alle Fotos: Jessica Siegel
Der Rocker
Kopfhörer auf und los. Kirche und Popmusik waren für Jonny Pechstein nie ein Widerspruch. Die elektrisch verstärkten Keyboard- und Gitarrenklänge seiner Band gehen dem modernen Publikum einfach leichter in die Ohren als Orgel und Bach
20.06.2012

Der erste Popstar der Welt, sagt Jonny Pechstein, hieß Martin Luther. „Er hat die Gassenhauer seiner Zeit umgedichtet und in die Kirche gebracht. Die stehen heute in jedem Gesangbuch.“ Dass diese Popsongs des 16. Jahrhunderts bis heute in den Kirchen konserviert wurden, sei allerdings bestimmt nicht im Sinne ihres Erfinders: „Wahrscheinlich würde er uns heute fragen: Wieso singt ihr denn immer noch die alten Schinken?“

Jonny Pechstein, 41, christlicher Popmusiker, Bandcoach und Produzent, kippelt im Probenraum der Jungen Kirche Nürnberg LUX auf einem Barhocker. Er sieht nicht gerade aus wie Keith Richards, der verlebte Gitarrist und Sänger der Rolling Stones. Pechstein ist akkurat frisiert und brav gekleidet, und wenn er ein bisschen müde wirkt, dann nicht wegen Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll, sondern wegen seiner beiden Kinder, die ihn jeden Morgen um sechs Uhr aus dem Bett holen.

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Und trotzdem, in der Welt der Kirchenmusik ist er so eine Art Rebell. Er hat sich vorgenommen, die Gottesdienste zu revolutionieren: Schlagzeuge und E-Gitarren statt Orgeln. „Ich habe nichts gegen Choräle, aber das ist keine musikalische Sprache, die die Leute heute noch sprechen.“

Kurz darauf ist die Probenpause vorbei. Der langmähnige E-Gitarrist greift in die Saiten, der Schlagzeuger drischt auf das Becken ein, der Sänger umklammert das Mikro mit beiden Händen und flüstert in düsterem Sprechgesang: „But I can see it coming. You’re not so far away.“ („Doch ich kann es kommen sehen. Du bist nicht so fern“), drei krachende Schläge aufs Becken, dann wieder Stille und das bedrohliche Flüstern des Sängers, „cause I can feel your power surging through the whole of me“ („denn ich fühl deine Macht mich ganz durchfluten“).

Von Johannes Matthäus Pechstein, Chorknabe, zu Jonny Pechstein, Rockmusiker

„Supernatural“ heißt der Song der christlichen US-Rock-Band DC Talk. Auch so kann Gottesanbetung klingen. „Das Evangelium“, sagt der Musiker, „ist purer Rock ’n’ Roll! Ein Gott, der Mensch wird und sich für die Menschen opfert, das ist revolutionär.“

Pechstein wuchs in der frommen oberfränkischen Klosterstadt Selbitz auf, seine Familie war „sehr christlich“, beide Eltern sangen im Kirchenchor, der Vater saß im Kirchenvorstand. Fragt man ihn, wie oft er als Kind in der Kirche war, sagt er schlicht: „Immer!“

Mit drei Jahren entdeckte er das ver­wais­te Klavier im Wohnzimmer, mit vier bekam er Privatunterricht, später spielte er im kirchlichen Jugendchor. Beste Voraussetzungen für eine klassisch christliche Musikerkarriere. Doch aus dem Zimmer seines großen Bruders hallte das Kontrastprogramm: Queen, Police, Supertramp. Nach Schulschluss schlich sich Johannes zur Stereoanlage, die der Älteste zur ­Konfirmation bekommen hatte, legte die Nadel auf die Platten und setzte sich die Kopfhörer auf. Toto, Genesis, U2. Aus Johannes Matthäus Pechstein, dem Chorknaben, wurde Jonny Pechstein, der Rockmusiker.

Er wollte Musik studieren, doch Anfang der 90er gab es an den Unis nur die Studiengänge Klassik oder Jazz – nicht seine Welt. Er schrieb sich für Englisch und Geschichte ein, in den Hörsälen sah man ihn aber nur selten. Stattdessen zog er als Keyboarder durch Kirchen, Kneipen und Jugendclubs, hatte 60 Auftritte im Jahr, das Geld reichte für seine Studentenbude.

