Beichten auch die Protestanten?
Manchmal erscheint das eigene Leben wie ein Scherbenhaufen. Wer will, sucht dann Zuflucht in der persönlichen Aussprache über Schuld und Reue - ein kirchliches Angebot mit einer wechselhaften Geschichte.
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
05.08.2013

Zu mitternächtlicher Stunde nimmt Priester Michael Logan eine unheimliche Beichte ab: Sein Küster gesteht einen Mord. Logan rät ihm, sich der Polizei zu stellen. Doch dem Küster fehlt der Mut. Später verdächtigt die Polizei den Priester des Mordes. Logan könnte sich leicht vom Verdacht befreien. Doch er wahrt das Beichtgeheimnis. Das Gericht spricht Logan mangels Beweisen frei. Das Publikum aber tobt und verlangt Rache. Logan schwebt in großer Gefahr.

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Burkhard Weitz

Burkhard Weitz war als chrismon-Redakteur bis Oktober 2022 verantwortlich für die Aboausgabe chrismon plus. Er studierte Theologie und Religionswissenschaften in Bielefeld, Hamburg, Amsterdam (Niederlande) und Philadelphia (USA). Über eine freie Mitarbeit kam er zum "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt" und war mehrfach auf Recherchen in den USA, im Nahen Osten und in Westafrika. Seit November 2022 betreut er als ordinierter Pfarrer eine Gemeinde in Offenbach.

Eines stellt Regisseur Alfred Hitchcock mit Priester Logan im Film "Zum Schweigen verurteilt" sehr zutreffend dar: Pfarrer sind ausgesprochen verschwiegen, wenn es um die Beichte geht. Das gilt für katholische wie evangelische Pfarrer. Nur so kann sich jeder darauf verlassen, dass alles, was in der Beichte zu Wort kommt, streng vertraulich ist.

Nicht nur Katholiken können bei schweren Vergehen eine persönliche Beichte, also ihr eigenes Sündenbekenntnis, ablegen, sondern auch Protestanten. Für jeden Christen gehört die Beichte zur Buße. Und Buße ist tätige Selbstkritik sowie der Versuch, sich zu bessern. Mit dem Sündenbekenntnis erkennt der Christ an, dass durch sein verkehrtes Tun das Verhältnis zwischen Gott und Mensch gestört ist. Die ritualisierte Form ermöglicht dem Beichtenden, so etwas wie eine innere Reinigung zu erleben.

Die kirchliche Buße sieht traditionell vor, dass der Sünder zunächst seine Vergehen von Herzen bereut und sie vor einem Geistlichen bekennt. Dann erst kann dieser den Reumütigen von seiner Sünde lossprechen (Absolution) und gegebenenfalls eine gute Tat als Zeichen der Reue verlangen.

Meist aber geht es um persönliche Gewissensnot

Absolution empfängt nur, wer Reue zeigt. Natürlich kann der Pfarrer nicht immer sicher sein, ob die Reue echt ist. Theologen gehen aber davon aus, dass in Zweifelsfällen denjenigen, der mit der Beichte sein Spiel treibt, die Zusage der göttlichen Vergebung ohnehin nicht erreicht. Nur für den, der bereut, ist Vergebung überhaupt wichtig.

Wenn jemand ein Verbrechen beichtet — was selten vorkommt —, verlangt der Pfarrer, dass sich der Täter der Polizei stellt. Meist aber geht es um persönliche Gewissensnot: Jemand hat seinen Partner betrogen, er hat einem Kind unrecht getan, die Eltern belogen oder mutwillig eine Beziehung zerstört. Oft lässt sich das zerschlagene Porzellan nicht mehr kitten. Die eigene Schuld wird beim Namen genannt, das Beichtgespräch macht den Weg frei für eine Neubesinnung.

Die Reformatoren haben den Nutzen der Beichte nie bestritten. Im Gegenteil: Noch 150 Jahre nach Luthers Tod war es üblich, dass jeder Protestant regelmäßig zur persönlichen Beichte ging. Erst im Zeitalter des Pietismus, als die Protestanten die individuelle Frömmigkeit betonten und der Dogmen überdrüssig waren, begannen sie, erste Beichtstühle aus den Kirchen zu räumen.

Grund dafür war die Klage über eine angebliche Verflachung der Beichte. Ganz im Sinne des Reformators Martin Luther empfanden es die frühen Pietisten als falsch, sich mit floskelhaften Schuldbekenntnissen die Absolution des Pfarrers einzuholen. Man forderte Ernsthaftigkeit und schaffte den in der Theorie längst beseitigten, aber praktisch noch immer gültigen Beichtzwang ab.

Seit dem frühen 18. Jahrhundert überlassen es Protestanten dem Einzelnen, ob er von der Aussprache mit dem Pfarrer Gebrauch macht oder nicht. Ihnen reicht zumeist, dass die Gläubigen am Anfang jedes Gottesdienstes eine allgemeine Beichte ablegen. Die Folge war, dass Beichtstühle in evangelischen Kirchen überflüssig wurden.

Im 19. Jahrhundert machten viele Protestanten aus der Not eine Tugend. Sie behaupteten, der Verfall der Beichte sei eine Errungenschaft der Reformation. In Wahrheit hatte Martin Luther bis zu seinem Tod 1546 regelmäßig gebeichtet. Gleichwohl: Im 19. Jahrhundert taten viele Protestanten die persönliche Beichte als katholische Eigenart ab.

Erst nach der Entdeckung der Psychoanalyse lernten evangelische Christen aufs Neue, welche Heilwirkung in einer persönlichen Aussprache liegen kann. Seither hat die Seelsorge im Alltag der Pfarrer stark an Gewicht gewonnen. Zwar folgt nicht jedes Seelsorgegespräch formal den Schritten der Buße mit Sündenbekenntnis und Lossprechung. Aber vertrauliche, offene Gespräche und die Bitte um Gottes Vergebung haben ihren festen Platz in der evangelischen Kirche. Gerade in schweren Gewissenskonflikten sind Pfarrer oft die einzigen vertrauenswürdigen Gesprächspartner. Und wer sich ausspricht, findet leichter Klarheit bei sich selbst.

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