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"Immer nörgelst du an mir herum!"
Paartherapeut Wolfgang Schmidbauer gibt ein paar Tipps zum Thema Rechthaberei

Es gibt eine Reihe von Beschäftigungen, deren Ansehen viel geringer ist als ihre Beliebtheit: Pralinen essen, Seitensprünge, Koma­saufen, Steuerschwindel, blaumachen – und recht haben. Wer wie ich einen guten Teil seiner täglichen Arbeit mit Paaren verbringt, die ihre Liebesbeziehung als stressreich empfinden, hat auch täglich Anschauungsunterricht in Rechthaberei. Als Therapeut bemerke ich, dass die Rechthaberei völlig unauffällig abläuft, bis sie mehr oder weniger schmerzhaft an die des Partners stößt.

Als Kind bekam ich einmal ein Geduldsspiel geschenkt, einen flachen Blechzylinder, groß wie eine Niveadose, oben mit Glas bedeckt, drinnen eine Zeichnung mit winzigen Mulden für die in der Dose klappernden Kügelchen. Diese mussten durch vorsichtige Bewegungen an ihre Plätze in der Zeichnung gebracht werden. Zu viel Schütteln brachte alles durcheinander, zu wenig setzte nichts in Bewegung. Die Rechthaberei erinnert ein wenig an dieses Spiel. Der Streit der Paare entspricht dem Schütteln, das die Wut des Spielers entlädt, wenn wieder einmal seine Hoffnungen gescheitert sind. Zu viel Schütteln brachte alles durch­einander, zu wenig setzte nichts in Bewegung. Rechthaberei ist der Versuch, eine widerspenstige Wirklichkeit mit unserer Fantasie vom Guten zusammenzufügen.

Komik erleichtert, das Teilgute zu erkennen, um das Absolutgute zu gewinnen

Eine Frau hat sich ihren Mann ausgesucht, weil er so unbekümmert und zuversichtlich war, während sie sich eher als depressiv und ängstlich erlebt. Nach zehn Ehejahren gibt es viel Streit. Sie haben jetzt zwei Kinder und ein Haus. Er spielt gern mit den Kindern und geht ins Schwimmbad, trampelt mit seinen Gartenschuhen durch den frisch geputzten Flur und meidet den Elternabend in der Schule wie die Pest. „Immer machst du alles dreckig.“ – „Immer nörgelst du an mir herum, nie kann ich es dir recht machen!“ – „Ich werde doch noch was sagen dürfen!“ – „Aber doch nicht in diesem Ton!“ – „Männer sind Mimosen.“ – „Auch unsere Kinder beklagen sich, dass du immer so schlechte Laune hast!“ – „Du spielst die Kinder gegen mich aus!“
Wohl dem Paar, das angesichts dieser Irritationen Humor ­entwickeln kann. Er hilft, den fruchtlosen Kampf rechtzeitig zu ­beenden. Humor schafft Abstand, Abstand erleichert es, die Komik zu erkennen, welche darin steckt, das Teilgute zu missachten, um das Absolutgute zu gewinnen, das – welcher Zufall – mich im Glanz des Rechthabens sonnt und den Gegner in den tiefen Schatten von Schuld und Beschämung stellt.

Ein Vater, der zwar nicht zum Elternabend, aber immerhin ins Schwimmbad geht, könnte auch gelobt werden: er ist schließlich besser als gar keiner. Eine Mutter, die den Laden schimpfend zusammenhält, verdient Anerkennung und keine Schelte für ­ihre Überlastung. Schlimm wäre doch eher, wenn es ihr gleichgültig ist, wann und wie die Kinder in die Schule kommen. Die Tragik der Situation liegt darin, dass die Partner sich gegenseitig Leis­tungsversagen vorwerfen, in Wahrheit aber voneinander Anerkennung wünschen. Durch ihre Rechthaberei berauben sie sich des Wesentlichen und setzen nicht einmal das Belanglose durch.

Wer heiratet, muss sich vorher überlegen, auf was er sich einlässt

Rechthaberische Menschen sind voll fehlgeleiteter Energie. So nervig Streitigkeiten mit einem Rechthaber sind, sie verraten zuallererst: Auch ich bin einer. Wäre ich keiner, würde ich mich nicht streiten, sondern über dieses kindliche Bedürfnis lächeln. Wer für seine Wahrheit kämpft, drückt damit aus, dass er letztlich die Liebe zu seinem Gegenüber nicht verloren hat. Der Recht­haber ist lästig – wirkliche Sorgen müssen wir uns aber erst dann machen, wenn er verstummt.

