Die Orgelkenner, Vater und Sohn Bönisch
alle Fotos: Holger Talinski
Der Orgelliebhaber
Albrecht Bönisch hat schon alle 322 Orgeln in der Niederlausitz besucht. Er leidet, wenn sie in einem schlechten Zustand sind. Er ist begeistert, wenn er auf historischen Prachtstücken spielen kann. Die Leidenschaft steckt in der Familie: Wann immer es geht, kommt der Vater mit.
Tim Wegner
20.04.2012

Albrecht Bönisch ist weder der Heilige Geist erschienen noch der Heilige Leonhard, der Haus-heilige der Dorfkirche in Goßmar in Brandenburg. Und doch steht ihm die Verzückung ins Gesicht geschrieben. Die Orgel auf der ­Empore: Die ist etwas Besonderes, und ­Bönisch hat das aufgedeckt. „Schauen Sie hier, diese Fischflosse, das war die entscheidende Spur“, sagt er und fährt mit den Fingern über eine geschwungene ­Verzierung. War es nicht der Orgelbauer ­Johann Christoph Schröther der Ältere, der seine Schnörkel so gerne in Fischform enden ließ? Die Orgel könnte also aus seiner Werkstatt stammen.

Albrecht Bönisch ist vielen Spuren nachgegangen. Oft begleitete ihn dabei sein Vater Rudolf Bönisch. Wenn es um ­Orgeln geht, sind Vater und Sohn ein festes Team und feuern sich gegenseitig an in ihrer Begeisterung. Vater Rudolf ist auch mit nach Goßmar gekommen. Sohn Albrecht ist 30 Jahre alt und gerade Pfarrer geworden. Wenn seine Freunde in den ­Semesterferien am See lagen, fuhr er über die Brandenburger Dörfer und besuchte die Orgeln.

 

Er drückte Tasten und Pedale, horchte auf den Luftstrom in den Pfeifen und untersuchte verstaubte Schnörkel. Aus welcher Zeit stammt das Instrument? Barock? Romantik? 20. Jahrhundert? Ist es noch zu retten? Bönisch schrieb seine Beobachtungen auf und fuhr weiter. Manchmal schaffte er sechs Instrumente an einem Tag. So lernte er alle 322 Orgeln in der Niederlausitz kennen und wurde zum Orgelsachverständigen. Aber Albrecht Bönisch ist vor allem eins: Liebhaber. Er freut sich, wenn es den Orgeln gutgeht und leidet, wenn sie in einem schlechten Zustand sind. Er kann die Hände nicht von ihren Tasten lassen, und wenn er mittendrin sitzt im Brausen der Töne und den Windstrom spürt, dann ist das für ihn pures Glück.

Er las alles über Orgeln, was er nur kriegen konnte

Als Junge lernte Albrecht Bönisch Klavier spielen. Als er 13 war, wollte er beim Kantor der Kirche Unterricht nehmen. Der sagte: Klavier nicht, aber Orgel. Vom ers­ten Tag an begeisterte ihn die Mechanik der großen Maschinen mit ihren Blasebälgen und Windkanälen, Hebeln, Tasten, Schleifen und Zimbelsternen. Er las alles über Orgeln, was er kriegen konnte. Kein anderes Instrument rührte er mehr an. Sonntags spielte er in Gottesdiensten, half aus, wenn ein Organist krank wurde.

 

Jetzt improvisiert er eine Melodie auf dem Instrument, das merkwürdig klein auf der Empore der Goßmarer Feldsteinkirche steht. Es ist keine gewöhnliche ­Kirchenorgel – das fiel den Bönischs gleich auf. Die Pfeifen sind schräg von links ­unten nach rechts oben angeordnet. Die Tas­ten sind ungewöhnlich schmal – eher was für Damenhände als für Organistentatzen. „Vielleicht stand die Orgel in einem Schloss, in einem kleinen Kammermusiksaal“, sagt Albrecht Bönisch. Er streicht sich die schwarzen Haare hinter die Ohren. Dann zieht er einen anderen Registerknopf. Wo eben noch ein pfeifenhelles C erklang, hört man jetzt viel Wind, aber kaum einen Ton. Bönisch verzerrt sein Gesicht. Als er die Taste daneben anschlägt, quietscht es verstimmt.

Die älteste Orgel in der Gegend

Das hält den jungen Mann aber nicht vom Schwärmen ab: „Schauen Sie, die ­Tas­ten sind aus Rosenholz, und hier der Belag ist aus Elfenbein.“ Die Wurmlöcher übersieht er. „Und die geschwungenen Aufsätze rechts und links der Tastatur, sind die nicht wunderschön?“, fragt Rudolf ­Bönisch. Er ist 58 Jahre alt und groß und kräftig wie sein Sohn. Wo beim Sohn ein buschiges schwarzes Kinnbärtchen sitzt, trägt der Vater einen grauen Vollbart. ­Orgelspielen hat der Vater nie gelernt. Aber er tut alles, damit andere spielen. 1991 fing er an, sechs Orgelkonzerte zu organisieren, heute sind es 26 pro Jahr. Er hat eine CD-Reihe gegründet: Über die „Orgellandschaft Niederlausitz“ schreiben namhafte Musikmagazine, dass sie „Maßstäbe setzt“. 

