Viel mehr Schüler steigen ab statt auf - ein Skandal
29.11.2012

Als Journalistin und Mutter kann man bisweilen verzweifeln. Journalisten werden seit Jahren mit Studien zugeschüttet: Fachkräftemangel. Demografischer Wandel. Wir brauchen jedes Kind. Und dann geht die Journalistin nach Feierabend  zum Elternabend und registriert: Leas Mutter ist gar nicht da, Murads Vater druckst beschämt herum – wieder zwei Schüler, die wohl „herabgestuft“ werden sollen  in die Realschule. Das ist bitter für Lea und Murad, das ist aber auch verheerend für die anderen 29 ­Kinder in der Klasse. Angst macht sich breit: Wer wird der Nächste sein?

50.000 Mal ist das letztes Jahr in Deutschland passiert, der „Abstieg“ ist doppelt so häufig wie der „Aufstieg“. Hat die Bertelsmann Stiftung jetzt erforscht.  Als sei das Bildungswesen eine Art ­Bundesliga. Dabei steigt im Fußball wenigs­tens für jeden Absteiger einer auf. Und um die anderen kümmern sich teure ­Motivationstrainer und Psychocoaches.

Davon sind die Schulen weit entfernt. Nichts ist demotivierender als die Erfahrung des Scheiterns. Wie lange wollen wir uns eigentlich noch leisten, dass ­Kinder aussortiert werden, weil sie angeblich die Gymnasialreife nicht haben – obwohl man ihnen die nach der vierten Klasse attestiert hat? Oder weil sie „verhaltensoriginell“ sind?

Gute Schulen bemühen sich um jeden einzelnen Schüler. „Lernstörungen erkennen, Wiederholungen vermeiden, unnötigen Schulabbrüchen entgegen­wirken“ heißt es zum Beispiel im gerade verabschiedeten Rahmenkonzept der Evangelischen Schulen in Bayern. Zu Deutsch: Keine und keiner soll verloren gehen – aber dafür müssen wir uns eben besonders anstrengen. Klingt einleuchtend. Wann, bitte, steht das endlich in jedem deutschen Schulprogramm?

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Welch eine Panik geht aus dem Artikel und dem Leserbrief hervor, mit , übrigens, den ewig gleichen Argumenten. Wie muss es dann erst den Eltern ergehen, die zusätzlich zum Ehrgeiz auch noch die Sorge um den Nachwuchs quält ? Ein Vorschlag : Wie wäre es, wenn man die Kinder selbst entscheiden liesse, in welche Schule sie gehen wollen ? Sicher wird es dann weniger Durcheinander geben, sicher auch die eine oder andere Überraschung, und das Verantwortungsbewusstsein der Schüler könnte dadurch wachsen, selbst wenn es mal auch dort eine Rückstufung geben sollte ? Oder öfter sogar einen Aufstieg ? Eine selbstbewusste Entscheidung macht stark. Ich kann nicht nachvollziehen, dass es nicht schon längst so ist . So hohe Erwartungen lasten auf den Kleinen, aber eine freie Entscheidung mutet man ihnen offenbar noch nicht zu ? Wie können Kinder gute Schulleistungen erbringen , wenn ihre "Verhaltensoriginalität" ( ???? ) nicht als unbewusste Weigerung verstanden wird ? Wer bewusst entscheidet, wird Freude empfinden statt Druck. Problematisch dürfte es wohl nur für die Erwachsenen werden, denn diese müssten sich zurückhalten, und die Lehrer müssten sich nicht so sehr auf Bewertungen, als vielmehr auf die Zusammenarbeit mit den Schülern konzentrieren. Das dürfte eine enorme Entlastung bringen, denn ich kann mir vorstellen, dass es kaum einem Lehrer leicht fällt, kleine Kinder zu bewerten, ja, fast schon über deren Schullaufbahn vorzeitig zu entscheiden, oder sogar auf deren zukünftiges Leben Einfluss zu nehmen ?! Konträr dazu stünde dann NUR der " Demogrfische Wandel ", und das händeringende gesellschaftliche "wir brauchen jedes Kind " , denn dieses Kind würde sich in keine Vorgaben zwingen lassen. Aber es wäre gefeit gegen Mobbing, gegen Missbrauch jeglicher Art . Was also ist wichtiger ? Jeder Soziologe , jeder Demagoge, jeder Journalist hat Kinder, jedes selbstbewusste , gesunde Kind fragt den Papa : bin ich nur wichtig, wenn ich tue , was ihr wollt ? Liebt ihr mich, weil ich für euch arbeite, für die Firma, für die Wirtschaft, für andere, oder weil ich ich bin, weil ihr mich wolltet , vielleicht auch , weil Gott mich wollte ? Solche und ähnliche Fragen sind doch möglich ? Und natürlich müsste man ihnen auch weiterhin beistehen, wie bisher, aber vielleicht weniger bei den Hausaufgaben, als bei der Motivation, durchzuhalten ? Meine Erfahrungen auf diesem Gebiet sind haarsträubend "originell " !

