Sind Amerikas zu radikal? Der Vatikan hat eine Kurskorrektur der amerikanischen Frauenorden angeordnet
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
15.06.2012

Die Vatikanische Glaubenskongregation ist äußerst erfahren darin, einzelne Theologen zu beobachten, ihre Auffassungen zu beurteilen und zu kritisieren sowie sie, wenn ein Einschwenken auf die vatikanische Linie ausbleibt, mit Sanktionen zu belegen. Einzelne Theologen – nehmen wir zum Beispiel den deutschen Dogmatiker Hans Küng und den brasilianischen Befreiungstheologen Leonardo Boff – sind aufgrund ihre Publikationen leichter zu fassen als ganze Organisationen, in denen unweigerlich eine gewisse Breite an Meinungen existiert.

Ein ganzer Dachverband im Visier der Glaubenskongregation

Doch nun hat die Glaubenskongregation einen ganzen Dachverband und ihre dahinter stehenden Großorganisationen im Visier: die Leadership Conference of Woman Religious (LCWR), die Dachorganisation der Ordensfrauen in Amerika. Es ist rund ein Vierteljahrhundert her, dass der Vatikan zuletzt einen ähnlichen Großangriff startete: gegen die Befreiungstheologie Lateinamerikas. Um diese Theologie, damals als kommunistisch diffamiert, obwohl sie eine lautere Armutstheologie war, ist es inzwischen stiller geworden. Die lateinamerikanischen Basisgemeinden, in der die Befreiungstheologie überwiegend beheimatet ist, haben an Zahl abgenommen, auch gibt es seit Jahren weniger glühende Plädoyers gegen Kapitalismus und Eurozentrismus. Auch entsprechende Bekenntnisse der Lateinamerikanischen Bischofskonferenz sind verstummt. Aber die Befreiungstheologie, die sich der biblischen „Option für die Armen“ verpflichtet weiß, ist als solche nicht widerlegt.

Und nun die amerikanischen Frauen. Der Erzbischof von Seattle, James Peter Sartain, hatte auf Anordnung des Vatikans seit 2008 Ermittlungen gegen den LCWR angestellt und „ernsthafte theologische Mängel“ in ihrer Haltung zu Abtreibung, Sterbehilfe, Frauenordination und Homosexualität. Ungewöhnlich scharf kritisierte die Glaubenskongregation, dass ihre Erklärungen „radikale feministische Thesen“ widerspiegelten und damit weitreichend von der katholischen Glaubenslehre abweichten. Es seien erhebliche Reformen nötig, um die Übereinstimmung der Frauenorden mit dem katholischen Lehramt zu gewährleisten, so die Glaubenskongregation im April.

Das kann fünf Jahre dauern

Da die LCWR eine offizielle katholische Organisation ist, kann sie sich der Aufsicht und Kritik durch die Kirchenspitze nicht entziehen. Drei Bischöfe berief der Vatikan zu Aufsehern über den Schwesternverband. Und die sollen die Fronten wieder glatt ziehen: vor allem die Satzung und Programme des LCWR korrigieren. Das kann fünf Jahre dauern.
Es wären keine katholische Nonnen, wenn sie klein beigeben würden. Sie wiesen jedenfalls die Forderungen des Vatikans als unbegründet zurück und zeigten sich „empört und gekränkt“. Und überhaupt: Das ganze Untersuchungsverfahren sei mangelhaft und intransparent.

Streit um die Errungenschaften der Modern

Die Frauenorden haben in Amerika ein ähnliches Problem wie in den meisten europäischen Ländern: Ihre Mitgliederzahlen schrumpft unaufhaltsam, das Durchschnittsalter der Schwestern steigt rasch an. Aus vatikanischer Sicht hat dies vor allem mit einer zu starken „Anpassung an die Welt“ zu tun. Aus Sicht der Orden ist es genau anders: Gerade weil die Teilhabe an den Errungenschaft der Moderne – zum Beispiel der Mitbestimmung über die Verbandslinie oder der Gleichberechtigung der Frau – von der zentralen Kirchenleitung unterlaufen und blockiert wird, werden katholische Frauen- (wie Männer-)orden unattraktiver.

Es war nicht klug von Vatikanseite, die ganze weibliche Ordenslandschaft Amerikas in Unruhe zu versetzen. Erst recht nicht in einer Zeit, in der die umfangreichen Missbrauchsdebatten noch nicht einmal abgeklungen sind und mehr als deutlich wird, dass es im Vatikan selbst ein dramatisches Führungsproblem gibt.

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"Aus vatikanischer Sicht hat dies vor allem mit einer zu starken „Anpassung an die Welt“ zu tun. "

Das ist doch wiedermal typisch Vatikan. Wie kommt man nur auf so einen Gedanken und vermutet sowas. Die Menschen fühlen sich einfach in den mittelalterlichen Strukturen und Auffassungen nicht wohl. Ist doch verständlich.