Sonntagabend verwandelt sich die Kirche in eine Disco

 

Mit seinem Freund, dem Nürnberger ­Sänger und Songwriter Addi M., kam er bis in die Endausscheidung des Deutschen Rock- und Pop-Preises; mit der christlichen Musikerin Cae Gauntt spielte er vor 10 000 Zuschauern. 1996 dann gründete er die Jonny-Pechstein-Band, coverte Gemeindelieder und veranstaltete Mitsingkonzerte. Bei einem Musikprojekt lernte er seine Frau kennen, eine Sängerin. Als sie schwanger wurde, hörte er auf zu touren. Heute haben sie zwei Kinder: Emma, neun Jahre alt, Sängerin, und Benedikt, sechs Jahre alt, Schlagzeuger. Auch beruflich kümmert sich Pechstein seither um den Nachwuchs: Beim Klavierunterricht, in Songwriting-Workshops und bei Bandcoachings wie dem in der Jungen Kirche LUX.

Die junge Band, die Pechstein dort betreut, ist erst seit wenigen Wochen zusammen. In drei Jahren, so lange läuft das Projekt, soll sie professionell genug sein, um eigene Lieder zu schreiben und vor gro­ßem Publikum zu spielen. Gleichzeitig ­sollen die Jugendlichen an den christlichen Glauben herangeführt werden.

„Für mich war der Glaube immer ein fester Ankerpunkt“, sagt Pechstein, „und ich denke, dass dieser Ankerpunkt vielen jungen Menschen fehlt.“ Dass heute so wenige in die Kirche gehen, liege daran, dass man als moderner Mensch die Kultur wechseln müsse, sobald man eine Kirche betritt: „Plötzlich muss man Lieder singen, die 500 Jahre alt sind. Also denken die Jungen, dass auch die Inhalte nichts mit ihnen zu tun haben. Popmusik könnte da ein Tür­öffner sein.“ 

Wie gut das funktionieren kann, zeigt sich am Beispiel von Anton, dem E-Gitarris­ten der LUX-Band. Der 21-jährige Schlaks mit blonder Mähne sitzt auf einem Verstärker und dreht sich eine Zigarette. „Ich glaube schon an etwas“, sagt er, „aber nicht an das, was in der Bibel steht.“ Er kommt aus dem Nürnberger Nordosten, in dem die Gemeinde beheimatet ist, am liebsten hört er Hardrock und Heavy Metal, Me­tallica, Guns ’n’ Roses. „In einen normalen Gottesdienst würde ich nie gehen.“

"Schade, dass es das nicht für Erwachsene gibt"

Seit ein paar Wochen aber geht Anton jeden Sonntag in die Kirche. Was daran liegt, dass der Gottesdienst der LUX nicht „normal“ ist: Jeden Sonntagabend verwandelt sich das Kirchenschiff in eine Disco, lilafarbener Nebel steigt auf, Strahler kreisen, Stroboskop-Blitze zucken.

In der Predigt des Jugendpfarrers fallen die Worte „heftig“, „krass“ und „fett spektakulär“, unter einem großen Holzkreuz spielt eine Band mit Schlagzeug, Bass und E-Gitarre.

Vor ein paar Jahren, als man in der Gemeinde noch klassische Gottesdienste feierte, kamen 30 Besucher. Seit sie die Kirchenbänke herausgerissen und eine Soundan­lage eingebaut haben, kommen über 300.

Vergangenes Jahr, erzählt Pechstein, war ein Reporter vom Bayerischen Rundfunk da. Tolle Sache, habe der gesagt, aber schade, dass es das nicht für Erwachsene gibt! Pechstein sieht das genauso. Zwanzig Jahre schon engagiert er sich im Verband für christliche Popularmusik in Bayern, einem Verein mit 400 Mitgliedern und einem Ziel: Pop als gleichberechtigte Kirchenmusik zu etablieren. Mittlerweile ist er Redaktionsleiter der Verbandszeitschrift „musik&message“.

Oft melden sich Leute, die sich moderne Gottesdienste wünschen, aber von ihren Gemeinden nicht erhört werden. Viele ­Kirchenvorstände wiegeln ab. Zu aufwendig, sagen sie, man brauche ja eine Soundanlage, Instrumente, Bandcoachings, und außerdem sei Popmusik für die Kirche sowieso viel zu laut. Letzteres, sagt Pechstein, sei natürlich ein Vorwand: „Orgeln und Posaunen sind laut! Und die Restaurierung einer Kirchenorgel kostet Zig­tausende, trotzdem wird es gemacht.“

„Wir mussten zeigen: Auch Popmusik hat Sinn und Ziel“

In Wirklichkeit, vermutet er, können viele Kirchenvorstände mit Popmusik einfach nichts anfangen. „Es gibt da den Ansatz: Die Form bestimmt den Inhalt. Also müssen die klassischen kirchlichen Botschaften auch mit klassischer Musik überbracht werden.“

Doch der Verband für Popularmusik hat auch schon einiges bewirkt. Seit ein paar Jahren gibt es in der Kirchenmusik eine D-Prüfung für Popularmusiker; damit ist Pop offiziell als Gottesdienstmusik anerkannt. Mit dem Prüfungsschein kann man seiner Gemeinde beweisen, dass man die Grundlagen der Technik beherrscht und in der Lage ist, eine Band aufzubauen und zu leiten.

