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Was gibt uns eigentlich Sicherheit? Eine schöne Lebensversicherung, Aktien, ein Häuschen? Wir fürchten: Nichts von alldem
20.03.2013

„Soviel du brauchst“ ist eine ganze Menge. Der bevorstehende Kirchentag in Hamburg (1. – 5. Mai 2013) hat mit diesem Motto sicherlich an mehr gedacht als an Geld und Wohlstand. Doch im Zweifel muss jeder selbst darauf achten, dass die Kasse stimmt, und finanzielle Vorsorge betreiben. Aber, ach, das ist gar nicht mehr so einfach wie früher. 

Vielleicht etwas zurücklegen für später?

Nach über fünf Jahren Finanzkrise ist so ziemlich jede ökonomische Krisenfolge untersucht und jeder einschlägige Sünder identifiziert, als da sind: Banker, Politiker, Ratingagenturen, Spekulanten sowie tote griechische Rentner. Wir haben gelernt, dass man Häuser nur kaufen sollte, wenn man sie sich auch leisten kann (Subprime-Krise), Finanzprodukte nur, wenn man sie auch versteht, und Anleihen von kleptokratisch-dysfunktionalen Staaten am ­besten überhaupt nicht. Wir wissen jetzt, dass sich auf Pump wunderbar bluffen lässt, als Bank genauso wie als Staat, solange kein Gläubiger „Ich will sehen!“ ruft. Und dass man nicht zu viele Bluffs gleichzeitig entlarven sollte, um nicht das Kartenhaus des Finanzsystems zum Einsturz zu bringen.

Es wurde viel geschimpft in den vergangenen Jahren über die unverantwortlichen Verantwortlichen – siehe oben – und gedroht und auch ein bisschen reguliert, vor allem aber gerettet auf Steuerzahler- und Sparerkosten. Und nun, mit etwas Glück, haben wir das Schlimmste hinter uns. Vielleicht. Sind am Finanz-Armageddon vorbeigeschrammt. Das ganze ach so interdependente System aus Verschuldung, Hebelung und Vermögen könnte ja krisenfester geworden sein. Zumindest haben wir etwas Zeit gewonnen. Zeit, um wieder an die Zukunft zu denken. Um vielleicht etwas zurückzulegen für später...

Nicht mehr angewiesen auf Generationenverträge?

Es gibt da nur ein Problem: Die alte Unbekümmertheit der Eichhörnchen, die so fleißig Rücklagen für die Zukunft bilden – sie wird nicht wiederkommen. Verwundert reiben wir uns nämlich inzwischen die Augen und staunen: Haben wir tatsächlich einmal geglaubt, wir müssten nur genug Nüsse sammeln, genug zurücklegen, kapitalgedeckt vorsorgen, um unabhängig von anderen Menschen zu sein? Ja, haben wir, und es wurde und wird uns immer wieder als der intelligentere Umgang mit einer unsicheren Zukunft nahegelegt. Von Freunden und Verwandten, von Bankberatern und Versicherungsvertretern, von Politikern und Ökonomen. Es ist eine der beliebtesten und folgenreichsten Lügen: Menschen seien die besseren Eichhörnchen und bräuchten andere Menschen nicht. Wer gut spare, sei nicht mehr angewiesen auf Solidarität oder fragwürdige Generationenverträge.

Tatsächlich, die Vorstellung ist attraktiv: Eichhörnchen sammeln Vorräte, die sie im Winter verbrauchen. Menschen schließen Vorsorgeverträge ab, die sie im Alter nähren. Eichhörnchen bilden einen Kapitalstock aus Nüssen. Menschen bilden einen Kapitalstock aus, ja was eigentlich, sagen wir einmal aus Kapital. Und an dieser Stelle sollte man jetzt lieber nicht weiterfragen, weil sonst die Analogie zerplatzt. Denn was Kapital eigentlich ist, davon haben insbesondere Ökonomen, aber auch alle anderen sehr diffuse Vorstellungen.

Die sichere Geldanlage ist ein Widerspruch in sich

Eichhörnchen wissen, dass ihre Vorräte ein Verfallsdatum haben. Menschen glauben (oder es wird ihnen von interessierter Stelle so vermittelt), dass Kapital irgendwie ewig bestehen könnte – wenn Staat, Zentralbank, die lieben Nachbarn in Süd­europa sich nur richtig verhielten, wenn Fondsmanager oder Unternehmenslenker die richtigen Entscheidungen träfen, oder – ein etwas abseitigeres Beispiel – wenn der Euro endlich wieder durch die D-Mark, noch besser: die Goldmark ersetzt würde. Es ist eine verlockende Lüge, weil sie die Fiktion von Unabhängigkeit transportiert: Wir haben was zurückgelegt, was uns ­gehört. Wir brauchen niemanden mehr.  
Es gibt da nur ein Problem. Egal, in welcher Form von Kapital Menschen Vorsorge betreiben – es existiert nur wegen des Goodwills (oder des kollektiven Wahns) anderer. Die „sichere Geldanlage“ ist ein Widerspruch in sich, im besten Fall ein Marketingclaim von Bankberatern und Versicherungsvertretern in guten Zeiten.  

