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Der Katholikentag der Ungeduld
2012: Der Katholikentag der Ungeduld. Das Mannheimer Laientreffen macht ernst mit dem Motto „Einen neuen Aufbruch wagen“
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
16.05.2012

 


Wer diese Katholikinnen und Katholiken sieht, der weiß: Sie lassen sich nicht durch Reformverzögerungen oder durch theologische Rollen rückwärts von ihren Zielen abbringen. In Mannheim haben sich 50000 zum Katholikentag mit dem Motto „Einen neuen Aufbruch wagen“ versammelt. Und nicht wenige davon haben dieses Wort vom Aufbruch vor 50 Jahren zum ersten Mal im Mund geführt, angestoßen durch das Zweite Vatikanische Konzil, jenem großen Reformkonzils, das die katholischen Kirche vom Kopf auf die Füße stellte.

Unglaublich viel hat sich in der Kirche seither verändert, ablesbar zum Beispiel an diesen drei Themenfeldern: der Aufwertung der Laien, die immerhin den Hauptteil des „Volkes Gottes“ ausmachen, dann den Umgang mit den anderen Konfessionen und Religionen, schließlich die Reform der Gottesdienste, die seither in der Muttersprache stattfinden. Und trotzdem ist eine wachsende Unruhe in der katholischen Kirche zu verspüren. Sie hat zu tun mit der zögerlichen Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in der Kirche und wurde angefeuert durch die Zusammenlegung, eigentlich einer Zerschlagung, zahlreicher Gemeinden zu „pastoralen Großräumen“, in denen die Ehrenamtlichen immer mehr Aufgaben übernehmen sollen. Beides hat tatsächlich miteinander zu tun: In vielen Leitungsfragen haben die Laien keine Entscheidungsbefugnisse, aber sie sollen angesichts des Pfarrermangels zunehmend Arbeit schultern. Mehr tun wollen sie schon, dann aber auch mehr Verantwortung. „Laien“ wollen Gottesdienste leiten, Frauen wollen in Weiheämter wie das Diakonat gelangen. Beides sind erklärte Ziele auch der katholischen Laienvertretungen, die den Katholikentag veranstalten.

"Der Soldat im Kundus kann Pfaffengezänk nicht ertragen"

Manchmal ist es nützlich, sich von guten Freunden die Meinung sagen zu lassen. Der Braunschweiger evangelische Bischof Friedrich Weber, für Catholica zuständig und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen, warb dafür, mehr ökumenische Gottesdienste auch an Sonntagen zu veranstalten, einerseits aus grundsätzlichen Erwägungen, andererseits um auf den katholischen Personalengpass zu reagieren. Er sagte: „Ein ökumenischer Gottesdienst ist die Feier der in Christus geeinten Kirche der Zukunft. Er wird mit Sicherheit eines Tages der Normalfall sein.“ Er verwahrte sich gegen vereinzelte Auffassungen katholischer Bischöfe, ein ökumenischer Gottesdienst, „Wortgottesdienst“, sei ein Notbehelf. Während am Sonntag Vormittag nach katholischer Sicht grundsätzlich kein ökumenischer Gottesdienst stattfinden soll, um der heiligen Messe keine Alternative entgegenzustellen, ist die Realität vielfach schon eine andere. Wo kein Gottesdienst in der eigenen Konfession stattfinden kann (das betrifft gelegentlich auch die Soldaten in Kundus), verbindet der Gottesdienst der anderen Konfession nicht weniger mit Gott. Der Generaldekan der katholischen Militärseelsorge sagte im Blick auf die Ökumene im Feld: „Der Soldat im Einsatz kann Pfaffengezänk am allerwenigsten ertragen“. Man spürt: Die Ökumene kennt viele Wege.

»Einen neuen Aufbruch wagen«: Das ist große Überschrift über diesem Katholikentreffen. Aber um welchen Aufbruch geht es? Rainer Bucher, der Grazer Professor für Pastoraltheologie, sieht die katholische Kirche an einer Wegscheide. Er hält eine Neuorientierung der Kirche für unabdingbar,  nämlich „den Abschied von jahrhundertelang gut funktionierenden Routinen kirchlicher Herrschaft und den Abstieg in die Demut der Bewährung für das Volk Gottes“. Es gibt soziologische Rahmenbedingungen, die dies notwendig machen. Er nennt den fulminanten Reichweitenverlust der Pfarrgemeinden, eine unübersehbare Milieuverengung der Pfarrgemeinden. Vor allem aber habe sich das Verhältnis von Religion und Biografie grundlegend geändert. „Nicht mehr die Religion beherrscht die Biografien, sondern biografische Bedürfnisse beherrschen die religiöse Nutzung.“

"Die Kirche unter dem Zustimmungsvorbehalt ihrer Mitglieder"

Reformen werden auch deshalb immer sinnvoller: Die Kirche gerate, so Bucher, unter den Zustimmungsvorbehalt ihrer eigenen Mitglieder. Sie sei ihnen - ganz gegen ihr Selbstverständnis - finanziell und in ihrer religiösen Autorität ausgeliefert. In dieser Rolle befinden sich auch die Pfarrgemeinden.

