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Neun Jahre Paris – die Pfarrfamilie ist nun wieder zurück in Deutschland. Und fühlt sich hier manchmal fremder als in der Fremde

Heimat. In der Fremde war der Begriff klar umrissen. Wir lebten als Pfarrfamilie fast neun Jahre in Paris. Wir lernten Neues, lernten fremde Kulturen und Gewohnheiten kennen. Nun leben wir wieder in Deutschland. Zurück in der alten Heimat, die für unsere Söhne eher Ausland ist. Als wir nach Paris zogen, waren sie vier und eineinhalb. Auch ich fühle mich in meiner Heimat manchmal fremder als in der Fremde. Bin französischer, als ich dachte. Mit einigen Monaten Abstand wird uns bewusst, wie sehr uns die Jahre im Auslandspfarrdienst und die französische Lebensart geprägt haben.

Wir merken das oft bei den kleinen Dingen des Alltags. Zum Beispiel Bus fahren: In Paris stellten wir uns einfach an die Haltestelle und wussten, bald kommt ein Bus. Hier müssen wir die Abfahrtszeiten kennen. Oder da lädt das Gymnasium zum Kennenlern-Nachmittag ein: am 21. Juli? Aber da sind doch Sommerferien! Ach nein, wir sind ja in Deutschland. In Nordrhein-Westfalen beginnen die Ferien später. Überhaupt die Schule – für unsere Söhne eine große Umstellung. Religion gibt es in Frankreich nicht als Schulfach – auch nicht Chemie. Dort wird „Science“ unterrichtet. Ein Fach, das die Naturwissenschaften zusammenfasst.

Rüde Sitten in deutschen Straßenverkehr

Experimentieren im Labor? Das kannten sie nicht. An ihrer französischen Schule gab es überwiegend Frontalunterricht. Befremdend finden meine Kinder in Deutschland den lockeren Umgangston zwischen Lehrern und Schülern. In Frankreich ­waren die Lehrer strenger und forderten mehr Respekt ein. Umgewöhnen müssen wir uns auch beim Essen. Früher hielten wir hinter der Grenze oft an der nächsten Pommesbude, um endlich mal wieder eine gute, deutsche Bratwurst zu essen. Heute fehlt uns die französische Esskultur. Vor allem unser kleines Res­taurant um die Ecke: Der „patron“ kannte uns und wusste, das Straußenfilet mit Honigsoße kann er schon mal zubereiten.

Im Kirchenkreis Düsseldorf bin ich seit November mit besonderem Auftrag unterwegs. Als nicht gewählte Pfarrerin bin ich zurzeit als Vertretung mit einer halben Stelle in der Christuskirchengemeinde tätig. So fahre ich öfters Auto und gewöhne mich nur langsam an die rüden Sitten im deutschen Stadtverkehr. Ehrlich gesagt, fahre ich lieber in Paris Auto. Warum? Der Verkehr mag chaotisch sein, aber jeder achtet auf jeden. Ich kann von ganz links nach ganz rechts wechseln, ohne dass ich von anderen Fahrern angerempelt oder zusammengehupt werde. In Deutschland erlebe ich oft, wie Autofahrer wegen Nichtigkeiten schimpfen. Jeder pocht auf sein Recht, auf seine Vorfahrt. Es ist ja fast schon eine Todsünde, wenn man beim Einparken ein anderes Auto berührt.

Ökumene in Frankreich ist anders

Deutschland ist das Land der Reformation. Das ist uns nach unserer Rückkehr wieder bewusst geworden. In Frankreich ­dominiert die katholische Kirche. Zwei Prozent der Franzosen sind evangelisch, rund 62 Prozent katholisch. Die Evangelischen sind für die katholische Kirche kein ernstzunehmender Partner. Wenn man in Frankreich von Ökumene spricht, bezieht sich das in der Regel auf die Gemeinschaft der Reformierten und Lutheraner – im Jahr 2013 schließen sich die beiden Kirchen zusammen.

Katholische Priester wissen meist nur wenig über Evan­gelische. Ein erschütterndes Erlebnis hatte ich einmal in der Normandie. Bei einer ökumenischen Trauung blieb mir nur die Begrüßung. Der katholische Kollege wollte das Wagnis nicht eingehen, dass ich mehr sage. Er fand es zutiefst irritierend, dass ich eine Frau bin. Es wunderte ihn, dass es bei Evangelischen so ­etwas wie eine Trauung gibt. Schließlich seien wir doch keine richtige Kirche! Lustig war eine Trauung in Lyon. Dort war der katholische Kollege so begeistert von mir und unserer Kirche, dass er mich den ganzen Gottesdienst feiern ließ. Er fand, dass wir Evangelischen das viel lebendiger gestalten. 

