Foto: Michael Ondruch
Abbildungsprobleme
Sie zertrümmern Gräber von Heiligen, schlagen uralten Steinfiguren die Köpfe ab, werfen Gemälde aus den Kirchen. Ähnliches gibt es in fast allen Religionen
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
23.08.2012

In Timbuktu, der Sahara-Stadt im Nordosten Malis, ließen die „Vertei­diger des Glaubens“ keinen Stein auf dem anderen: Sie zertrümmerten gleich eine ganze Reihe von Mausoleen aus dem 15. und 16. Jahrhundert, Gräber von Sufi-­Gelehrten, die als Heilige verehrt werden. Die Islamisten begründeten ihr Zerstörungswerk damit, dass die Tradition der Sufis, eines Ordens von Mystikern, „unislamisch“ sei. Nun fürchtet die UNESCO auch um die alten Bibliotheken und ihre mittelalterlichen Manuskripte, für die Timbuktu weithin bekannt ist. Die Mausoleen sind Weltkulturerbe. Besser gesagt: Sie waren es.

Was mag so anstößig sein an diesen his­torischen Gebäuden, dass die religiösen Eiferer sie mit Gewalt beseitigen? Islamisten und Tuareg-Rebellen kontrollieren die Stadt seit April 2012. Als unislamisch gelten ihnen Gelehrsamkeit und Wissenschaft. Sie unterstellen, dass deren Anerkennung und Verehrung Gott selbst ins Hintertreffen bringt. Zu viel Mensch, zu wenig Gott – so könnte man ihr Weltbild vereinfacht skizzieren. Aber im Grunde geht es ihnen um etwas anderes: ihre eigene Macht.

Der "Götzentag" im Ulmer Münster

Auch das Christentum hat seine Geschichte des Bildersturms und der Bilderzerstörung, zum Beispiel in der Reforma­tion. Martin Luther allerdings lehnte Bilder keineswegs ab. Er, ein Meister der Medienwirkung, ließ sich sogar selbst ins Bild setzen, so zum Beispiel auf dem Altarbild von Lucas Cranach dem Älteren in der Wittenberger Stadtkirche: Da erkennt man ihn im Kreis der Apostel, wie er den Kelch mit Wein gereicht bekommt. Auf anderen Tafeln desselben Altars finden sich auch die Refor­matoren Melanchthon und Bugenhagen. Einen in Wittenberg 1522 aufflammenden Bildersturm beendete Luther durch seine Invokavitpredigten.

Sein Professorenkollege Andreas von Karlstadt hingegen rief zur aktiven Zer­störung religiöser Bilder auf. Die fleischliche Darstellung der Heiligen, so sein Argument, blockiere den Zugang zu Gott. Darin verstand er sich gut mit den Schweizer Reformatoren Ulrich Zwingli und (dem noch strengeren) Johannes Calvin, die mächtig in den Kirchen aufräumen ließen. In Zürich wurden nach eingehenden Debatten innerhalb von zwei Wochen die Bilder geordnet aus den Kirchen enfernt. In Basel, Bern und St. Gallen verlief der Bildersturm hingegen tumultartig. Im Ulmer Münster wurden am „Götzentag“ 1531 beide Orgeln und 60 Altäre entfernt und teilweise zerhackt. Die Pfeifen der großen Orgel wurden mit Seilen und ­Ketten von Pferden herausgerissen. 

Ein uralter Grundkonflikt

Aber es gab in den Kirchen der Reformation beides: aufgeregte Zerstörung wie auch geordnete Rückgabe der Bilder und Statuen – nämlich an die Spender – beziehungsweise ihren geregelten Verkauf. Und in sehr vielen Fällen geschah dies mit Zustimmung der evangelischen Obrigkeit.

Den Grundkonflikt um die religiösen Bilder gibt es schon sehr viel länger als das Christentum. Die beiden ersten der Zehn Gebote des Altens Testaments (Verbot des Götzendienstes, Verbot der bildlichen Darstellung Gottes) entfalteten eine Wirkung über Jahrtausende. Aber bereits im frühen Christentum stand dagegen immer auch die andere theologische Argumentation: Abbildungen Christi und der Heiligen sind hinnehmbar, weil die Verehrung nicht dem Bild selbst gilt, sondern der abgebildeten Person. Auf römischen Sarkophagen und kirchlichen Mosaiken hielten Abbildungen aller Art bis zum siebten Jahrhundert Einzug. Doch nur in der orthodoxen Kirche, der Ostkirche, fochten Theologen danach einen heftigen Bilderstreit aus. Nicht mit nachhaltigem Erfolg: Ikonen gibt es in fast jeder orthodoxen Kirche.

Bilder gefährden die Einzelstellung Gottes, sagen die Bilderstürmer. Bilder lenken ab, stören die Konzentration auf das Wesentliche. Christen akzeptieren den weitgehenden Bilderverzicht in Islam und Judentum, sie selbst werden diesen Weg aber nicht gehen. Denn alles, was im christlichen Glauben wichtig ist, hat mit dem Menschen zu tun, soll ihm dienen und nützlich sein. So kann es für Christen gar nicht anders sein, als das Leben der Menschen ins Bild zu setzen.

