Ehelos – um Gottes willen?
Die Ehelosigkeit gibt es als religiöse Übung auf freiwilliger Basis in allen Kirchen
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
06.08.2013

Das katholische Priesterseminar St. Pölten in Österreich war wochenlang in den Schlagzeilen. Die jungen Kandidaten der Theologie und zukünftigen Seelsorger, nach den Regeln ihrer Kirche zur Ehelosigkeit bestimmt, hatten sich im Internet mit allerlei Sexfotos und -filmen versorgt. Mit dem Berufsideal und der Selbstverpflichtung zur sexuellen Enthaltsamkeit war das kaum in Übereinstimmung zu bringen. Dass auf einzelnen Rechnern der Studenten außerdem Kinderpornografie gefunden wurde, rief die Staatsanwaltschaft auf den Plan. Der zuständige Bischof, der den Skandal monatelang heruntergespielt hatte, bekam vom Vatikan einen strengen Kontrolleur ins Haus geschickt. Nun wird das Seminar dichtgemacht.

Offensichtlich schließt das Gelübde der Ehelosigkeit, des Zölibats, das katholische Geistliche eingehen, keineswegs selbstverständlich ein, was traditionell Keuschheit genannt wird: die sexuelle Enthaltsamkeit im weitesten Sinne. Den Verzicht auf das Rechtsinstitut Ehe mögen die jungen Geistlichen beherzigen, er wird ja auch gesamtgesellschaftlich immer populärer. Doch sexuelle Enthaltsamkeit einschließlich des Verzichts auf einschlägige Exkursionen im Internet sind offensichtlich für manchen eine schwerere Bürde.

Die Vorfälle in St. Pölten schaden allen christlichen Kirchen, nicht nur den unmittelbar betroffenen. Denn die Ehelosigkeit gibt es als religiöse Übung auf freiwilliger Basis in allen Kirchen, wenn auch in den evangelischen nur im geringen Maße. Als Verpflichtung für Geistliche wurde sie bereits im Jahr 306 durch die Synode von Elvira (Südspanien) proklamiert. Doch es war ein langer Weg, bis sie sich Geltung verschafft hatte, findet sich doch selbst in der Bibel der Ratschlag, dass Bischöfe verheiratet sein sollen (1. Timotheusbrief 3,2).

Begründungen für die Ehelosigkeit gab es seit alters viele. Die wichtigste: Im Zentrum des Lebens und Glaubens soll Gott selbst stehen, die Geistlichen sind gleichsam mit Christus verheiratet. Ebenfalls wichtig: Die Ehelosigkeit erlaube ihre uneingeschränkte Hingabe an die Gemeinde. Außerdem waren auch mehr oder minder leibfeindliche Argumente im Spiel. Und: Priester und Diakone sollten sich für ihre Familien nicht wirtschaftlich verausgaben. Ganz eindeutig überholt sind heute alle Vorstellungen, die den Zölibat als besondere Form der Reinheit zu erklären versuchen. Wollte man der angeblichen kultischen "Reinheit" von Geistlichen die "Unreinheit" der Gemeinde gegenüberstellen, käme man zu einem kruden, absurden Kirchenverständnis. Hat Gott die Menschen nicht gerade mit ihrer Sexualität und ihrer Lust erschaffen?

Die protestantischen Kirchen lehnen den Zölibat ab, weil er dem Neuen Testament widerspricht

Der Zölibat von Priestern und Ordensleuten galt im Mittelalter als besonderer geistlicher Stand. Martin Luther hat dem gegenüber die Bedeutung des Ehestandes betont und die rechtliche Verknüpfung von Zölibat und Priesteramt kritisiert. Die protestantischen Kirchen lehnen einen Klerikerstand ab, weil er dem Neuen Testament widerspricht. Ihre Lehre vom allgemeinen Priestertum der Gläubigen lässt keinen durch die Ordination begründeten wesentlichen Unterschied von Laien und Klerikern zu – und macht damit auch das Standeskennzeichen der Ehelosigkeit überflüssig.

Unabhängig davon gibt es in der evangelischen Kirche durchaus Gruppen, die bewusst ehelos leben: Diakonissen, die sich zur Ehelosigkeit verpflichtet haben, Mitglieder von christlichen Gemeinschaften (wie zum Beispiel der ökumenischen Jesus-Bruderschaft in Gnadenthal oder Volkenroda) und Konventualinnen in Damenstiften wie im niedersächsischen Wienhausen.

Die Zölibatspflicht sorgt bis heute in der katholischen Kirche für heftigen Streit, denn sie belastet viele davon Betroffene. Die Kirchenvolksbewegung zum Beispiel tritt für die Aufgabe des "Zwangszölibats" ebenso ein wie Gruppen aus dem Feld der kirchlichen Basisgemeinden oder der feministischen Theologie. Und tatsächlich zählt die Ehelosigkeit nicht zu den unumstößlichen Gesetzen der Kirche, was man schon daran sieht, dass der Papst, allerdings nur er, von der Zölibatspflicht befreien kann. Das tut er gelegentlich bei verheirateten, aus der evangelischen Kirche konvertierten Geistlichen.

Heute ist es theologisch unstrittig, dass aus der Bibel das Ideal der Ehelosigkeit nicht direkt zu begründen ist. Zwar steht zum Beispiel im Matthäusevangelium das Jesuswort (Kapitel 10): "Wer Vater oder Mutter... und Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert." Doch dies ist kein Generalverriss der Ehe. Die Erwartung des nahen Weltenendes ließ Jesus eine solch radikale Feststellung treffen.

Ehelos – um Gottes willen? Wohl eher um des Menschen willen. Und nur denen zu empfehlen, die diesen Weg freiwillig gehen möchten.

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