Ihr Vater stammt aus Ghana, seiner ist Franzose
Zwei typische Deutsche erkunden: Was ist eigentlich deutsch an uns?
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
08.08.2013

chrismon: Frau Ampaw, mögen Sie Volksmusik?

Pia Ampaw: Mögen? Ich kenne mich ehrlich gesagt nicht aus. Ich gucke kaum Fernsehen, und schon gar keine Volksmusik.

Sie, Herr Mentzel?

Achim Mentzel: In meiner Freizeit hör ich das nicht gerade. Ich hör es, weil ich mich auf meine Volksmusik-Sendungen vorbereiten muss. Zu Hause höre ich das, womit ich selbst älter geworden bin: Beatles, Rolling Stones, auch Abba.

Was ist für Sie typisch deutsch?

Mentzel: Pünktlichkeit, Ordentlichkeit, Zucht, Ordnung. (lacht)

Ampaw: Dann bin ich auf jeden Fall typisch deutsch. Ich musste das feststellen, als ich meinen Vater in Ghana besucht habe. Ich bin in Unna aufgewachsen ohne meinen afrikanischen Vater, meine Mutter ist Deutsche. Ich habe von der afrikanischen Lebensart nichts mitbekommen. Im Gegenteil, ich habe einen Ordnungstick. In Afrika hatte ich deshalb Probleme. Da ist alles so chaotisch, laut und anstrengend. Auch in meiner afrikanischen Familie geht es ganz anders zu als in meiner deutschen Familie: Die Frau ist da, um zu kochen und zu putzen und Kinder zu versorgen. Leben könnte ich da nicht.

Wenn es nach der Abstammung ginge, wären Sie beide nur zur Hälfte Deutsche.

Mentzel: Richtig. Mein leiblicher Vater war Franzose. Das habe ich aber erst ganz spät erfahren. Meine Mutter wohnte im Krieg bei ihrer Familie im Saarland. Ihr Mann musste irgendwo im Osten Flugzeugmotoren bauen und durfte wegen der Geheimhaltung keine Briefe schreiben. Später war er Kriegsgefangener. Meine Mutter dachte: Der meldet sich nicht, der ist tot. Nach dem Krieg haben dann die Franzosen das Saarland besetzt. Ein dunkelhaariger französischer Soldat hat meiner Mutter besonders gefallen. So war sie dann bald im dritten Monat mit mir schwanger, als plötzlich ihr Mann auftauchte. Der kam aus Berlin, sah ihren Bauch und sagte: „Das ist mein Kind, das nehme ich mit“, und ist mit ihr nach Berlin zurück. Ich habe es ihm nie angemerkt. Nur wenn ich oft aus Spaß gesagt habe: „Guck mal, ich sehe ganz anders aus als meine Schwester Karin“, dann ist meine Mutter immer heulen gegangen und mein deutscher Vater hat betreten geguckt. Erst als ich dann zwanzig war – da war mein deutscher Vater schon tot –, hat mir meine Mutter gestanden: „Achim, wir hatten im Krieg eine Einquartierung.“

Ampaw: Weißt du denn, was aus deinem französischen Vater geworden ist?

Mentzel: Als mir meine Mutter das erzählte, hat sie auch gesagt: „Achim, der französische Soldat war verheiratet und hatte zwei Kinder. Du hast da also noch zwei Geschwister, die sind so ungefähr drei Jahre älter als du.“ Also Halbschwestern. Die hab ich ausfindig gemacht und denen geschrieben, ich bin der und der. Und dann haben die mich eingeladen. Aber da war mein französischer Vater schon gestorben. Was meine Mutter nicht wusste: Mein leiblicher Vater hatte noch einen Sohn, ich hab also noch einen Halbbruder. Und der sieht nun genauso aus wie ich. Das war das Erstaunliche. Eine Birne, sagenhaft!

Ampaw: Wie habt ihr euch verstanden?

Mentzel: Na ja, meinen derben deutschen Humor konnte ich aus sprachlichen Gründen nicht rüberbringen. Aber die haben gemerkt: Das ist ein fröhlicher, aufgeschlossener Mensch. Und als meine Lieder liefen, haben die genauso geschunkelt, obwohl die den Text nicht verstanden haben. Natürlich: Zwei, drei Pastis haben wir auch getrunken.

Frau Ampaw, manche gehen davon aus, dass Deutsche eine weiße Haut haben. Fühlen Sie sich als Exotin in Deutschland?

