Drei junge Mütter tragen ihre Kinder auf dem Rücken. Im Hintergrund ist die Skyline von Johannesburg zu sehen.
Drei junge Mütter tragen ihre Kinder auf dem Rücken. Im Hintergrund ist die Skyline von Johannesburg zu sehen, Südafrika. (Foto: 6.10.2009)
Florian Kopp/epd-bild
Die Euphorie in Südafrika ist verflogen
Nach 14 Jahren kommt das Pfarrehepaar zurück nach Südafrika. Und ist erschüttert – aber vorsichtig im Urteil

Vor sechs Monaten landete unser Airbus A 380 in Johannesburg. Ruck, zuck war unser Gepäck da, schnell waren wir durch Zoll und Passkontrolle. Was für ein herzlicher Empfang: Unser neuer ­Bischof Horst Müller und der Vorsitzende des Kirchenvorstands, Volker Speer, erwarteten uns im Terminal und brachten uns zum Pfarrhaus, das liebevoll für uns vorbereitet war. Wir wohnen mit unseren vier Kindern in Bryanston, einem wohlhabenden Vorort im Norden von Johannesburg.

Als Pfarrehepaar betreuen wir die deutschsprachige evangelisch-lutherische Nordrandgemeinde, die mit 500 Mitgliedern zu den größten Gemeinden der Evangelisch-lutherischen Kirche im Südlichen Afrika (ELKSA-N-T) zählt. Was für ein Kontrast zum beschaulichen Städtchen Göppingen, wo wir in der Kirchengemeinde Bartenbach tätig waren! Johannesburg ist eine Metropole mit vier Millionen Einwohnern. Selbst nach einem halben Jahr können wir nicht behaupten, Johannesburg auch nur ansatzweise zu kennen. So, wie uns noch ein Gesamtbild dieser Stadt fehlt, so ergeben unsere Erfahrungen in der neuen Heimat auch noch kein Gesamtbild, es sind eher Momentaufnahmen.

Johannesburg ist erstaunlich grün

Die Thomaskirche wurde vor 40 Jahren gebaut. Damals stand sie auf freiem Feld. Bald darauf wurden die Grundstücke rund um die Kirche verkauft, zuerst entstand ein großzügiges Wohnviertel, bevor in den 90er Jahren Bürotürme gebaut wurden. Die Kirche und das Pfarrhaus stehen auf einem großen Grundstück mit vielen Bäumen, in denen Vögel aller Art jede Menge Lärm veranstalten. Von unserem Küchenfenster aus können wir auf die Stadt hinunterschauen. Wir sind nach wie vor erstaunt, wie grün Johannesburg ist – angeblich die Stadt mit den meis­ten Bäumen der Welt.

Die ELKSA-N-T wurde von Missionaren aus der Berliner und der Hermannsburger Mission gegründet. Unsere Gemeindeglieder sind mehrheitlich deutschsprachige Südafrikaner, deren Familien schon seit Generationen hier leben. Sie sind im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts als Farmer oder Geschäftsleute eingewandert. Viele kamen auch nach dem Zweiten Weltkrieg hierher, damals wurden Fachkräfte aus Europa gesucht. Heute ist es nicht einfach, eine Arbeitsgenehmigung zu bekommen, weshalb die Zahl der Deutschen, die hier leben und arbeiten, in den letzten zehn Jahren zurückgegangen ist. Die Gemeinde ist von einst 600 Familien auf jetzt 250 geschrumpft.

Wie der Wandel Kirchengemeinden verändert

Seit dem Ende der Apartheid 1994 vollzieht sich in den Wohnvierteln ein tiefgreifender Wandel. Die Stadt wächst. Gut verdienende Schwarze ziehen in Viertel, in denen früher ausschließlich Weiße wohnen durften. Die Bevölkerung mischt sich neu. Das betrifft auch die Kirchen. Gemeinden, die ursprünglich deutsch waren, öffneten sich für die englische Sprache. Damit veränderten sich auch die Frömmigkeit und die Art und Weise, Gottesdienste zu feiern.

Dies war selten ein konfliktfreier Prozess, die Gemeinden gingen durch schwierige Jahre. Von den sieben Gemeinden der ELKSA-N-T in Johannesburg ist allein die Nordrandgemeinde ganz deutschsprachig geblieben, alle anderen feiern nur noch einen kleinen Teil ihrer Gottesdienste in Deutsch.
Als einzige deutschsprachige Gemeinde konzentriert man sich nun ganz bewusst auf die Deutschen evangelischen Glaubens. Das hat zur Folge, dass sie ganz weiß bleibt – was wir angesichts der Geschichte des Landes bedauerlich finden. Wir sind keine Kirche mehr nur für ein Stadtviertel, die Gemeindeglieder nehmen auch längere Anfahrtswege in Kauf.

