Bin ich schön genug?
Ein Schönheitschirurg und ein Star diskutieren, was das wohl ist: Schönheit
21.08.2013

chrismon: Herr Professor Mang, was ist eigentlich für Sie ein schönes Gesicht?

Werner Mang: Ein schönes Gesicht muss harmonisch sein und Ausstrahlung haben. Ein paar Falten stören überhaupt nicht. Wichtig finde ich aber, dass das Gesicht markant ist. Kein Doppelkinn, keine Fetteinlagerungen im Wangenbereich.

Erika Pluhar: Für mich kann auch ein fülliges Gesicht unglaublich schön sein.

Mang: Ich bin ja auch kein Verfechter der geklonten Floridagesichter und glatt gebügelten Masken. Aber schon die Antike hat markante Gesichter geschätzt. Wer Fett eingelagert hatte in den Wangen, war einfach weniger angesehen.

Sie operieren vor allem Nasen. Was ist denn so wichtig an einer Nase?

Mang: Ich operiere jedes Jahr weltweit rund tausend Nasen. Nasenoperationen sind höchst kompliziert. Es gibt in keinem Fach so viele schlecht ausgebildete Chirurgen, die Unheil anrichten. Jede zweite Nase, mit der ich zu tun habe, ist bereits operiert worden. Ich korrigiere, bessere aus und versuche, ein Gesicht wieder markant und natürlich zu machen. Schönheitschirurgie ist eine Wohlfühlchirurgie. Wenn sich jemand nicht wohl fühlt mit einer langen Nase, mit abstehenden Ohren oder einem kleinen Busen und einem sehr dicken Po, kann man nachhelfen. Solche Mängel muss keiner aussitzen.

Würden Sie sich, Frau Pluhar, unter das Messer der Wohlfühlchirurgie begeben?

Pluhar: Niemals. Die Schönheit eines Menschen entsteht doch nicht nur aus dem rein formalen Aspekt! Ein seelisch-geistiges Innensein des Menschen macht ihn schön oder hässlich. In meinem Umfeld, in den Medien, unter Schauspielern treffe ich ständig auf operierte Menschen. Aber ich habe noch nie jemanden gesehen, der hinterher schöner war. Und keiner kann mir einreden, dass ein Mensch sich nur wohl fühlt, wenn seine Nase okay ist oder der Busen; dass solche optischen Veränderungen einen unsicheren Menschen sicher, einen unglücklichen Menschen glücklicher machen.

Mang: Vielleicht kennen Sie meine Patienten nicht! Zum Beispiel diese fünfhundert Mädchen zwischen 18 und 28. Mädchen, die eine große Höckernase hatten oder ein fliehendes Kinn. Nach der Operation wurden sie gefragt, ob sie das Ganze wiederholen würden. 88 Prozent der Mädchen haben ja gesagt. Weil sie privat und beruflich viel selbstsicherer geworden sind.

Pluhar: Daran habe ich keinerlei Zweifel. Wenn ein Mädchen eine Höckernase hat oder ein Fliehkinn, wenn es also um wirkliche Verunstaltungen geht, die eine Operation beseitigt, haben Sie mein volles Verständnis.

Mang: Sie sind also nicht dagegen, einem Mädchen mit toller Taille und entsetzlichen Reithosen das Fett abzusaugen? Weil weder Sport noch Diät die Reithose beseitigt, das Mädchen nur lange Röcke trägt, sich nicht ins Schwimmbad traut und sich seelisch einfach schlecht entwickelt?

Pluhar: Natürlich bin ich nicht dagegen.

Mang: Es gibt Mädchen, die keine oder ungleiche Brüste haben. Jungen, die mit 20 Jahren die Haare verlieren und furchtbar darunter leiden.

Pluhar: Ich bin nicht fundamentalistisch. Fundamentalismus ist eines der schlimmsten Übel. Ihre Profession mag segensreich sein, wenn sie hilft, echtes Leiden zu beseitigen. Schrecklich ist mir etwas anderes. Schrecklich ist, dass Menschen versuchen, sich das Leben aus dem Gesicht zu schneiden und das Alter. Die gelifteten Frauen und Männer, die ich kenne, sind weder schöner noch jünger. Sie halten die Hand an ihre geglätteten Gesichter und ... kann man Hände eigentlich auch schon liften?

Mang: Das ist im Kommen. Wir sind dabei. Keiner wird in Zukunft seine Hände in Handschuhen verstecken müssen. Es ist schon relativ viel möglich heutzutage. Man kann die Hand mit eigenem Fett auffüllen, damit die Spannung wiederkommt ...

Pluhar: Warum sollte man so was tun? Wissen Sie: Ich bin 65 Jahre alt. Eine Greisin, hätte man vor ein paar Jahrzehnten gedacht. Heute ist das anders. Wir haben eine hohe Lebenserwartung. Ich sehe darin eine unglaubliche Chance. Solange wir geistig und körperlich gesund sind, können wir agil sein und voll Energie, mit allem, was zu einem Menschenleben gehört. Ich bin sehr dafür, dass man was auf sich hält, nicht dick ist, sich pflegt und versucht, gut auszusehen. Nur finde ich, dass Menschen mit Falten unglaublich gut aussehen, wenn sie ihre Falten bejahen.