Ampaw: Als Exotin schon, aber nicht unwohl. In der Kleinstadt, wo ich aufgewachsen bin, war das ganz normal. Als ich später zu meinem Vater nach Ghana flog, kam ich in einen Aufenthaltsraum, wo nur Afrikaner warteten. Als Erstes dachte ich: „Du bist jetzt die einzige Weiße.“ Da war ich 19. Und dann habe ich gemerkt: „ Moment mal, du bist gar nicht weiß.“ Da ist es mir das erste Mal richtig bewusst geworden. Seitdem denke ich manchmal während der Bahnfahrt: „Du bist jetzt die einzige mit dieser Hautfarbe. Wie wohl die Leute über dich denken?“

Mentzel: Und was denken die? Ich meine: Drehen sich denn Leute nach dir um?

Ampaw: Also, jemand der mit mir zum ersten Mal durch die Stadt geht, wundert sich, warum ihn plötzlich alle Leute anstarren. Ich werde wahrgenommen. Ich selbst merke das nur, wenn mich mein Begleiter anspricht und sagt: „Die Leute gucken uns die ganze Zeit an.“

Mentzel: Mensch, die finden dich schön!

Ampaw: Ich glaube, dass es mit beidem zu tun hat. Ich habe mir das so erklärt: Wenn man mich sieht, muss man erst mal überlegen: Ist sie Inderin oder aus Afrika, Äthiopien, Brasilien. Deswegen bleibt man vielleicht ein wenig länger daran hängen.

Sie könnten ja auch Deutsche sein.

Ampaw: Das ist das Lustige. Man hat mich schon für alles gehalten, Spanierin, Portugiesin, aber noch nie für eine Deutsche.

Pia Ampaw: „Man hat mich schon für alles gehalten: Spanierin, Portugiesin, aber noch nie für eine Deutsche“

Mentzel: Aber auf Englisch hat dich noch keiner angesprochen?

Ampaw: In München habe ich mal einen Mann gefragt: „Wo ist denn hier der Eingang zum Theater?“ Und er hat geantwortet: „Ja mei, sprechen’s denn Deutsch?“ Da hab ich gesagt: „Ja, ich spreche Deutsch, und zwar besser als Sie.“ Das war einfach unglaublich, aber mich stört das nicht. Ich kann darüber lächeln.

Was mögen Sie eigentlich an Deutschland?

Mentzel: Deutschland hat eine wunderschöne Landschaft, herrliche Berge, zwei Meere, die Heide, viele Wasserwege...

Ampaw: Ich mag die Art, wie ich hier leben kann. Ich fühle mich nicht eingeengt. Und ich weiß, dass ich in vielen Erdteilen als Frau nicht so frei leben könnte wie hier. Auch mit den Menschen, mit denen ich hier zusammenlebe, fühle ich mich wohl.

Mentzel: Ich finde auch die Menschen in Deutschland gut. Sie haben es mir ermöglicht, dass ich mit meinem Hobby durchs Leben komme. Dass ich meine Musik machen kann, mein Publikum habe. Das hätte ich woanders vielleicht nicht.

Ampaw: Ich mag es, dass ich im Kaufhaus Sachen aus aller Welt finde. Ich mag die Möglichkeiten, die ich hier habe. Mein Lieblingsland würde ich Deutschland nicht nennen. Das hat aber mit dem Wetter zu tun, nicht mit der Mentalität. Wenn hier die Sonne mehr scheinen würde, wenn es etwas mediterraner wäre, wären die Leute ein bisschen lockerer, dann würde ich mich hier super fühlen. Denn die Lebensqualität ist hier gut.

Ampaw: „Ich mag an Deutschland, dass ich hier als Frau so frei leben kann“

Abgesehen vom Wetter, was missfällt Ihnen an Deutschland?

Mentzel: Die Deutschen klagen zu viel.

Sie meinen, sie jammern zu viel?

Mentzel: Nein, klagen, mit Rechtsanwalt und allem. Du sagst irgendwas, und zack, schon klagt einer. – Pia, ich verklage dich, weil du vorhin beim Fotografieren den Gartenzwerg nicht halten wolltest. Du musst mir eine Entschädigung zahlen. – Also bitte, das ist doch der größte Blödsinn überhaupt.

Das würde ja ein anderes Klischee über die Deutschen bestätigen: die Humorlosigkeit.

Ampaw: Die Deutschen allgemein? Weiß ich nicht. Was mir auf der Straße begegnet, finde ich manchmal wirklich unwitzig. Neulich bin ich mit einem Kollegen Zug gefahren. Ich saß am Fenster, neben mir war der Platz besetzt und mein Kollege saß am Gang. Und der Mann in der Mitte wollte sich partout nicht ans Fenster setzen, noch wollte er sich auf die andere Seite setzen, weil er diesen Platz bezahlt hatte. Und das finde ich auch typisch deutsch. Er sagte immer: „Ich habe für diesen Platz bezahlt, wenn Sie sich woanders hinsetzen wollen, bitte schön, ich bleibe hier sitzen.“ So was schockt mich, und so was passiert mir hier öfter und das finde ich nicht sehr lustig.