Wir können zwar erwarten, dass Aktionäre auch in 40 Jahren noch Anteil an der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung bekommen werden; dass manche Schuldner dann wirklich ihren Schuldendienst noch leisten werden; und es besteht tatsächlich eine reelle Chance, dass vermietete Immobilien auch in einigen Jahrzehnten noch einen Ertrag bringen, der hoffentlich über den Kosten ihrer Instandhaltung liegen wird; und dass vielleicht irgendwann sogar wieder Spareinlagen und deutsche Staatsanleihen den realen Kapitalerhalt gewährleisten; vielleicht lohnen sich bis dahin die in Inflationspanik getätigten Käufe von Großstadtwohnungen und Ackerflächen; und ja, selbst das langlebige, barbarische Relikt Gold wird wohl in 40 Jahren noch einen Tauschwert haben. Nur welcher das sein wird, das ist unklar.

Wer wird in 40 Jahren das kollektive Seniorenheim finanzieren?

Und damit ist das ganze schöne Vorsorgekalkül alles andere als unabhängig von anderen Menschen. Insbesondere von Menschen, die noch gar nicht geboren sind und noch nicht gefragt wurden, ob sie all diese gesellschaftlichen Verträge bedienen wollen. Vielleicht haben sie ja ganz andere Vorstellungen, wie die von ihnen dann erwirtschaftete Wertschöpfung verteilt werden soll? Zudem braucht es schon einiges an Optimismus, um anzunehmen, dass in 40 Jahren strebsame, gutwillige junge Menschen irgendwo auf einem anderen Kontinent das kollektive europäische Seniorenheim finanzieren werden, nur weil wir hier ein paar Riesterverträge abgeschlossen haben.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Vorsorge zu treffen ist richtig, sparen – noch besser: investieren – auch. Am besten schön diversifiziert. Glücklich all diejenigen, die Rücklagen bilden können. Nur: Als allein seligmachende Handlungsempfehlung, gar als Gesellschaftsmodell taugt die Eichhörnchen-Analogie nicht. Erstens weil die Mehrzahl der Menschen nie auch nur annähernd genug zurück­legen kann. Zweitens weil die wenigsten in der Lage sind, ihr Vermögen so zu diversifizieren, dass es den Fährnissen der Finanzwelt standhält – die meisten klumpen ihr Anlagerisiko zu einem Brei aus Versicherungsverträgen, Tagesgeld und Spargroschen zusammen. Drittens weil schon die Arithmetik dagegen spricht, dass alle gleichzeitig ihr Geldvermögen erhöhen können – es muss schlichtweg eine (verschuldete) Gegenseite vorhanden sein, wenn wir mit unseren Guthaben auch in Zukunft Eindruck schinden wollen. Und viertens wird es mit zunehmendem Wohlstand in der Welt immer schwieriger, all das ­an­lagebedürftige Kapital einiger­maßen sicher und rentierlich unterzubringen – was logischerweise dazu führen muss, dass die Risiken der Geldanlage tendenziell zu- und nicht abnehmen werden.

"Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon"

Was also tun mit der unsicheren Zukunft? Alles schnell ausgeben und nicht an morgen denken – oder noch mehr zurücklegen? Die bibelfesteren Nager er­innern sich vielleicht, was dazu im Lukas­evangelium steht: „Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit, wenn er zu Ende geht, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten“ (Lukas 16,9). Das kann man nun als weltfremde Sozialromantik interpretieren – oder als ziemlich realistische Überlebensstrategie. Genauso wie man Menschen belächeln oder beneiden kann, die ihre Rücklagen in ein Wohnprojekt stecken, zum Beispiel in ein Mehrgenerationenhaus, oder in einen Nachbarschaftsverein, um so etwas mehr Sicherheit für die nächsten Lebensetappen zu gewinnen. 

Unser persönlicher Wohlstand in der Zukunft hängt jedenfalls mehr davon ab, wie tragfähig unsere Beziehungen sind und was wir dafür an Zeit und Geld und Überzeugung einsetzen, als daran, ob wir den optimalen Riestervertrag unterschreiben oder welche Eigentumswohnung wir erwerben. „It’s your neighbour, stupid.“ Wer das kapiert hat, findet auch wieder das richtige Maß fürs Schätzesammeln. Und mutiert nicht zum Eichhörnchen.

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