Foto: Susanne Stiefel
Noch lange nicht am Ziel
Ägypten wählt: Hoda Badran, prominente Feministin in den arabischen Ländern fordert mehr Mitspracherechte für Frauen. Ein Porträt.
23.05.2012

Den Job hätte man ihr ohne weiteres zugetraut. Warum sollte Ägyptens erster demokratisch gewählter Präsident nicht eine Frau sein? Es wäre ein Signal für die ägyptischen Revolutionärinnen, die auf dem Tahrir-Platz in Kairo nicht nur für Demokratie, sondern auch für mehr Gleichberechtigung gekämpft haben. Und ein Signal in die patriarchale Gesellschaft, die Frauen nach dem arabischen Frühling schnell wieder aus dem öffentlichen Raum verbannen will. Das alles hat sich Ägyptens bekannte Frauenrechtlerin Hoda Badran wohl überlegt. Nun sitzt sie hinter ihrem Schreibtisch im Kairoer Büro der Arabischen Frauenallianz und lächelt in einer damenhaften Mischung aus Altersweisheit und höflicher Entschuldigung. „Ich habe nicht mehr genug Energie für eine solche Aufgabe“, sagt die Frau, die so jung und lebendig erzählt, dass sie alterslos erscheint.  Doch Hoda Badran ist 83 Jahre alt. Die alte Dame kennt ihre Grenzen. 


Im Büro der Arabischen Frauenallianz in der Kairoer Adlistreet treffen Mitarbeiterinnen und Praktikantinnen aus aller Welt aufeinander.  Sie erzählen mit kaum verhohlener  Bewunderung von ihrer Vorsitzenden, die seit Jahrzehnten engagiert für Frauenrechte kämpfte. Hoda Badran war die erste, die 1998 für Frauen den Zugang zum Richteramt forderte. Es dauerte neun Jahre, bis die ersten Richterinnen ernannt wurden. Heute sitzen in Ägypten 42 Frauen auf einem Richterstuhl.  

Da sind erfahrene Kämpferinnen gefragt.

Und auch  in der nachrevolutionären Zeit gibt Hoda Badran keine Ruhe.  Ob es nun um den Frauenanteil in der verfassungsgebenden Versammlung geht, um eine Quote im Parlament oder um die Unterstützung von Revolutionärinnen wie der Bloggerin Asmaa Mahfouz, die drei Verfahren am Hals hat. Da sind erfahrene Kämpferinnen gefragt. „Manchmal denkt und organisiert sie so schnell, dass wir nicht mehr mitkommen“, sagen die jungen Frauen.

„Mein Leben hatte immer ein hohes Tempo,“, sagt Hoda Badran. Die Klimaanlage surrt angestrengt gegen die Hitze an, der Präsidentin der Arabischen Frauenallianz ist keine Mühe anzumerken, obwohl sie gerade noch im berüchtigten Kairoer Stau herunter gebremst wurde und zu spät zum Interview kommt. Das dunkle Haar ist akkurat frisiert, kein Kopftuch, natürlich, sie mag die Verschleierung nicht.  Genauso wenig wie die Bestrebungen der Salafisten und Muslimbrüder, Ägypten zu einem islamischen Staat zu machen. „Religion ist eine private Sache zwischen Gott und mir“, sagt Hoda Badran, „da hat der Staat nichts verloren.“  Ihr Büro ist klein und fast karg, nur ein Schreibtisch, der in seiner Unordnung nach viel Arbeit aussieht, ein Bücherregal und ein Tisch, an dem sie Besucher empfängt. Durch das offene Fenster wehen mit  einen leichten Luftzug auch Kairoer Verkehrslärm und Abgase herein. 


Alles ging schnell bei dieser Frau: Mit 16 Jahren Highschool-Abschluss und verheiratet, mit 17 Mutter, mit knapp 18 Witwe. Die kurze Ehe mit einem Freund ihres Vaters war eine arrangierte Hochzeit, aber keiner hat sie gezwungen. Sie war nur gefangen in dem gesellschaftlichen Denken, dass eine Frau einen Mann und ein eigenes Haus haben sollte und so hat sie ja gesagt. Er war zu alt, sie war zu unerfahren, es war keine glückliche Ehe. Nicht zuletzt diese persönliche Erfahrung hat Hoda Badran motiviert, den Kampf für Frauenrechte aufzunehmen. Das extrem konservative Frauenbild der meisten Ägypter hat seine Wurzeln in der Tradition des Landes. Und es wird fleißig gefüttert von den Islamisten. Hoda Badran weiß, dass dieses Bild auch in vielen Frauenköpfen steckt. 

Eine internationale Karriere

Als ihre Tochter Fatma in den Kindergarten kam, startete die junge Mutter wieder durch. Schnell und immer vorne mit dabei. Studium der Sozialwissenschaft, Stipendium vom Staat, Unikarriere. Später UN und Unicef, vor der ersten UN-Weltfrauenkonferenz in Mexiko erarbeitete sie eine Studie zur Situation von Frauen im Sudan, Libanon und Ägypten. Als sie von ihren Auslandseinsätzen in Sri Lanka, Libanon und Malediven zurückkam, wurde sie von Suzanne Mubarak als Generalsekretärin in den National Council for Childhood and Motherhood berufen. Manche begegnen ihr deshalb heute mit einer Portion Misstrauen, betrachten sie als Teil des alten Regimes. „Ich habe diese Frau gebraucht, weil ich etwas bewirken wollte“, sagt Hoda Badran pragmatisch. Die Frau des Präsidenten hat sie etwa unterstützt, als Hoda Badran den Etat für die Kinderhilfe erhöhen wollte. Er wurde verdreifacht.  Von Korruption habe sie damals nichts bemerkt und auch nichts von dem Machthunger, der die Frau des gestürzten Präsidenten später dazu trieb, ihren Sohn in das Amt des Vaters zu pushen. Getroffen haben sie sich nach diesen fünf Jahren in der Politik nie mehr. Danach war Hoda Badran zu beschäftigt mit ihrer Arbeit für die NGOs wie der Arabischen Frauenallianz.