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Zum Bericht über die Zerstörung von Mausoleen in Timbuktu: Wir müssen uns die Zerstörer dieses Weltkulturerbes nicht als engstirnige Fanatiker vorstellen sondern als religiöse Menschen, die mit dieser Tat etwas machten, was ihre Religion und ihr Glaube  ihnen vorschreibt. Wenn wlr die ersten beiden der zehn Gebote ernst nehmen würden, müßten auch wir ähnlich handeln. Alle Religionen (mit Ausnahme des Buddhismus, der allerdings eher als Philosophie anzusehen ist) stellen an ihre Mitglieder Forderungen, die ein friedliches Zusammenleben mit  den Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften erschweren oder unmöglich machen. Die Ursache dieser Konflikte ist also nicht der Islam oder die Beschränktheit einzelner Menschen sondern die Existenz  von Religonen. Gäbe es keine Religionen, gäbe es nicht diese Zerstörungen, keinen 11. September, keine Teilung Indiens usw. Der Physiker und Nobel-Preisträger Steven Weinberg hat es so formuliert: "Mit und ohne Religion können sich gute Menschen anständig verhalten und schlechte Menschen Böses tun. Doch damit Menschen guten Gewissens Böses tun, dafür braucht es die Religion."

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Der Denkfehler dieser Meinung - sehr viele "Religionsfeinde" argumentieren so - besteht darin, dass nicht zwischen Religion und der immer verhängnisvollen Verbindung von Religion und Politik unterschieden wird. Wenn ich hier von Religion rede, gehe ich von der mir vertrauten christlichen aus. Das Meiste lässt sich aber auf andere Religionen - abgesehen von Naturreligionen, Sekten etc. - übertragen.
Der französische Philosoph Bruno Latour ("Alles im Namen der Religion") sagt: "Für eine religöse Seele macht es einen riesigen Unterschied, ob man sein Schicksal in die Hände Gottes legt oder Gottes Willen in die eigene Hand nimmt...Eine Religion der Ungewissheit darüber, was es heißt, in Gottes Hand zu sein, ist nicht dasselbe wie eine Religion, die die Politik als das Organ betrachtet, das den Himmel auf Erden bringen wird. Das gewaltige Problem, mit dem uns der radikale Islam konfrontiert, ist dass wir über die Verteidigung des säkularen Staats die Aufgabe vergessen haben, Religion und Politik gegen ihre wechselseitige tödliche Umklammerung ... zu verteidigen." Also: Nicht die Religion erlaubt den Menschen, guten Gewissens Böses zu tun, sondern machtbewusste Politik hat schon immer die Religion dazu missbraucht, ihre Kriege zu "heiligen". Als viel schlimmer noch haben sich in dieser Hinsicht in der neueren Geschichte die staatlichen Ideologien erwiesen, die nach demselben Muster vorgegangen sind, aber die Religion abschaffen wollten, z.B. der Nationalsozialismius, der Stalinismus, der Maoismus etc. Diese haben nicht im Namen der Religion Verbrechen begangen sondern haben sich von den Fesseln der Religion befreit, um im Namen einer neuen Moral "ungestraft" ihre Verbrechen tun zu können. Es braucht eben doch ein Bewusstsein, dass ich nicht selbst Gott spielen - die christliche Ursünde - und die Regeln von Gut und Böse selbst bestimmen darf. Ich kann aber auch aus der Religion falsche Regeln für Gut und Böse ableiten, wenn dies meine politische Haltung unterstützt. Ein Beispiel sind die radikalen Evangelikalen in der amerikanischen Tea-Party-Bewegung.
Noch einmal Latour: "Das ..Problem...wird offensichtlich, wenn der Säkularismus...zu einer Art "Zivilreligion" gemacht wird, die...als einzige Unstrittige Verhaltensweise...durchgesetzt werden soll - eine ziemlich intolerante Form von Toleranz, da sie alle Religionen als gleich absurd erachtet...Sie wirkt wie ein Pluralismus, der nur eine einzige Möglichkeit zulässt, pluralistisch zu sein."
Am Säkularismus ist der Blickwinkel falsch: es ist immer verhängnisvoll, den Himmel herunter auf die Erde zu holen, was auch er versucht. Die menschliche Existenz lässt sich nicht aus dem erklären, was wir vor Augen haben, was auf der Erde ist. Die Suche nach dem Woher und Wohin und nach dem Sinn des Menschseins ist der Grund aller Religion und nicht die Suche nach den nützlichsten Regeln für das menschliche Zusammenleben. Das ist Aufgabe der Rechtsordnung. Wenn die sich mit der Religion vermischt, wie im Islam, kann es nicht gut gehen. Dann versuchen Menschen wieder, den Himmel auf die Erde zu holen.

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