Michael Ondruch
"Ein Rebell mit großer Sprachgewalt"
Wer war Martin Luther? Der Historiker Heinz Schilling beschreibt ihn als Gegner jeder Ideologie. Und als echten Sturkopf
Lena Uphoff
01.10.2013

chrismon: Egon Erwin Kisch, der große Reporter, nannte Martin Luther den ersten modernen Journalisten, weil er die Bibel so übersetzte und so schrieb, dass alle es lesen konnten. Stimmt das?

Heinz Schilling: Ich kann dem teilweise zustimmen, muss aber auch widersprechen. Zustimmen, weil dieser Mann ungeheuer aktuell und umfangreich produziert hat. Der hat seine Texte geradezu raus­gehauen. Die andere Seite: Luther sieht sich selbst, wie er in Worms formuliert, als „gefangen im Worte Gottes“. Er kann nicht tages­journalistisch distanziert bewerten. Dass er vorzüglich schrieb, ist keine Frage.

So fern und doch so nah. Was ist aktuell geblieben von der Haltung dieses Menschen Luther? Und wo muss man sagen: Na ja, das war vor 500 Jahren – der lebte in einer anderen Welt?

Wenn ich verfolgt habe, wie die Parteien sich nach der Wahl um die Regierungsbildung mühten, dachte ich oft an Luther. Der war ein Mann, der die Ideologien seiner Zeit abwehrte. Leute wie Thomas Müntzer, aber auch die Mystiker hat er zurückgewiesen, weil sie ihm die Dinge zu ideologisch behandelten. Luther hätte den Parteipoli­tikern zugerufen: Hört auf mit dem ideologischen Zickzack, bohrt die dicken Bretter, so dass es für die nächsten Jahre eine vernünftige Regierung für Deutschland gibt. Die religiösen Ideologen hat er auch bei der Neukonstruktion der Kirche immer wieder gebremst mit dem Hinweis, wir müssen Geduld haben, wir müssen den Menschen die Reform so vermitteln, dass sie es verstehen.

Luther wollte eine universale Reform der Christenheit. Das ist schiefgegangen.

In einem war Luther völlig „unmodern“. Er war überzeugt davon, dass der Teufel wirklich regierte. Außerdem war er unfähig zum Dialog. Ob das die Zwickauer Propheten um Thomas Müntzer waren oder die Reformierten oder die der Papstkirche Treuen – Luther war nie kompromissbereit, konnte und wollte nicht hören, was Andersglaubende sagten und dachten. Er hat die Differenzierung der Welt erzwungen, konnte sich selbst aber nie als Teil derselben sehen.

Vielfalt im Nebeneinander der Glaubenden und ihrer Religionen war seine Sache nicht.

Das darf man nicht verstecken. Andererseits: Nur sein fester Glaube an eine für ihn absolute Wahrheit hat ihn überhaupt in die Lage ­versetzt, die Reformation durchzuziehen.

"Mit seiner Sprachgewalt hat er einiges zerschlagen"

Die Leuenberger Konkordie, gerade 40 Jahre alt, ermöglicht es Christen mit unterschiedlichem Abendmahlsverständnis, gemeinsam am Tisch des Herrn zu sein. Für Luther denkbar?

Nein! Das hat er nach den Marburger Gesprächen über ein gemeinsames Abendmahl sehr deutlich gemacht. Mit seiner Sprachgewalt hat er gegenüber den anderen reformatorischen Kräften vieles zerschlagen, nicht nur gegenüber der Papstkirche.

Buchtipp

###drp|zxnQaLBOB8YWxmFJKk69WBh-00047455|i-38||###Heinz Schilling: Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs (C.H. Beck, 2012).

Luther stellte fest, der Alltag sei der Platz, an dem sich das Christsein erweise. Bei der Arbeit, im „Beruf“ – eine Luther-Erfindung – seien die Menschen Priester.

Das In-die-Welt-Bringen des Religiösen war eine gewaltige Leistung Luthers. Er denkt noch ganz in der Ständegesellschaft. Jeder hat seinen Platz, aber wenn er dort den Dienst für die Nächsten und für Gott leistet, dann hat er direkten Zugang zu Gott. Das ist etwas Egalitäres. Das darf nicht verloren gehen. Luther war kein Revolu­tionär, er war ein Rebell. Aber der Beginn der Gleichheit steckt in der Idee, dass alle Menschen Gott gegenüber gleich sind, unabhängig von ihrem Stand. Das muss man den Menschen heute neu bewusst machen, wenn sie sagen, die Religion habe die Emanzipation immer nur behindert oder verzögert. Nein! Durch diesen religiösen Aufbruch begann der lange Weg hin auch zur sozialen Gleichheit.

Was haben Katholiken und die katholische Kirche durch die Reformation gewonnen? Gibt es da überhaupt etwas?

Aber natürlich. Es gab auch schon vor Luther reformorientierte Kräfte in der römischen Kirche. Aber ihre Bemühungen sind immer im Sand verlaufen. Entweder wurden die Reformer wie John Wyclif oder Jan Hus gebrandmarkt oder so geschickt integriert, in Watte gepackt, dass sie wirkungslos blieben. Nach Luther war das nicht mehr möglich. Luther war der Stachel im Fleisch dieser römischen Kirche, in der Religion zur Nebensache zu verkümmern drohte. Durch Luther kam auch die römische Kirche wieder zu einer Konzentration auf das Religiöse als existentielle Kraft.

Was ist Ihre Erwartung für das Reformationsjubiläum 2017?