Was tun? Auf die eigene Berufung zu vertrauen, gleich in welcher Funktion innerhalb des »Volkes Gottes«. »Vertrauen auf unsere Berufung heißt, endlich von Erlaubnisdiskursen zu Ermöglichungsdiskursen überzugehen. Vertrauen auf unsere Berufung heißt, auf die Gnade Gottes zu vertrauen.« Konkret: sich an den Aufgaben zu orientieren, nicht an bestehenden Sozialformen; die eigene Aufgabe im Außen ihrer selbst finden; Die Welt sei unsere eigene Aufgabe, die Liebe zu und in dieser Welt, und zwar so, sie sie ist, und so, wie wir selber sind.

Krisen können kreative Prozesse anstoßen

Franz-Xaver Kaufmann, Bonner Soziologe, distanzierte sich von Auffassung Kardinal Walter Kaspers, dass die die wesentliche Krise eine Krise des Gottesglaubens sei. Es gebe vielmehr vier Krisen: eine Missbrauchskrise, eine pastorale Krise, eine Strukturkrise und eine Glaubenskrise. Das mutmaßlich zentrale Moment der gegenwärtigen Krise sieht Kaufmann im "Verdunsten des Glaubens an ein hierarchisches Kirchenverständnisses, das bisher über die Repräsentation der sakramentalen Wirklichkeit Gottes hinaus für sich selbst eine sakrale Aura in Anspruch nahm."

Aufbruch in diesem Sinn heißt also: Aufgaben erkennen und selbst mit der Arbeit anfangen. Souverän, ohne nach Autoritäten zu schielen, getragen von dem Bewusstsein, das jeder, unabhängig von einer kirchlichen Funktion, teilhaben am »priesterlichen, prophetischen und königlichem Amt«. Die meisten, die sich in Mannheim beim Katholikentag eingefunden haben, dürften kein Problem damit haben, ihre eigenen Ziele und Prioritäten zu formulieren. Wie sagte Franz-Xaver Kaufmann: "Krisen können kreative Prozesse generieren. Aber sie werden wohl nicht zu einem neuen stabilen Zustand führen." Aber auch, wenn die katholische Kirche ihre sakrale Aura verliere, müsse sie nicht ihren Untergang befürchten.

Was den evangelischen Bischof an Petrus fasziniert

Ulrich Fischer, der badische evangelische Bischof und so auch er gewissermaßen Gastgeber des Katholikentags, bekannte beim ökumenischen Gottesdienst in der evangelischen Christuskirche, dass er gerade von dem Apostel Petrus fasziniert sei. Von ihm werde „so Widersprüchliches berichtet, was mir bestens vertraut ist: Kleinglaube und Verrat ebenso wie Bereitschaft zum mutigen Zeugnis und Mut in der Nachfolge Jesu“. Es war eine Hoffnung stiftende Predigt, mit einer feinsinnigen Anspielung auf die menschlichen Seiten des Petrusamtes. Und die anwesenden Katholiken fühlten sich in diesem ökumenischen Gottesdienst wieder richtig verstanden.

Wie geht es weiter? Nachdem alle ökumenischen Fragen zum Abendmahl wissenschaftlich-theologisch geklärt sind, rückt der eigentliche theologische Dissens in den Vordergrund: das unterschiedliche Amtsverständnis der Ordinierten in den christlichen Kirchen. Das ist vieles zu klären. Dann die schon lange ausstehende Weihe von Frauen zu Diakoninnen. Ganz zu schweigen von der Frage, ob eines Tages einmal „Laien“ einer Eucharistiefeier  vorstehen dürfen.

Seit 40 Jahren stehen Antworten des Vatikans aus

Ist es Zeit für ein neues Konzil? Überhaupt nicht, sagt Alois Glück, der Katholikentagspräsident, denn viele Aufgaben des Konzils sind noch gar nicht erledigt. Ähnlich ist es mit vielen Beschlüssen der Synode der deutschen Bistümer, die in den Siebzigern die Reformen des Konzils für Deutschland adaptierte. Diese Reformbeschlüsse der Synode sind im Vatikan vor 40 Jahren zwar eingetroffen, aber, so der frühere Präsident Hans Maier: „Eine ganze Reihe von Bitten der Synode an den Vatikan sind immer noch nicht beantwortet. Wie wäre es mit einer Antwort vielleicht um 50. Konzilsjubiläum?“ Es war einer der besonderen Sätze der Konzilsgala während des Katholikentags. Er zeigt: Reformen lassen sich sicherlich verzögern, aber nicht unterdrücken.

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