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Autor des folgenden Beitrages ist Iwan der Schreckliche. Zitat aus dem Artikel: "Als sei das Bildungswesen eine Art Bundesliga." Die Schule ist die gesellschaftlich gewollte und anerkannte Sortieranstalt. Sie verteilt das nachwachsende Menschenmaterial auf die verschiedenen, in der freiheitlichen Gesellschaft vorgesehenen Karrierewege. Schließlich sind die lieben Zeitgenossen rasend stolz darauf, in einer Gesellschaft zu leben, die die härtesten Unterschiede für das Normalste der Welt erklärt. Da wäre in erster Linie der Unterschied zwischen einerseits der kleinen, radikalen Minderheit derer, die genügend Geld besitzen, um andere für sich arbeiten zu lassen, als Unternehmer und Investoren höchstes gesellschaftliches Ansehen genießen und andererseits der großen Masse derer, die einen Job benötigen, um über die Runden zu kommen. ____________________ Innerhalb dieser zweiten Gruppe wird konkurriert einerseits um die vergleichsweise wenigen Arbeitsplätze, die ein lockeres Auskommen ermöglichen und im Regelfall eine akademische Ausbildung voraussetzen und andererseits um die Normaljobs, die Leichtlohngruppenarbeitsplätze und sonstige sogenannte prekäre Arbeitsverhältnisse. Ob man sich um einen Chefarztposten bewerben kann oder doch nur anfragen darf, ob ein Platz als Paketausfahren frei ist, darüber entscheidet immer noch die durchlaufene Schulkarriere. ____________________________ Jede Gesellschaft hat die Schule, die zu ihr passt. Die demokratisch betreute, freiheitlich-marktwirtschaftliche Gesellschaft hat notwendigerweise die Sortierschule als die ihr gemäße Bildungseinrichtung. Der mit Inbrunst ausgetragene Streit darum, wie diese Sortierschule im Einzelnen auszusehen habe, also ob Gesamtschule oder mehrgliedriges Schulsystem, Noten oder Wortbewertungen, Inklusion öder Förderschulen, mehr Mathe oder mehr Volksliedsingen und tausend weitere Streitfragen dieser Art, ändert nicht einen Deut am Zweck der Schule. Ja sogar die mit dem edlen "Rahmenkonzept der Evangelischen Schulen in Bayern" gesegneten Schulen werden sich diesem Zweck beugen müssen.

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denn Technik, Wirtschaft, Organisation lernen Kids auf Realschulen richtig gut. Und das sind die Skills, die im 21. Jh. zählen. Schon über 40 % der Zulassungen an Hochschulen gehen nicht mehr an Abiturienten. Und dass das Schulsystem bei den Entwicklungschancen der Schüler echt keinen Walzer spielt, ist längst wissenschaftlicher Common Sense, den mögen Pädagogen-Lobbyisten -die, die das Schulsystem ähnlich an die Wand gefahren haben, wie die Investementbanker ihres 2007- nur nicht. Dieser Kommentar beweist, dass sich das Schulsystem selbst viel zu ernst nimmt.
An den Unis brauchen Abiturienten längst Nachhilfekurse in Mathe, Physik und DEUTSCH, in Ausbildungsbetrieben werden sie nicht mehr genommen.
Also machen wir Niklas Luhmann doch ein nettes Geschenk zum 85. und nehmen endlich seine Bildung-ist-bankrott-These zur Kenntnis. Veraltete Systeme wie "education" werden längst gehackt. Menschen lernen informell, dann wenn sie es und genau was sie brauchen.