Ich habe die Sorge, dass dieses Ereignis zu einem touristischen, volksfestlichen Event verkümmern könnte. Wir sollten dieses Datum zu einer Würdigung und zu einer Neuorientierung an der reformatorischen Leistung Luthers nutzen. Voraussetzung für ein Gelingen ist aber, Luther und seine evangelische Theologie nicht vorschnell auf die Interessen und Bedürfnisse der Gegenwart zu verengen, sondern zu versuchen, ihn und die Reformation aus ihrer Zeit heraus zu begreifen. Erst eine solche historische Grundlagenforschung macht den Blick frei auf seine Bedeutung für die Gegenwart und vor allem für die Zukunft christlichen Zusammenlebens in konfessioneller ­Verschiedenheit.

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Von Luther bis Sasse

Das Jubiläumsjahr 1517 sollte u.a. auch Anlass dafür sein, dass beide (!!!) Kirchen ihre schuldhaften Verstrickungen noch einmal deutlich dokumentieren und zugleich versuchen, gemeinsam nach vorn zu schauen und gemeinsame Lösungsvorschläge zu erarbeiten, wie man Antijudaismus, Ausgrenzungen, Ausländerfeindlichkeit der Gegenwart intensiver und wirksamer bekämpfen kann.

Nichts sollte an Verfehlungen, Schuld, Unmenschlichkeit und Menschenverachtung vergessen bzw. beschönigt werden.

Doch für eine humane Gestaltung der Gegenwart ist es unerlässlich - die menschlichen Verirrungen und Unbarmherzigkeiten stets im Hinterkopf bewahrend und diese zur Verpflichtung werden lassend -, den immer wieder auftretenden Einstellungen der Ausländerfeindlichkeit, religiösen und ethnischen Ausgrenzungen, Xenophobie, Chauvinismus und Rassismus ein mutiges und nachhaltiges Nein entgegenzusetzen.

Die folgenden Zitate dienen der Mahnung, aber gleichzeitig auch der Aufforderung, sich immer wieder in der Gegenwart diesen Einstellungen von menschlicher Barbarei entgegenzustellen:

a) Zitate Luthers

Darum, wo du einen rechten Juden siehst, magst du mit gutem Gewissen ein Kreuz für dich schlagen und frei und sicher sprechen: Da geht ein leibhaftiger Teufel. (Weimarer Ausgabe LIII, S. 479, zit. nach Landesbischof Martin Sasse, Martin Luther über die Juden: Weg mit ihnen!, a.a.O., S. 5)

Die Juden sind junge Teufel, zur Hölle verdammt. (Erlanger Ausgabe XXXII, S. 276, zit. nach Landesbischof Martin Sasse, Martin Luther über die Juden: Weg mit ihnen!, a.a.O., S. 13)

Wenn ich einen Juden taufe, will ich ihn an die Elbbrücke führen, einen Stein an den Hals hängen und ihn hinab stoßen und sagen: Ich taufe dich im Namen Abrahams. (Tischreden, Nr. 1795)

Ich habe viele Historien gelesen und gehört von den Juden, so (= die) mit diesem Urteil Christi übereinstimmen, nämlich wie sie die Brunnen vergiftet, heimlich gemordet, Kinder gestohlen, wie droben gemeldet. Item, dass ein Jude dem anderen über Feld einen Topf voll Bluts, auch durch einen Christen, zugeschickt hat, item ein Fass Wein, da das ausgetrunken, ein toter Jude im Fass gefunden wurde und dergleichen viel. Und das Kinderstehlen hat sie oft (wie droben gesagt) verbrannt und verjagt. Ich weiß wohl, dass sie solches und alles leugnen. Es stimmt aber alles mit dem Urteil Christi, dass sie giftige, bittere, rachgierige hämische Schlangen, Meuchelmörder und Teufelskinder sind, die heimlich stechen und Schaden tun, weil sie es öffentlich nicht vermögen. (Von den Juden und ihren Lügen, Erstausgabe Wittenberg 1543, S. 96)

b) Zitat von Bischof Sasse

„Am 10. November 1938, an Luthers Geburtstag, brennen in Deutschland die Synagogen. Vom deutschen Volk wird ... die Macht der Juden auf wirtschaftlichem Gebiet im neuen Deutschland endgültig gebrochen und damit der gottgesegnete Kampf des Führers zu völligen Befreiung unseres Volkes gekrönt. In dieser Stunde muss die Stimme des Mannes gehört werden, der als der Deutschen Prophet im 16. Jahrhundert einst als Freund der Juden begann, der getrieben von seinem Gewissen, getrieben von den Erfahrungen und der Wirklichkeit, der größte Antisemit seiner Zeit geworden ist, der Warner seines Volkes wider die Juden."

(Der evangelisch-lutherische Landesbischof Martin Sasse aus Eisenach im Vorwort zu seiner Schrift "Martin Luther und die Juden - Weg mit ihnen!", Freiburg 1938)

Um dem Vorwurf einer möglichen Einseitigkeit der Zitate sofort den Boden zu entziehen, sei darauf hingewiesen: Zitate von Vertretern der katholischen Kirche könnten in großer Anzahl problemlos hinzugefügt werden.

Paul Haverkamp, Lingen

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In meinen Augen hat Luther vor allem eines geschafft: Er hat den Menschen gezeigt, dass Religion und Theologie von Menschen gemacht werden. Eine großartige Leistung, die ihm vielleicht selber nicht in letzter Konsequenz bewußt war. Denn in der Bibel steht davon nichts. Auch Jesus hatte keinen Interpretationsbedarf.

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