Dirk von Nayhauß
"Das Schlimmste wäre das Gefühl, etwas versäumt zu haben"
Ein Leben ohne Schreiben ist für ihn unmöglich. Und Schuldgefühle sind nicht sein Thema. Der Schriftsteller Bodo Kirchhoff hat sich immer alles geholt, was er fürs Leben brauchte.
Dirk von Nayhauß
22.10.2012

In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?

Wenn ich etwas schreibe, das ich noch Sekunden vorher nicht gewusst habe. Plötzlich geht es fast ohne Anstrengung – für ­kurze Momente, manchmal für Minuten. Dann habe ich einen Zugang zu einem Bereich meiner selbst, der in der Regel verschlossen ist. Ein Bereich, in dem ich sehr frei bin, leicht. Sonst ist mein Schreiben überwiegend eine Kraftanstrengung. Sechs Jahre habe ich an „Die Liebe in groben Zügen“ gearbeitet, in den letzten drei Jahren hat mich dieses Buch beherrscht. Aber ein ­Leben ohne Schreiben wäre mir unmöglich. In mir gibt es Bereiche, die sind nicht gesellschaftsfähig, die kann ich nur durch meine Bücher vermitteln. Wäre ich nie zum Schreiben gekommen, hätte das vielleicht in die Kriminalität geführt, zum Betrug.

Was können Erwachsene von Kindern lernen?

Ich habe meine Kinder vom ersten Moment an auf eine unschuldige Weise geliebt. Ich habe mich von ihrer Unschuld, von ihrer Lebensbejahung und von dem Hellen anstecken lassen. Das war die erste Form der Liebe, die völlig unbelastet war. An dieser Liebe hing einfach nichts anderes, nichts Dunkles, nichts Schweres. Das war etwas grundlegend Neues für mich. Meine eigene Kindheit war eine belastete Zeit. Ich konnte durch Missmut jedes Gruppenbild ruinieren. Mit zehn Jahren kam ich ins Internat. Ich konnte mit meinen Eltern nicht einmal telefonieren.

An welchen Gott glauben Sie?

Ich glaube an das Mysterium, warum ich als ein bestimmter Mensch in einem bestimmten Körper zu einer bestimmten Zeit die Welt erlebe. Ich bin tief davon überzeugt, dass dahinter mehr als purer Zufall steckt, etwas das wir nicht begreifen. In manchen Momenten habe ich das Gefühl, dass mir das Unerklärliche sehr nahe ist. Ich bin Anfang der neunziger Jahre auf dem Höhepunkt des Krieges in Somalia mit einem Fotoreporter durch Mogadischu gefahren – allein, ohne Begleitschutz, recht naiv. Wegen eines Leis­tenbruchs musste ich kurzfristig zurück nach Hause; am nächs­ten Tag ist der Fotograf zu Tode gesteinigt worden. Das sind Erlebnisse, in denen man klein wird und sich überlegt: Was kann dahinter stecken? Es gibt auch Momente, in denen ich mich betend ertappe, im Sinne des Stoßgebetes. Zum Beispiel im Bangen um jemanden: Wenn meine Kinder im Flugzeug ­sitzen und ich kriege keine Nachricht, dass sie gelandet sind.

Ich habe die ganze Engstirnigkeit der fünfziger Jahre mit ausbaden müssen

Hat das Leben einen Sinn?

Ja, das Leben weiterzureichen. Das geht auf vielfältige Weise, nicht nur, indem man Kinder hat: durch Kunstwerke, durch ­Arbeit für andere. Durch dieses Weiterreichen empfinde ich ­Freude am Leben, auch wenn ich der Generation angehöre, deren Eltern, wie in meinem Fall, der Krieg zusammengewürfelt hat. Ich gehöre zu denen, die diese ganze Engstirnigkeit der fünfziger Jahre mit ausgebadet haben. Meine Kinder haben davon wenig abbekommen. Zwar haben sie einen etwas seltsamen Vater, aber das fängt meine Frau auf. Vielleicht weil die Familie und ich in zwei Wohnungen leben. Abends nach der Arbeit wechsele ich hinüber, wir essen zusammen, und irgendwann gehe ich wieder. Das ist immer so. Mich umgibt keine mütterliche Versorgungs­geschichte, ich habe den Kindern kaum einmal morgens das Frühstück gemacht, leider.

Muss man den Tod fürchten?

Ja, das ist die Auslöschung. Das Schlimmste wäre aber das Gefühl, etwas versäumt zu haben. Deswegen habe ich mir immer alles geholt und alles räuberartig genommen. Ich habe mit allen Mitteln das Leben in mein Leben geholt: durch Beziehungen, Freundschaften, Familie, durch den Bau eines Hauses, durch viele Reisen. Das gibt mir die Zuversicht, dass ich irgendwann dem Tod ins Gesicht sehen kann und zu ihm sage: „Ich habe im Leben wenig versäumt.“ Ich bin mir zugleich darüber im Klaren, dass mein Leben an absolut seidenen Fäden hängt. Bestimmte Sachen ­mache ich daher nicht, ich setze mich nicht auf ein Motorrad, andererseits trage ich beim Radfahren keinen Helm. Ich glaube nicht, dass es der Helm ist, der mich schützt. Ich muss auf mich selbst aufpassen, man muss Glück haben oder einen Schutzengel.

Wie gehen Sie mit Schuldgefühlen um?

Das ist nicht mein Thema. Über Dinge, für die ich mich verantwortlich fühle, kann ich aber reden. Ich habe in meinem Leben Abtreibungen zu verantworten, das beschäftigt mich. Ich weiß nicht, ob das Wort Schuldgefühl richtig ist, das hat eher mit Last zu tun, mit Reue.

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