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Rant ist wohl das richtige Wort dafür.
Erstmal handelt es sich nicht um DIE amerikanischen Nonnen. Nonnen sind geweihte Frauen die in Klöstern leben und so ziemlich jede katholische Schwester würde ihnen ziemlich schnell erklären, dass sie keine Nonne ist. In der LCWR ist auch nicht DER Dachverband. Es sind gut 80% der weiblichen religösen Orden dort vertreten, was allerdings nicht bedeutet, dass alles was dieser Zusammenschluss so tut und sagt die Meinung aller ihrer Mitglieder wiederspiegelt. Dies war einer der Gründe warum die Visitation veranlasst wurde.
Viele Mitglieder und auch Laien waren beunruhigt durch Programme, die durch die LCWR finanziert und unterstütz wurden.

Warum der merkwürdige Hinweis auf die Befreiungstheologie, die in Süd- und Mittelamerika beheimatet ist, wo es sich doch um eine us-amerikan. Organisation handelt?
Und man mag es zwar hier immer noch nicht glauben, aber die Befreiungstheologen wurden nicht gerügt, weil sie zu viel für die Armen und Rechtlosen getan hat, sondern weil sie größten Teils in der Tat ein maxistisches Geschichtsbild proklamiert hatte, eine mit der katholischen Lehre unvereinbares Kirchenbild lehrte und oft schlicht synkretistische Lehren verbreitete.
Wenn Christus nicht mehr der Weg sondern nur ein Weg ist, dann darf man dies gerne glauben und lehren, aber nicht an katholischen Unis ohne die Besoldung durch die katholische Kirche.

Dies gilt auch nicht nur für einzelne Theologen, dies gilt auch für Orden und Ordensmitglieder.
Und ich denke, hier liegt dann der Hund begraben. Viele der kritisierten Ordensfrauen haben Professorenstellen an katholischen Unis und ihre Arbeit wird finanziell von der katholischen Kirche getragen. Würde sich die Kirche entschließen ihnen die Unterstützung zu entziehen und ihnen Lehrverbot für katholische Unis aberkennen, wären sie schlicht arbeitslos.
Dass der Vatikan auf keinen Fall möchte, dass mit katholischen Geldern Programme finanziert werden in denen gelehrt wird, dass man den christlichen Glauben überwinden muss, um wirklich erleuchtet zu werden oder Ordensfrauen ihren Tag damit verbringen dem Personal von Abtreibungskliniken spirituell beizustehen, denke ich, versteht sich von selber.
Attraktiv sind diese "progressiven" Frauenorden in der Tat nicht.
Das ist nicht so, weil sie vom katholischen Lehramt gegängelt werden, sondern weil ihre Spiritualität niemanden anzieht. Die Positionen die dort vertreten werden, lassen sich auch ohne Weihe, ja sogar besser ohne den katholischen Glauben vertreten. Warum also in einen Orden eintreten und auf Familie verzichten?
Anders sieht es bei den Orden aus, die sich selber als lehramtstreu bezeichnen und von vielen hier gerne als konservativ bezeichnet werden. Dort steigt die Zahl der Mitglieder und die Ordenshäuser boomen.
Aber es ist schön, dass man sich hier so viel Gedanken über das katholische Ordensleben in den USA macht. Wirklich. Ein etwas unvorurteilsfreierer Blick würde vllt. zu dem Schluss kommen, dass eine Besinnung auf christliche Traditionen und Spiritualität nicht nur für Ordensfrauen, sondern auch für Laien sehr attraktiv ist und man könnte vllt. lernen, dass zu viel Anpassung an die politische und gesellschaftliche Mode die Zahl der Gläubigen schrumpfen lässt. Ein Problem was die evang. Kirche in Deutschland seid vielen Jahren hat und scheinbar nicht lösen kann.

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Autor des folgenden Beitrages ist Iwan der Schreckliche. Zitat aus dem Artikel: "....gegen die Befreiungstheologie Lateinamerikas. Um diese Theologie, damals als kommunistisch diffamiert, obwohl sie eine lautere Armutstheologie war...." Das ist eine erfreuliche Klarstellung. Es gab tatsächlich damals Leute, die die Befreiungstheologie verwechselten mit einem Stück Einsicht in die Gründe von Armut und Elend. Diese Verwechslung, die aus entsprechendem Blickwinkel folgerichtig als Diffamierung erscheint, wäre auch damals nicht nötig gewesen. Führende Vertreter der Befreiungstheologie machten nämlich überhaupt kein Hehl aus ihrer Sorge, dass Menschen, die schon fast gar nichts mehr zum Beißen hatten, darüber glatt sogar im katholischen Lateinamerika ihren Bock auf den lieben Gott verlieren könnten. DAS wäre echt schlimm gewesen! Deshalb musste die Theologie mal wieder um eine Spielart bereichert werden. Theologie für die Armen eben. _______________________ Der Inhalt solcher Gedankengebäude wird übrigens auch dadurch nicht sachangemessener, dass Bewegungen dieser Art mit der Herrschaft über Kreuz kommen können und sich dann in ihren Märtyrerreihen auch höhergestellte Würdenträger aufzählen lassen.

