Ist Mystik nur eine Mode?
Utensilien für die Zen-Meditation gibt es heute schon im Baumarkt zu kaufen - religiöse Gefühle gegen klingende Münze. Und aus dem Popstar Madonna wird Esther. Mystik verkauft sich eben gut
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
06.08.2013

Madonna, der Popstar, bekennt sich neuerdings zur jüdischen Mystik. Bewunderte sie noch vor wenigen Jahren Maria, die Mutter Jesu, wandelt sie heute auf dem Glaubensweg der Kabbala und möchte in Zukunft Esther genannt werden. Sie rechnet sich dem Jewish Renewal zu, einer religiösen Reformbewegung in Kalifornien, die althergebrachte jüdische Traditionen für ökologische und feministische Gedanken öffnete und mit buddhistischer Meditation sowie hinduistischer Seelenwanderung zusammenbringt. Nach jüdischer Glaubensüberzeugung ruht am Sabbat die Arbeit, und auch Madonna-Esther rührt dann kein Mikrophon an.

Portrait Eduard KoppLena Uphoff

Eduard Kopp

Eduard Kopp ist Diplom-Theologe und chrismon-Autor. Er studierte Politik und Theologie, durchlief die Journalistenausbildung des ifp, München, und kam über die freie Mitarbeit beim Südwestrundfunk zum "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt" nach Hamburg. Viele Jahre war er leitender theologischer Redakteur bei dieser Wochenzeitung und seinem Nachfolgemedium, dem evangelischen Magazin chrismon. Seine besonderen Interessengebiete sind: Fragen der Religionsfreiheit, Alltagsethik, Islam, Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, Krieg und Frieden.

Der Mystiktrend hat inzwischen auch Einzug in Baumärkte gehalten: Es gibt Tischtabletts nach Art buddhistischer Meditationsgärten zu kaufen. Auf ihnen lässt sich weißer Sand mit einem Minirechen um Kiesel herum in feinen Linienmustern verteilen. In Wirklichkeit sind solche Gärten viel größer und erlauben asiatischen Mönchen und ruhebedürftigen Europäern, bewegungslos über Stunden davor zu sitzen. Im fein geharkten Sand, in dem die Natur völlig beseitigt ist, vermögen sie eine Einladung zu sehen, aus ihren Köpfen alle Inhalte zu vertreiben, und sie hoffen dann darauf, dass in diese Leere Erleuchtung falle.

Auch für Jugendliche ist der Begriff "mystisch" kein Fremdwort. Die Firma Nintendo ist mit ihrem Computerspiel "mystic quest" seit Jahren auf dem Markt, ein Spiel, in dem es jede Menge Tempel, Fabelwesen und Streitkräfte gibt, wobei auffällt, dass manches mystisch genannt wird, was eigentlich mythisch ist, also mit alten Erzählungen zu tun hat.

Mystik, aus dem Griechischen und Lateinischen zu übersetzen als "Geheimlehre", ist eine Form der Frömmigkeit, bei der Menschen vor allem durch Versenkung und Meditation zur Begegnung mit Gott gelangen wollen. Wer sich auf diesen Weg begibt, strebt nach besonderen Erfahrungen und Erlebnissen, nicht nach intellektueller Klarheit. Häufig befinden sich die Mystiker deshalb in einer Gegenposition zu den Intellektuellen und Gesetzeslehrern ihrer Religionsgemeinschaften.

Gottesbegegnung als intensiver Glücksmoment

Die christliche Mystik, die im 12. und 13. Jahrhundert ihre Hochphase hatte, gewinnt gegenwärtig im Sog der kirchendistanzierten Religionsneugier wieder an Bedeutung. Zudem bringt der Asientourismus Europäer vermehrt in Kontakt mit Hindus und Buddhisten, bei denen Asketen – auch sie sind Mystiker – besondere Wertschätzung genießen.

Mystiker berichten davon, dass sie nach langer, mühevoller Meditation oder auch völlig unerwartet und ohne Vorbereitung das ersehnte religiöse Erlebnis hatten. Sie beschreiben ihre Gottesbegegnung als intensiven Glücksmoment oder als Ekstase, als stürmische Zuneigung Gottes zu ihrer Person oder schlicht als Bewusstseinserweiterung. Eine ekstatische Gotteserfahrung machte auch Teresa von Avila, die christliche Mystikerin schlechthin. Der Barockbildhauer Gian Lorenzo Bernini (1598–1680) stellte diesen Moment in einer berühmten Marmorplastik dar, die heute in der römischen Kirche Maria della Vittoria anzuschauen ist: Teresa liegt mit leicht geschlossenen Augen, innerlich aufgewühlt da, ein Engel zielt mit einem Liebespfeil auf ihr Herz.

Manche Menschen, die auf der mystischen Suche nach Gott sind, vernachlässigen ihre sozialen Beziehungen, andere fühlen sich durch "innere Stimmen" gerade gedrängt, politisch Position zu beziehen. So forderte die Ordensfrau Katharina von Siena im 14. Jahrhundert aufgrund religiöser Erfahrungen den Papst zum Krieg gegen die Türken auf, und Martin Luther begründete seinen Aufruf, den Aufstand der Bauern mit Gewalt zu unterdrücken, mit einer Eingebung Gottes. Anders als Buddhisten oder Hindus sehen nur wenige Christen ihr Ziel darin, sich selbst in einen Zustand ohne Gefühle zu versetzen. Es widerspräche dem Prinzip der Nächstenliebe.

Die Namensliste der Mystiker ist lang. Der Italiener Franz von Assisi, der den Tieren predigte, zählt dazu wie auch der deutsche Ordensmann Meister Eckhart, der jüdische Philosoph Martin Buber ebenso wie der libanesische Dichter Khalil Gibran, der französische Jesuit Teilhard de Chardin und auch der Gründer der Herrnhuter Brüdergemeine, Nikolaus von Zinzendorf. Dorothee Sölle, die politische Theologin, hat mehr als drei Jahrzehnte ihres Lebens darüber nachgedacht, wie ein zugleich mystisches und politisches Christentum aussieht.

Ist Mystik eine Mode? Im Fall von Madonna und der Spielzeug-Zengärten vermutlich ja. Doch in den Religionen gibt es die Mystik schon immer als ernsthafte Strömung. Der katholische Theologe Karl Rahner ging sogar so weit zu sagen: "Die Kirche der Zukunft wird mystisch sein – oder sie wird nicht mehr sein."

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