Die Südafrikaner sind ernüchtert

Sonntags versammeln sich etwa hundert Menschen im Gottesdienst, darunter viele Familien. Der Zusammenhalt ist sehr groß. Die Familien kennen sich oft über Generationen hinweg und unterstützen sich gegenseitig. Der ­Gottesdienst hat für die Menschen eine große gesellschaftliche Bedeutung. Hier sprechen sie ihre Muttersprache, sie unterhalten sich mit Menschen, die kulturell ähnlich geprägt sind. Die Gemeinde bietet Heimat und ist identitätsstiftend.

Wir haben uns für die Stelle beworben, weil wir bereits 1998 ein Jahr in Südafrika studiert hatten. Vier Jahre nach der politischen Wende und während der Präsidentschaft von Nelson Mandela herrschte an der Universität von KwaZulu-Natal in Pietermaritzburg eine euphorische Stimmung. Die Menschen begriffen sich als Regenbogennation, wollten nach Jahren des Befreiungskampfes endlich eine neue gerechte Gesellschaft für alle Süd­afrikaner aufbauen. Dieses Studienjahr war sehr prägend, wir haben den Kontakt mit unseren Freunden über die Jahre ge­halten, und es war ein reizvoller Gedanke, 14 Jahre später mit ihnen als Kollegen in der ELKSA-N-T zu arbeiten.

Krasser Gegensatz zwischen Arm und Reich

Heute herrscht im Land Ernüchterung. Auch wenn man die enormen Probleme berücksichtigt, die Politiker seit 1994 angehen mussten: Die Bilanz ist bislang enttäuschend. Es ist nicht gelungen, den Reichtum besser zu verteilen und eine breite Mittelschicht wachsen zu lassen. Bildung ist immer noch ein Privileg derer, die gut dafür bezahlen können. So bleiben Millionen
Menschen in Armut, weil ihnen Ausbildung und Jobperspektiven fehlen. Hinzu kommt der Zustrom von Menschen aus den um­liegenden Ländern, die hier Arbeit suchen.

Einkaufen kann man in Johannesburg alles. An den Wochenenden schieben sich Tausende durch die Einkaufszentren, die in unseren Augen irrwitzig überdimensioniert sind. Die Stadt ist eines der wichtigsten Handelszentren in Afrika. Es gibt unglaublichen Reichtum. Noch nie haben wir so viele Luxusautos auf der Straße gesehen wie hier. Gleichzeitig wird man auf den Straßen immer wieder um Geld, Arbeit oder Essen gebeten. Wir fahren regelmäßig an Elendsvierteln vorbei, in denen Menschen ohne Strom und Wasser in Hütten leben, die aus Blech und Müll zusammengeschustert sind.
Dieser krasse Gegensatz zwischen Arm und Reich erschüttert uns und macht uns ratlos. Wir suchen noch nach unserer Rolle als Pastoren in dieser Gesellschaft. Unsere Erfahrungen lassen uns vorsichtig werden mit unseren Urteilen.

Frustration und Optimismus

Wir haben in der evan­gelisch-lutherischen Gemeinde in Harburg weiße Farmer erlebt, die sich freiwillig und ohne Druck der Regierung mit denen an einen Tisch setzen, die ihr Farmland als Teil ihres alten Stammesgebiets beanspruchen, weil sie diesen Anspruch anerkennen. Wir haben aber auch Rassismus erlebt, der von Weißen ausging. Und wegen unserer Hautfarbe haben wir bei einem Behördengang auch selbst Diskriminierung erfahren. Wir erleben in unserer ­Gemeinde Frustration gegenüber der Regierung, die tief in Korruption verstrickt ist, und finden es schade, dass sich mancher ins Private zurückzieht.

Aber wir erleben auch zupackenden Optimismus, so wie in einer Sitzung unseres Diakoniekreises. Einer sagte: „Lasst uns versuchen, innerhalb eines halben Jahres fünf Menschen so zu befähigen, dass sie entweder Arbeit finden oder ein eigenes Geschäft eröffnen!“ Damit möchten wir Menschen helfen, die bisher keine Arbeit gefunden haben, weil ihnen die entsprechende Ausbildung fehlt. Wir möchten ihnen Grundkenntnisse in Englisch und Buchhaltung vermitteln, ihnen bei der Bewerbung zur Seite stehen.

Wir haben in unserer Gemeinde Geschäftsleute in ge­hobener Position. Von ihnen haben sich einige bereiterklärt, uns bei der Suche nach geeigneten Arbeitsplätzen behilflich zu sein. Unsere Gemeinde tut noch mehr: Zum Beispiel unterstützt sie seit den 80er Jahren Pensionäre im Township Alexandra mit ­Lebensmitteln. Und sie sorgt für sieben Kinder, die ihre Eltern durch Aids verloren haben. Sie leben in Pflegefamilien, besuchen gute Schulen. Der Gemeinde sind diakonische Projekte wichtig, weil sie damit in diesem Land kleine Zeichen setzen möchte.

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