Erika Pluhar: „Menschen mit Falten sehen unheimlich gut aus“

Mang: Mag sein. Ich bin auch nicht besonders eitel. Aber hin und wieder habe ich doch ungern in den Spiegel geschaut. Bestimmt gab es diese Situation auch in ihrem Leben. Verstehen Sie mich richtig: Ich würde an Ihnen gar nicht herumoperieren wollen, Sie sind eine erotische, interessante Frau. Aber auch Sie werden manchmal in der Früh in den Spiegel gucken und sagen: Hier, das stört mich etwas.

Pluhar: Aber natürlich.

Mang: So geht’s mir ja auch. Ich würde bei Ihnen auch wirklich gar nichts machen, außer vielleicht, wie bei mir, die kleinen Tränensäcke...

Pluhar: Stimmt: Ich habe Falten auf der Oberlippe und Falten an der Wange und irrsinnige Tränensäcke. Und ich habe sie gern, meine Tränensäcke! Mein Gesicht kenne ich sehr gut. Ich war ja Schauspielerin. Heute singe ich. Immer schon saß ich vor dem Spiegel, um mich zu schminken. Ich kenne mich aus Filmen, ich habe mein Gesicht auf dem Filmmaterial am Schneidetisch gesehen. Und ich habe eine Neutralität gewonnen mir gegenüber. Dumme Schauspieler fragen immer danach, ob sie schön sind im Licht der Scheinwerfer. Mich interessiert mein Ausdruck. Ich möchte, dass mein Gesicht so ist, wie es wurde. Ich wäre traurig, wenn man meine Falten beseitigen würde – egal, wie delikat es geschähe. Ich habe so viel gelebt in diesen 65 Jahren und so viel Schmerzliches erlebt, das muss ja zeichnen! Wenn ich mir das rausnehmen lassen würde aus dem Gesicht – ich würde es vermissen. Ich möchte doch einmal sehen, wie ich ausschaue als ganz alte Frau!

Mang: Auch Sie tun doch etwas dafür, um schön zu sein!

Pluhar: Schon. Aber ich stehe zu meinen Augenringen und Stirnfalten. Meine Haare färbe ich schon lange nicht mehr und mit dem Altwerden habe ich mich auseinander gesetzt, als ich noch nicht einmal vierzig war. Es ist ungeheuer wichtig, sich das Altwerden zu gestatten. Furchtbar finde ich die Angst vor dem gelebten Gesicht und diese Versuche, sich durch chirurgische Eingriffe eine Scheinjugend zu verschaffen. Fernsehdarstellerinnen werden immer schräger und glatter und unbeweglicher, der Mund ist plötzlich schief und kann nicht mehr lachen, nur noch die Zähne zeigen. Viele lassen sich operieren und geben es nicht einmal zu.

Mang: Die lassen sich liften und behaupten, sie hätten in Rosenwasser gebadet, ja. Als wäre Schönheitschirurgie etwas Unanständiges. Diese Doppelmoral lehne ich ab. Im Übrigen sind Sie wirklich eine der wenigen Frauen, die glaubhaft versichern, dass sie ihre Tränensäcke schön finden.

Pluhar: Nicht schön! In Ordnung.

Mang: In Ordnung also. Ihre Tränensäcke gehören zu Ihnen.

Pluhar: In diesen Tränensäcken stecken alle Tränen, die ich in meinem Leben geweint habe, und die lasse ich mir nicht wegschneiden. Die soll man ruhig sehen. Auch in der Zeit des Jugendwahns, in der wir leben.

Mang: Der Jugendwahn ist nur ein Mosaikstein in der Degeneration unserer Gesellschaft. Ich glaube ja: Die abendländische Kultur geht zu Ende. Wir verlieren unsere Werte. Man achtet immer mehr auf Äußerlichkeiten, übernimmt keine Verantwortung in der Familie. Zu mir kommen zwölfjährige Kinder, die sich operieren lassen wollen, weil die Medien sie beeinflusst haben. Ich würde mir wünschen, dass wir wieder zur abendländisch-christlichen Kultur zurückfinden und andere Werte leben als nur Jugendwahn, Konsum, Gucci, Prada und Armani.

Pluhar: Werte hin oder her: Wir Menschen sind einfach sehr verführbar. Es gibt dieses seltsame Bedürfnis, sich formal zu erlösen. Menschen erlösen sich immer formal: Sie beziehen eine neue Wohnung, besorgen sich eine neue Einrichtung oder ein neues Stirnband beim Joggen, und wenn sie nicht mehr joggen, machen sie Walking und verschaffen sich Stöcke. Der Profit, der den Menschen schon immer geknechtet hat, ist ins Gigantische gewachsen.

Mang: Sie stylen sich doch auch! Sie wollen sich mit dem Sakko, das sie tragen, wohl fühlen. Bestimmt kaufen Sie auch mal Designerkleidung.