Als ich mich vor vielen Jahren scheiden lassen wollte, musste ich es irgendwann auch meiner Mutter sagen. Sie riet mir energisch ab. Ihr Argument: Wer heiratet, muss sich vorher überlegen, auf was er sich einlässt. „Du musst dich zusammennehmen und die Sache durchstehen!“, sagte sie. Als ob ich mir das nicht selbst schon hundertmal gesagt hätte. Ein Psychologe soll sich nicht scheiden lassen. Ist er nicht Experte für die Lösung emotionaler Konflikte? Schließlich sagte ich gereizt: „Du hast keine Ahnung. Wie lange warst du denn verheiratet? Ich habe mehr Ehe­erfahrung als du, also rede mir nicht drein!“ Ihre bewundernswerte Reaktion: Sie schwieg. Sie überlegte. Dann sagte sie nachdenklich: „Eigentlich hast du recht. Ich habe wirklich nicht viel Erfahrung damit.“

Meine Eltern haben 1938 geheiratet; 1939 wurde mein Vater eingezogen, 1944 ist er gefallen. Meine Mutter hat später nicht mehr geheiratet. Sie behauptete, es habe sich kein passender Mann gefunden. Tatsächlich gab es nach dem Krieg viele Witwen und wenige Männer, die für eine geistig anspruchsvolle Frau mit zwei Söhnen genügend Aufmerksamkeit, Geduld und Ausdauer mitbrachten. Eine Witwe war Herrin über ihren Haushalt; eine verheiratete Frau nicht.

Wer sich beruflich damit beschäftigt, was alles in Beziehungen scheitern kann, kommt nicht darum herum, sich über die eigene Elternbeziehung Gedanken zu machen. Eine Gelegenheit dazu ist die Lehranalyse. Aber damals war ich jung und suchte in mir oft nach dem, was die Theorie erwarten ließ. Heute glaube ich, dass ich am meisten aus dem ständigen Vergleich zwischen meiner eigenen Entwicklung und der jener Menschen gelernt habe, die sich mir anvertrauen. Je länger ich zuhörte, desto besser konnte ich auf jene festen Vorstellungen über die Ehe verzichten, die mich an meiner Mutter empört hatten, von denen ich selbst aber auch nicht frei war. Wichtiger in Beziehungen wurde mir etwas anderes: Sie sind wie ein freier Raum, in dem Geschichten erzählt werden. Wir meinen viel zu oft, Gutes zu tun, wenn wir ein Gegen­über mit Werturteilen verproviantieren.

Auch einen Punk im Haus zu haben, kann interessant sein

Kinder sind selten so, wie ihre Eltern sie sich gewünscht haben – und Eltern ebenso wenig so, wie sie sich Kinder wünschen. Aber es wäre auch schrecklich, die Illusion vollständig aufzugeben, dass etwas von dem, was uns kostbar ist, in unseren Kindern weiterlebt. So denkt der Vater, der sich Gymnasium und Studium erkämpfen musste, sein Sohn wäre glücklich und dankbar, wenn er ihm den Weg in eine akademische Laufbahn ebnet. Aber sein Sohn zieht es vor, sich als Punk zu gebärden und nicht auf seine Noten, sondern seine Piercings stolz zu sein. Die Werte eines Aufsteigers und eines Punks sind unvereinbar. Wenn jetzt der Vater darauf beharrt, seinem Sohn zu sagen, was richtig ist – und der Sohn den Vater ignoriert oder als Spießer entwertet, scheitert die Beziehung zwischen beiden. Sie haben keinen Raum gefunden, in dem sie die Werte zurückstellen und sich gegenseitig Geschichten erzählen können. Einen Punk im Haus zu haben, der aus seinem Leben erzählt, kann sehr interessant sein. Wie es auch das Leben eines Aufsteigers ist, der sich mit unterschiedlichsten Jobs das Studium finanzierte und schließlich vorankam.

Ein beliebtes Sprichwort behauptet: Kinder sind Gäste, die uns nach dem Weg fragen. Auf die realen Konflikte der Elternschaft bereiten solche schönen Sätze wenig vor. Was ist, wenn Kinder uns Eltern gar nicht fragen? Sollen wir mit unseren Vorstellungen hinter ihnen herlaufen wie mit einem vergessenen Pausenbrot? Und wenn wir den Weg gar nicht wissen? Das dürfte viel öfter der Fall sein, als wir es uns träumen lassen. Nach dem Studium fürchtete ich mich vor allem davor, zu schnell in eine feste Anstellung zu geraten. Ich ging nach Italien und schrieb. Angesichts der Probleme meiner Kinder, ihren Platz in der Arbeitswelt zu finden, rate ich heute eifrig zu festen Anstellungen. Aber ich habe davon im Grunde noch weniger Ahnung als meine Mutter von der Ehe.

"Fahr vorsichtig. Pass auf dich auf": selten sind das nützliche Empfehlungen

Oft raten wir zu Dingen, die unser Beratungsopfer längst weiß – dass man mit Magenschmerzen einen Arzt, mit Depressionen einen Psychotherapeuten aufsuchen sollte, dass Rauchen ungesund und ein Übermaß an Alkohol schädlich, rote Ampeln, Lehrer und Vorgesetzte zu respektieren sind. „Fahr vorsichtig! Pass auf dich auf! Mach’s gut!“ Meist ist das weder nützlich noch gänzlich sinnlos, vor allem aber den Ermahnten längst bekannt.

Wenn uns ein Mensch wichtig ist, dann ist guter Rat nicht mehr so billig. Er kostet Einfühlung, Kreativität, Verzicht auf das aus der Hüfte geschossene Urteil. Also: besser schweigen als in die Kiste fertiger Tipps greifen. Oder warten, bis uns eine ­Geschichte einfällt.

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