Jeder hier weiß, wo er am 25.Januar 2011 war

Und dann kam die Revolution. Hoda Badran lächelt vergnügt. In Deutschland können sich fast alle an den Abend erinnern, als die Mauer fiel. In Ägypten weiß jeder, wo er war, als am 25. Januar 2011 tausende Männer und Frauen auf den Tahrir Platz strömten und den Beginn der ägyptischen Revolution einläuteten, die wenige Wochen später zum Sturz von Hosni Mubarak führte. „Ich war zu Hause, als mich Freunde vom Tahrirplatz aus anriefen, und schrien: „Du musst kommen“,  sagt Hoda Badran, „aber ich fühlte mich zu alt.“ Ihre Tochter Fatma, die trotz ihrer 66-Jahre auf dem Tahrir übernachte, hat die Mutter schließlich doch noch überredet, dazu zu stoßen. Und die war sofort begeistert von der offenen Atmosphäre, dem Miteinander von Männern und Frauen, Christen und Muslimen: „Es war unglaublich, ich fühlte mich 40 Jahre jünger“. Die arabische Frauenallianz war mit Postern vor Ort und war Anlaufstelle für viele Frauen, die Mitarbeiterinnen haben Decken, Essen und Medizin verteilt. 


Doch das war vor mehr als einem Jahr. Heute haben Muslimbrüder und Salafisten die Mehrheit im neu gewählten Parlament, weibliche Abgeordnete kann man an einer Hand abzählen und auch der Militärrat ist nicht eben für eine fortschrittliche frauenfreundliche Politik bekannt. Die einzige Frau, die zur Präsidentschaftswahl antrat, schaffte die nötigen Unterstützerstimmen nicht. Die Bloggerin Asmaa Mahfouz, die in einer Internetbotschaft die Frauen aufgerufen hat, massenhaft auf den Tahrirplatz zu kommen, muss sich dreier Anklagen erwehren, unter anderem wegen Beleidigung des Militärrats.  Die Botschaft an die Frauen ist klar.  Sind die Ägypterinnen also die Verliererinnen der Revolution, Frau Badran?

Die Frauen sitzen zwischen allen Stühlen

„Zunächst einmal habe ich Asmaa Mahfouz eine Stelle bei der Arabischen Frauenallianz angeboten“, sagt Hoda Badran, die Pragmatikerin. Doch die Politikerin weiß auch, dass dies nur ein kleiner Schritt sein kann. Auch sie sieht den rollback nach der Revolution. „Wir ägyptischen Frauen sind heute eingezwängt zwischen Militärrat und islamistischer Ideologie“, sagt sie. Auch viele Revolutionäre sind der Meinung, dass die Frauenfrage im Kampf um Demokratie eher ein Nebenwiderspruch ist. Die politische Bilanz für Frauen sieht düster aus.


Umso aktiver wird die Arabischen Frauenallianz und ihre Chefin. Sie unterstützen Alphabetisierungs-Projekte für Frauen. Sie schauen dem Parlament auf die Finger und dokumentieren, was dort zur Frauenfrage gesagt und verabschiedet wird. „Wenn sie nicht in unserem Interesse agieren, sollen sie auch nicht unsere Stimme haben“, sagt Hoda Badran. Zur Präsidentschaftswahl haben sie alle 13 Kandidaten mit einem Fragenkatalog konfrontiert: Wie halten Sie’s mit Frauen in Führungspositionen Ihrer Partei? Wie viele Frauen gehören zu Ihren Mitgliedern? Wie stehen Sie zu einem Gesetz zu sexueller Belästigung? Die Zukunft der Ägypterinnen, davon ist Hoda Badran überzeugt, hängt auch davon ab, dass sie laut ihre Rechte einfordern. 

Wir werden nicht aufgeben, für unsere Rechte zu kämpfen


Hoda Badran hat ihr hohes Tempo auch mit 83 Jahren nicht zurückgenommen. Sie geht schnell, sie fährt zügig Auto und sie redet nur unwesentlich langsamer. Doch sie weiß, dass es Zeit braucht, bis die alten patriarchalen Familienstrukturen überwunden sind, die den Mann als Alleinherrscher in der Familie sehen und einen Präsidenten als Vater an der Spitze eines Staates. Dass es Geduld braucht, bis eine neue ägyptische Verfassung ausgearbeitet worden ist, in der Frauen und Männer die gleichen Rechte besitzen und bis Frauen im Parlament zu gleichen Anteilen repräsentiert sind.  „Wir werden nicht aufgeben, für unsere Rechte zu kämpfen“, sagt die Chefin der Arabischen Frauenallianz.


So hat sie es geschafft, dass etwa das ägyptische Scheidungsrecht reformiert wurde oder dass Kinder ausländischer Vater heute die  ägyptische Staatszugehörigkeit haben. Das nächste Ziel ist die Gründung einer Feministische Partei. Hoda Badran, die schnelle Ägypterin, hat in ihrem Leben gelernt, beharrlich zu sein.
 

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