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Sehr geehrte Frau Ott!
Vielen Dank für Ihren Hinweis auf die vielen Schul-Absteiger! Sie weisen zurecht darauf hin, dass dieses erlebte Scheitern gerade in einer sensiblen Phase der Entwicklung hoch problematisch ist!

Gleichzeitig fehlen meines Erachtens zwei dringend benötigte Aspekte:
a) wer schützt die Kinder vor den Erwartungen und dem Druck der Eltern?
In Baden-Württemberg ist die verbindliche Grundschulempfehlung in diesem Jahr weggefallen mit dem vorhersehbaren Ergebnis, dass die Zahl der Anmeldungen auf Gymnasium und Realschule gestiegen sind. Da die schulische Leistungsfähigkeit sich - auch im Blick über Jahrzehnte - nicht  gravierend verändert hat, gibt es zwei mögliche Konsequenzen:
Entweder wir senken das Niveau der Schularten oder mehr Schüler steigen ab. Beides ist meines Erachtens nicht wünschenswert, aber dann bräuchte es einen anderen Weg, damit die Kinder tatsächlich auf eine passende Schule kommen.

b) wer schützt die Lehrer vor immer höheren und fachfremden Erwartungen?
Bei gleicher Schülerzahl sollen heute deutlich mehr verhaltensoriginelle Kinder mit unterrichtet werden. Das geht zwangsläufig zu Lasten der weniger "originellen". Es sollen Schüler inkludiert werden, die keinerlei Chance haben, dem Unterricht zu folgen. Es werden Schüler ohne Deutschkenntnisse in die Klassen eingewiesen. ...

Solange diese beiden Fragen nicht angegangen sind ist das von Ihnen zu Recht benannte Problem des schulischen Abstiegs m.E. nicht ansatzweise zu verhindern.

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Ihr Kommentar „Ab in die 2. Liga“ in Chrismon Plus 12/2012 suggeriert durch den Vergleich mit der Bundesliga falsche Assoziationen und bedient ideologische  Positionen. 

Demgegenüber möchte ich Fragen stellen, die eine andere Perspektive aufzeigen.

Warum soll die Realschule die Schule zweiter Liga sein? Warum sollen alle Schüler die Wahrscheinlichkeitsrechnung in Mathematik, den Ablativus Absolutus in Latein oder eine Shakespearelektüre in Englisch lernen? Gibt es nicht praktisch begabte Kinder, die in der Realschule besser aufgehoben sind als im Gymnasium? Kann es sein, dass in Zeiten der guten Noten auch die Empfehlung der Grundschule nicht immer gymnasiale Tauglichkeit attestiert? Soll das Gymnasium zur einzig akzeptablen, weiterführenden Schule für alle herabgestuft werden? Gibt es nicht genügend Beispiele für spätere erfolgreiche Berufskarieren ohne Gymnasium und Abitur?
Ihre Unterstellung, dass sich Gymnasien nicht genug um „Schüler mit Lernstörungen“ kümmern, ist für mich als Gymnasiallehrer mit 35-jähriger Berufserfahrung besonders ärgerlich, weil an den vier Schulen, an denen ich tätig war, die meiste Zeit in Schulkonferenzen für Problemfälle aufgewendet wurde. Deshalb bedarf es keines Schulprogramms, die Verantwortung für lernschwache Schüler extra zu postulieren. Es gibt für mich keinen Zweifel, dass unterschiedliche Fähigkeiten und Begabungen den Schülern in einem differenzierten Schulsystem am besten gerecht werden. Natürlich muss die Durchlässigkeit der Schulformen immer gewährleistet sein.

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