Küsschen und irritierte Kollegen

An den Umgang mit meinen deutschen Pfarrkollegen muss ich mich noch gewöhnen. In Frankreich duzt man sich sofort und begrüßt sich mit „bisous“ auf die Wange, je nach Region zwei bis vier Mal. Diese Küsschen war ich so gewohnt, dass ich anfangs auch in Deutschland viele Menschen so begrüßte. Das führte bei einigen zu Irritationen: Als ich nach meiner Rückkehr ins Rheinland einen Kollegen, den ich von früher kannte, mit den Wangenküsschen begrüßte, schaute er etwas verwundert, grinste dann und fragte, ob denn schon wieder Weiberfastnacht sei.

„Diakonie ist Lebens- und Wesensäußerung der evangelischen Kirche.“ Diesen Satz habe ich seit meinem Examen verinnerlicht. Ich bin froh, dass ich diesen Grundsatz in Deutschland wieder unkompliziert leben kann. In Frankreich sind Staat und Kirche strikt getrennt. Die Deutsche Evangelische Kirche ist eine ­„association culturelle“, also ein Verein für den Kult. Kirchengemeinden dürfen keine diakonischen Aufgaben übernehmen. Um zum Beispiel soziale Jugendarbeit zu machen, müssen sie einen eigenen Verein gründen. Viele Gemeinden tun das. Aber das ist auch eine Geldfrage. In Deutschland laufe ich nicht Gefahr, das Vereinsgesetz zu übertreten, wenn ich einem Obdachlosen ein paar Euros in die Hand gebe.

Offen über Geld reden, kann gut tun

Als Vereine leben die Kirchen und Gemeinden von Mitgliedsbeiträgen. Damit sind sie von der Spendenbereitschaft ihrer ­Mitglieder abhängig, die in der Regel nicht besonders groß ist. Zur deutschen Auslandsgemeinde zählen zirka 400 Haushalte. Die tägliche Gemeindearbeit in Paris ist immer wieder von betriebswirtschaftlichen Entscheidungen geprägt gewesen. Wenn ich Kinder getauft oder Paare getraut habe, die nicht zur Gemeinde gehörten, musste für diese Leistung bezahlt werden.

Mit anderen Worten: In der Pariser Gemeinde wird offen über Geld geredet, was nicht nur schlecht ist. Nach neun Jahren Paris staune ich jetzt über die Finanzkraft der kirchlichen Haushalte in Deutschland. Der Etat der lutherischen Kirche Frankreichs ist in etwa so groß  wie der einer mittelgroßen evangelischen Kirchengemeinde in Düsseldorf. Die deutsche Kirchensteuer gibt Sicherheit und garantiert eine gesellschaftliche Stellung der christlichen Kirchen, von der man in Frankreich nur träumen kann – zumindest als protestantische Gemeinde.

Am meisten vermisse ich die Gelassenheit

Meine Jahre als Pfarrerin in Frankreich haben mir geholfen, gelassener mit bestimmten Situationen umzugehen. Für mich war es eine gute Erfahrung, für eine Gemeinde zu arbeiten, die sich in einer Minderheitensituation befindet und selbst für ihr Auskommen sorgen muss. Diese Gelassenheit vermisse ich am meisten. In Deutschland beobachte ich oft eine Angst, als evangelische Kirche die gesellschaftliche Bedeutung und finanzielle Mittel zu verlieren. Darüber kann man aus französischer Perspektive nur staunen. Vielleicht sollten wir uns mehr auf unsere Möglichkeiten konzentrieren als auf unseren Mangel.

Wie anders das Leben im Nachbarland sein kann! Franzosen gehen das Leben nicht ganz so ernst an. Ausgedehnte Mahlzeiten, eine gewisse Unpünktlichkeit, ihre Streit- und Diskus­sionskultur: Hinter dem „savoir-vivre“ steckt eine andere Lebenskunst, andere Regeln im alltäglichen Zusammenleben. Wie gut kann ich heute Menschen verstehen, die in Deutschland an­kommen. Es ist nicht nur die deutsche Sprache, die nicht einfach zu lernen ist. Integration besteht aus unzähligen Kleinigkeiten, die selten so deutlich sind wie die Regeln einer Sprache.

Wenn mir das Einleben schon als Deutsche nicht leichtfällt, wie ergeht es dann Menschen, die aus dem Iran, Russland oder der Türkei kommen und hier neu anfangen müssen? Vielleicht ist es gut, das eigentlich schon abgedroschene Sprüchlein zu bedenken: „Wir alle sind Ausländer, fast überall.“

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Möchten sie wissen, wie es mir ergangen ist? Möchten Sie es wirklich wissen? Könnten Sie mir helfen? Halten Sie sich also zurück. Lernen Sie sich zu bescheiden, überlassen Sie ihre Probleme Gott, ohne Ihre Mitmenschen zu belasten, haben Sie ein offenes Ohr für Ihre Gemeinde, denken Sie weniger an Ihr Wohlbefinden, Sie haben ohnehin ausgesorgt, achtem Sie allerdings auf Ihre Kinder, sie stehen nämlich mitten im Gefecht, zwischen den Fronten, sie stören insofern, dass sie Ihre jobmässige Einlassung stören, sie sind im gewissen Sinne, Mittel zum Zweck.
Doch Kinder sind ihr eigener Zweck. Eigentlich sind nur sie wichtig.

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