die Predigt hält, ist evangelisch-freikirchlich. Aber auch weltabgewandte Sektierer können sich so nennen.

Frühchristliche Kinderrechte

Welche Gruppe sich auch immer hinter den Befragten verbirgt: Was könnte ihre rigorose Haltung motivieren? Denn gerade für Menschen, die sich an der Bibel orientieren, sollte das Wohlbefinden der Kinder ein Herzensthema sein. „Lasst die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht“, mahnte Jesus seine Jünger (Markus 10,14), „denn solchen gehört das Reich Gottes.“ Und der Apostel Paulus schrieb an die Gemeinde in Rom: „Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet, sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen“ (Römer 8,15).

 Diese Worte wurden zu einer Zeit verfasst, in der Kinder völlig rechtlos waren. Der antik-römische Familienvater durfte seinen Nachwuchs aussetzen oder verkaufen. Er konnte auch Neugeborene straflos töten, wenn er ihrer überdrüssig war. „Du sollst ein Kind nicht abtreiben und das Geborene nicht töten“, verfügte streng ­eine christliche Schrift, die um das Jahr 100 verfasst wurde, die sogenannte Zwölf­apos­tel­lehre. In ihrem Erbe steht bis heute der oft kompromisslose Kampf der römisch-katholischen Kirche gegen Abtreibung.

Als Pfeiffer seine Untersuchung veröffentlicht hatte, reagierte als Erste die evangelikal geprägte Evangelische Allianz. Anfang 2011 stellte sie in ihrem Magazin „EiNS“ klar: Gewalt gehört nicht in die Kindererziehung, schon gar nicht in die christliche. Eine Autorin schreibt, Eltern zufriedener Kinder würden zwar Regeln setzen. Doch „sie verzichten auf jegliche Form seelischer und körperlicher Gewalt“.

"Gewalt sei fern den Dingen"

Michael und Debi Pearl haben sich bis heute nicht von ihrem Ratgeber distanziert. Sie behaupten, die mordenden Eltern hätten ihren Rat falsch befolgt. Die Pearls berufen sich auf einzelne alttes­tamentliche Sätze. Zugleich aber klammern sie aus, dass Jesus die Kinder auf eine Weise wertschätzte, wie es damals noch unbekannt war. Und dass er Schwächere ausnahmslos in Schutz nahm. In Deutschland wurde die pädagogische Hetzschrift der Pearls zu Recht als jugendgefährdend eingestuft.

Andere verstanden die Bibel besser. Der Pädagoge Johann Amos Comenius zum Beispiel. Während Europa unter den Gewaltexzessen des Dreißigjährigen Krieges litt, empfahl er Erziehern: „Alles fließe aus eigenem Antrieb, Gewalt sei fern den Dingen.“ Als Lehrer begeisterte Comenius seine Schüler, selbst verbale Roheit sollte in seinem Unterricht nicht sein. So verhalf er einem christlichen Ideal zu seinem Recht: der Erziehung ohne jede Gewalt.

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