 

Pechstein war zwei Jahre Dozent für Schlagzeug und Keyboard. „Als Popmusiker haut man nicht nur schräg auf irgendwelchen Klampfen herum oder drischt auf Trommeln ein. Wir wollten klarmachen,  dass das eine Musik mit Sinn und Ziel ist, die eine gewisse Ausbildung und Fähigkeit erfordert.“ Pechstein selbst hat die Prüfung nie abgelegt; seine Eignung als Popmu­siker muss er nicht mehr beweisen.

Wie auch Christian Probst, Pechsteins Mitbewohner aus den Studententagen, heute Pfarrer in Burgfarrnbach, ganz in der Nähe, und selbst Musiker. Schon als Theologiestudent hatte er moderne Lieder zu den 2500 Jahre alten Wallfahrtspsalmen komponiert.

Vor ein paar Jahren holte er sie wieder aus der Schublade und nahm Demos auf, eine fröhliche Mischung aus Pop, Soul und World Music. Er fragte Pechstein, ob er Lust habe, eine CD zu produzieren. Er hatte. Sie stellten eine Band aus alten Bekannten zusammen, Schlagzeug, Bass, Gitarre, Trompete, Saxofon; das Keyboard spielt Pechstein selbst.

 

 

Herbergswolldecken im Gebälk, überall Mikros

An einem Wochenende im Februar 2012 ist die CD fast fertig, nur der Chor muss noch aufgenommen werden. Pechstein und Probst treffen sich mit 25 Sängern im Dietrich-Bonhoeffer-Jugendhaus in Kattenhochstatt, einem kleinen Ort, 60 Kilometer südlich von Nürnberg. Den holzvertäfelten Saal des ehemaligen Pfarrhauses haben sie in ein Tonstudio verwandelt: Herbergswolldecken hängen vom Gebälk, um den Schall zu schlucken. Überall stehen Mikrofone, Notenständer, Lautsprecher.

Pfarrer Probst singt mit und hat sich bei den Tenören eingereiht, Produzent Pechstein sitzt an einem Tisch und starrt auf die virtuellen Mischpulte auf seinen Computerbildschirmen.

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Er setzt Kopfhörer auf, lässt die Aufnahme laufen und nickt der Chorleiterin zu, der Dekanatskantorin Inge Schilffarth. Die energische Frau wartet mit erhobenen Armen und durchgedrücktem Rücken auf ihren Einsatz – und verpasst ihn. Fragend dreht sie sich zu Jonny Pechstein um, doch der zuckt nur mit den Schultern.

Also noch mal von vorn, diesmal ist sie bereit für ihren Einsatz, zwei volle Takte nach der Gitarre – sie verpasst ihn wieder. Wie kann das sein? Die Dekanatskantorin hat jahrzehntelange Erfahrung, Tausende Kehlen dirigiert, und nun das. Beim dritten Mal verliert sie die Fassung: „Bin ich jetzt verrückt?“, ruft sie und lässt sich in den Stuhl neben Pechstein fallen. Passen Choräle und Gitarren doch nicht so gut zusammen, wie Pechstein meint?

"War das gut?" - "Ist gekauft!"

Pechstein hält das Notenblatt neben die bunten Balken auf seinem Bildschirm. Eine Weile vergleicht er die Noten. Plötzlich ruft er: „Ich hab’s! Da ist der Fehler: Die Gitarren auf dem Demo sind einen Vierteltakt zu lang!“

Die Chorleiterin kehrt zu ihrem Notenständer zurück. Pechstein lässt die Aufnahme wieder laufen, exakt eindreiviertel Takte nach der Gitarre schießt die Hand der Kantorin nach vorne. 25 Kehlen singen laut: „May your saints sing for joy / May your saints sing for joy / for jo-o-oy“ („Mögen deine Heiligen aus Freude singen“).

Als der Hall verklungen ist, fragt die Dekanatskan­torin: „War das gut?“ Pro­duzent Pechstein nickt zufrieden und nimmt die Kopfhörer ab: „Ist gekauft!“ Er hat nie daran gezweifelt, dass Klassik und Pop irgendwann zueinanderfinden.

Ich bin Anton, der Gitarrist der im Artikel erwähnten LUX-Band.

als der Artikel geschrieben wurde, hatte die Band noch keinen Namen. Das hat sich nun geändert, wir heißen seit einigen Monaten LUXERIöS.
Zu hören und zu sehen sind wir in der Regel in der LUX, zusammen mit Jonny.

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