Mentzel: Na gut, das sind nur wenige Beispiele, die einem im Gedächtnis bleiben.

Ampaw: Das würde so in einem anderen Land nicht passieren.

Mentzel: Ich vermute ganz stark, das würde in Italien auch passieren. Die Menschen sind halt so.

Ampaw: So denke ich nicht. Ich war zwei Jahre in Spanien. Die haben auch ihre Macken, das gibt es ja nicht, dass alle fehlerfrei sind. Aber es ist anders.

Viele sagen, Deutschland sei kinderfeindlich. Stört Sie das auch?

Mentzel: Es heißt immer wieder, Deutschland sei kinderunfreundlich, weil zwei, drei Leute mal mitgekriegt haben, dass irgendein Vermieter keine Hunde und keine Kinder im Haus haben will. Gut, so etwas gibt es. Aber ich finde uns nicht kinderunfreundlich.

Ampaw: Meine Freundin hat jetzt ein Kind bekommen, und die erzählte, es wäre wahnsinnig, wie die Leute reagieren. Jeder würde es anlächeln und streicheln und die Treppen zur U-Bahn hochtragen wollen. Ich kenne auch andere, die sagen: „Keiner hilft mir, wenn ich mit meinem Kind durch die Stadt fahre.“ Wahrscheinlich kommt der Ruf, dass wir kinderunfreundlich seien, nicht daher, dass wir keine Kinder mögen. Sondern daher, dass es wenig Spielplätze in Wohngebieten gibt. Allerdings wurde bei mir in der Nachbarschaft gerade ein Parkplatz in einen Spielplatz umgewandelt.

Beklagen sich denn Kinder bei Ihnen im Kinderkanal?

Ampaw: Wir bekommen schon recht viele Rückmeldungen von Kindern. Aber wenn die sich beklagen, dann über ihre Eltern und ihren unmittelbaren Bekanntenkreis. Den Kindern fehlt ja der Vergleich, wie es Kindern in anderen Ländern ergeht.

Warum bekommen wir Deutsche denn aber im Durchschnitt weniger Kinder als die meisten anderen Nationen?

Mentzel: Das kann ich nicht sagen, weil ich achte habe. Ich habe den Durchschnitt wieder nach oben korrigiert.

Sie haben sich außerdem den Ruf als Deutschlands klügster Kopf erworben, Herr Mentzel.

Ampaw: Echt?

Mentzel: Ich habe in einer Fernsehshow vom WDR mal einen „Länder-Pisa-Test“ gewonnen. Das war Zufall. Aber ich habe auch an den Reaktionen der anderen gemerkt: Das passt nicht richtig ins typisch bundesdeutsche Konzept.

Achim Mentzel: „Dass ein Volksmusiker der Klügste ist, passt vielen nicht ins Konzept“

Was passt da nicht rein?

Mentzel: Na, dass der Schlaueste aus Ostdeutschland kommt, und dann auch noch aus der Volksmusik. Das geht doch gar nicht. Wie kann denn einer aus der Volksmusik schlau sein?

Ampaw: Warum kann er das nicht?

Mentzel: Das Klischee sagt: Volksmusiker sind dumm, weil sie verdummende Texte singen. Der Schlaueste kann nur aus der Liedermacherszene oder aus der Rockszene kommen. Und er muss irgendwo aus Nordrhein-Westfalen oder aus Bayern sein. Und dann sagt Jörg Pilawa, der Showmaster in dieser Sendung: „Einer hat noch mehr richtige Antworten als jeder andere, der hier teilgenommen hat. Und das ist Achim Mentzel.“ Mein Faxgerät hat auch nie so viel Papierstau gehabt wie in den folgenden Tagen: mit Gratulationen von Leuten aus meinem Genre. Also von Leuten, die ich in meiner Volksmusiksendung vorstelle. Die haben gesagt: „ Toll, Achim! Jetzt haste uns erst mal ein bisschen rausgeholfen aus dem Klischee Volksmusik.“

Ampaw: Über Volksmusik kenne ich viele Klischees. Aber dass Volksmusiker dumm seien, habe ich noch nie gehört.

Mentzel: Jeder regt sich doch auf über die angeblich verdummenden Texte der Volksmusik. Und über mich denken sie: Das ist so ein Kasper, der hopst da nur rum und singt: „Bring uns noch’n Bier“ und so einen Kram. Klar, ich sing auch einige Bierlieder, muss ich zugeben. Obwohl ich ja kein Bier trinke. Ich sehe nur so aus.

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