Pluhar: Wenn sie mir gefällt und passt und ich das Geld habe, klar. Aber ich style mich nicht. Ich bin eine Gegnerin des gestylten Lebens. Wir kennen uns zu wenig. Sie wissen nicht, wie ich lebe. In meinem Umfeld ist kaum etwas gestylt. Wenn sie mein Haus kennen würden...

Mang: Ich kann mir das schon vorstellen: Efeu, der die Mauer hinaufrankt...

Pluhar: Nicht falsch. Mein Haus ist ein gewachsenes Haus. Es ist gewachsen, verwachsen, ich baue nicht viel um, aber ich bin kein Asket: Ich habe eine gute Badewanne. Aber ich suche mein Heil auch nicht in Marken und Äußerlichkeiten.

Werner Mang: „Glatt gebügelt muss man sein, sonst ist man nicht erfolgreich“

Mang: So abhängig sind ja nur Menschen, die nicht zu sich selbst gefunden haben. Ich fahre zwar auch gern schnelle schicke Autos. Aber das tue ich für mich, nicht für andere. Die meisten Menschen finden nicht zu sich selbst und sind darum von Äußerlichkeiten abhängig. Sie müssen der Umwelt beweisen: Ich hab’s geschafft. Täglich rede ich mit Leuten, die ihre Ehe retten wollen durch ein Facelift. Aber das ist nicht möglich.

Pluhar: Die Allmacht des Fernsehens, die unsäglichen Schicksalstalkshows, die aus dem menschlichen Leben eine Farce machen, das alles kommt ständig wie ein Dauerregen auf die Menschen herunter. Nur sehr wenige sind in der Lage, sich dem zu entziehen. Sie sind verführbar, schreien Ja zur totalen Selbstentwertung. Auch die Klügeren. Die Verführbarkeit wird immer bleiben. Weil wir Angst haben.

Mang: Angst vor dem Alter, Angst vor dem Partnerverlust, Angst vor dem Jobverlust. Jeder fünfte Mann, den wir heute operieren, lässt sich Tränensäcke beseitigen und Schlupflider. Weil er glaubt, vital und jung aussehen zu müssen, wenn er sich als Fünfzigjähriger um eine freie Stelle bewirbt. Glatt gebügelt muss man sein, jugendlich, sonst ist man nicht erfolgreich. Das verlangt der Zeitgeist. Da sind Sie eine der wenigen Personen, die gegensteuern.

Pluhar: Deswegen führe ich auch das Gespräch mit Ihnen. Ich werde immer für das Alter plädieren. Und zwar mit aller Einsicht in die Verluste, die es mit sich bringt, in die Traurigkeiten und Schmerzlichkeiten.

Mang: Ich glaube nicht, dass man traurig sein muss im Alter. Traurigkeit gibt es doch in jeder Lebensphase. Ich finde wichtig, dass wir bis zu unserem Tod versuchen, jeden Tag zu genießen.

Pluhar: Ich meine auch nicht, dass man im Alter traurig sein muss. Aber man kommt dem Tod näher. Das macht mich nicht trauriger als eine schmerzliche Situation, als ich dreißig war. Nur: ausweichen können wir nicht. Zu einem Menschenleben muss dazugehören, das, was einem gegeben ist und auf den Weg gelegt wird, zu durchwandern. Also den Verlust, den Schmerz, den Tod. Andererseits bin ich aber ein unerhörter Befürworter der Freude und des Lachens, des Genusses und auch des Wohlgefühls.

Was kann denn dann Schönheit sein?

Pluhar: Lebendigkeit.

Mang: Ein Baum, den ich sehe oder mein geliebter Bodensee. Manchmal hocke ich eine Stunde davor und guck die Wellen an. Die Natur...

Pluhar: ...die unverletzte.

Mang: Eine Welle ist so schön wie nichts auf der Welt.

Und wie ist das mit der Liebe? Liebe macht schön, heißt es.

Mang: Meine Frau war siebzehn, als ich ihr den Blinddarm operiert habe. So haben wir uns kennen gelernt. Wir sind jetzt 28 Jahre zusammen. Ich liebe sie. Ich bin sehr fixiert. Es gibt natürlich auch Krach ...

Sie haben ihr das Bauchfett absaugen lassen.

Mang: Nach Abschluss unserer Kinderplanung, weil sie es unbedingt wollte. Mir war das nicht wichtig. Ich liebe meine Frau und akzeptiere darum natürlich auch ein paar Falten.

Pluhar: Menschen, die lieben können, sind immer in gewisser Weise schön und für Schönheit empfänglich. Schade, dass man von dieser Energie in den Medien selten hört. Es geht nur um Verliebtsein, Sex, Scheidung, Gewalt. Aber fast nie geht es darum, dass wir Wesen sind mit einer unerhörten Möglichkeit: Wir können lieben. Und keine äußerliche Verschönerung kann erreichen, was aus einem Menschen strahlt, wenn er wirklich liebt.

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