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Der LCWR ist ein Verband, deren Mitglieder aus tiefster innerer Glaubensüberzeugung das jesuanische Vorbild zu leben versuchen. Sie praktizieren ein Glaubens- und Kirchenverständnis , das nicht durch stures und starres Festhalten am Bisherigen orientiert ist, sondern geprägt wird von einer konzilsorientierten Aufbruchstimmung , die nicht die Asche bewahren, sondern das von Jesus in die Welt gebrachte Feuer weiter zum Erleuchten bringen will.

Es ist wohl noch ein weiter Weg, bis die in der Kirche praktizierte Diskriminierung der Frau beendet ist und die konservativen Kräfte den Weg freigeben dahingehend, dass sich die zur Zeit regierende Männerkirche zu einer Kirche reformieren kann, die von einer neuen und auf Diskriminierung verzichtenden Geschwisterlichkeit geprägt ist.

Angst und Enge sind neurotische Reaktionen auf männliche Macht - verklärt durch die unberechtigterweise in Anspruch genommene Autorität Gottes.

Dem Dachverband der US-Frauenorden möchte ich meine uneingeschränkte Unterstützung und Solidarität zukommen lassen.

Dass Rom von den Ordensfrauen in päpstlich gewohntem Herrschaftston kritiklose Unterwerfung, Arkandisziplin und Kadavergehorsam verlangt, zeigt nur, wie weit diese kath. Amtshierarchie durch ihre Verweigerungshaltung bzgl. notwendiger Veränderungen und Reformen für ein Ankommen in d. Gegenwart sich selbst ins Abseits stellt.

Wer dem Perseverieren von eigener Macht und Herrschaft eine nicht zu hinterfragende Dominanz verordnet und dabei d. Blick verliert für Notwendigkeiten gegenüber Menschen in ihren aktuellen Sorgen, Nöten und Ängsten ein dem jesuanischen Vorbild geschuldetes solid. Miteinander zu praktizieren, dem muss halt mit allem Nachdruck widersprochen und wenn notwendig sich auch von dieser Institution getrennt werden.

Menschendienst ist Gottesdienst - doch das haben die versteinerten Eminenzen in Rom eben noch nicht verstanden!

Paul Haverkamp, Lingen

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Paul Haverkamp schrieb am 27. Juni 2012 um 12:23: "Der LCWR ist ein Verband, deren Mitglieder aus tiefster innerer Glaubensüberzeugung das jesuanische Vorbild zu leben versuchen." Diese Befürchtung teile ich auch. Genau so, wie ich mir sicher bin, dass auch der Papst und die meisten der Kardinäle aus tiefster innerer Glaubensüberzeugung das jesuanische Vorbild zu leben versuchen. ______________________ Zitat: "...durch die unberechtigterweise in Anspruch genommene Autorität Gottes." Gott mit seiner Autorität ist für sich also offenbar kein Grund, Kritik am Autoritätsinhaber Gott zu üben. Auch die Berufung auf diese Autorität geht in Ordnung. Bloß wenn andere Liebhaber dieser Autorität sie auch in Anspruch nehmen für Zwecke, die einem selber nicht genehm sind, dann handelt es sich um eine unberechtigte Inanspruchnahme. Das sieht die Führung der katholischen Kirche übrigens ebenfalls so. Früher durfte man den Streit, wer sich zu Recht auf Gott beruft, Pfaffengezänk nennen. Das ist in modernen Zeiten politisch nicht mehr korrekt. ________________ Zitat: "Menschendienst ist Gottesdienst - doch das haben die versteinerten Eminenzen in Rom eben noch nicht verstanden!" Das wäre mir neu, dass der Papst oder seine Anhänger bestreiten würden, dass Menschendienst Gottesdienst ist und umgekehrt. Es muss sich allerdings um den wahren Gottesdienst handeln. Nicht um den, der sich unberechtigterweise so nennt. So ist das eben, wenn man Gott dienen will.

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Da meine Freude über die reparierte Angabe der Autorenschaft offenbar verfrüht war und man wieder grundsätzlich Gast genannt wird, hier die nachträgliche Angabe: Dieser Beitrag und der vom 28. Juni 2012 um 12:03 mit Titel "Gottes Autorität und Dienst" stammen von Iwan dem Schrecklichen.

Anmerkung der Redaktion:
Es müsste eigentlich möglich sein, im Feld "Gast" ihren richtigen Namen anzugeben. Bitte probieren Sie es einmal und geben uns direkt eine Rückmeldung. danke, ihre chrismon.de Redaktion

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@Gast vom 28. Juni 2012- 12:03, keine Sorge, oder mehr Selbstbewusstsein, Sie sind ohnehin unverkennbar!
Aber dennoch, ist Ihr Wunsch natürlich ausschlaggebend.

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