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Vater und Sohn haben die Ornamente der Goßmarer Orgel mit denen anderer Orgeln verglichen. Sie haben Akten in ­Kirchenarchiven gewälzt und sind zu dem Schluss gekommen: Dieses Instrument wurde 1775 gebaut – die älteste erhaltene Orgel in der Gegend. Weil sie einen kleinen Umfang hat, könne man keine fran­zösische Kathedralmusik auf ihr spielen, sagt Albrecht Bönisch, aber barocke Tänze und, na klar, auch Bach. „Wenn Sie hier auf der original barocken Orgelbank sitzen, diese Tasten drücken und diese Pfeifen ­hören, dann tauchen Sie ein in die Welt des Barock“, sagt Rudolf Bönisch. Es gibt prächtigere Orgeln aus dieser Zeit in Deutschland, aber viele sehen nur noch aus nach Barock, drinnen ist Moderne. Dort, wo man Geld hatte, wurden viele Instrumente umgebaut und umgestimmt, als das Barocke aus der Mode kam. In Brandenburg hatte man dafür selten das Geld.

 

Es ist Gift für ein Instrument, wenn es nicht gespielt wird

Der Orgelkasten ist voller Staub und Spinnweben. Rudolf Bönisch nimmt die Seitenverkleidung ab und zeigt das Ausmaß der Misere: „Das schlimmste Gift für eine Orgel ist, wenn sie nicht gespielt wird.“ Dann wird der Staub nicht aufgewirbelt, und der Wurm nagt ungestört. Die Goßmarer Orgel wurde jahrzehntelang nicht genutzt. Die Bönischs haben 2004 einen Orgelbauer kommen lassen. Er hat Pfeifen gereinigt, das Leder an den Blasebälgen erneuert und zwei Register restauriert.

Ein polnischer Organist kam und spielte mit der Orgel eine CD ein. Da haben die Dorfbewohner gemerkt, welch ein Schatz auf ihrer Kirchenempore steht. Seitdem sammeln sie. 65 000 Euro kostet die Restaurierung. „Ist alles handgearbeitet, hat ja Seele und Charakter, das gute Stück“, sagt Albrecht Bönisch. Er legt ein Tuch auf die Tastatur und schaltet das Licht aus. Wie die Goß­marer Orgel warten hundert weitere ba­rocke und romantische Orgeln allein in der Niederlausitz auf den Restaurator.

Prachtstück überstand 50 Jahre Schnee und Hitze

 

Die Holztreppe knarrt beim Runter­gehen. Rudolf Bönisch schließt die Tür ab, bringt der Wirtin der Dorfgaststätte den Schlüssel zurück und startet das Auto. Er lenkt den Wagen über Äcker und Felder. Die Bönischs kennen hier jeden Schleichweg. Sie möchten nirgendwo anders leben als hier in der Niederlausitz südlich von Berlin, wo die Eiszeit verschlungene Fließe hinterlassen hat und wo im Mittelalter die Salzstraße Wohlstand brachte und später die Textilindustrie. Zwanzig Mi­nuten dauert die Fahrt von Goßmar nach Waltersdorf. Dort wurde die Orgel in der Dorfkirche schon restauriert. Hier könne man sehen, dass es sich lohnt, viel Geld und Engagement in ein altes Instrument zu stecken, sagt Rudolf Bönisch.

Er parkt das Auto vor der Kirche in Waltersdorf, klingelt gegenüber bei einem Mann aus dem Gemeindekirchenrat und kommt mit dem Schlüssel zurück. Der Weg zur Kirche führt vorbei an Grabsteinen. Mit einem Ruck springt die Tür auf. Als die DDR noch stand, gab es die Waltersdorfer Kirche nur in Bruchstücken. Das Dach war kaputt, im Innern nisteten Vögel und wuchsen Bäume. Auf der Empore stand die Orgel. Sie steht da immer noch. Die ­Bönischs nicken sich zu und knipsen das Licht an. Nicht zu glauben, dass dieses Prachtstück 50 Jahre Schnee, Regen und Hitze hinter sich hat. Bald nach dem Mauerfall begann die Gemeinde mit der Sanierung der Kirche, seit 1999 strahlt die Orgel in neuem Glanz. Und wie! Die Ornamente glänzen golden und die Pfeifen silbern und heben sich ­elegant ab vom dunkelroten Gehäuse. „1794“ steht oben am Kopf.

 

 

Spannender als ein Klavier

Albrecht Bönisch sitzt schon auf der Orgelbank und spielt „Es ist ein Ros entsprungen“. Er spielt es mit hellem und dunklerem Register, mal klingt es samtig-weich, mal frisch und scharf, mal täuschend echt wie eine Querflöte. Elf Register hat die Orgel – obwohl nur eine Tastatur da ist. Aber die eine Tastatur, das eine Manual, ist geteilt: Mit der linken Hand kann der Organist im Bass eine andere Klangfarbe spielen als mit der rechten Hand im Diskant. Vater Bönisch zieht den Zimbelstern, und Glöckchen klingen wie von Pferdeschlitten, die durch den Schnee gleiten.

Albrecht Bönisch fängt an zu improvisieren und lässt sich ­leiten von den Stimmungen, die die Orgel seit 200 Jahren vorgibt. Die Quinte treibt ihn zum schnelleren Rhythmus, die „Violigambo“ ist einem Streichinstrument nachempfunden und bringt Ruhe. „Ich bin frei in der Registerwahl und kann sie mischen, wie ich will, trotzdem bestimmt das Instrument, wo es langgeht“, sagt Albrecht Bönisch. „Die Orgel ist ein gleichwertiger Partner, das macht sie so spannend.“ Spannender als ein Klavier, bei dem man selbst bestimmen könne, und erst recht spannender als eine Geige. „Die könnte ich ja irgendwohin mitnehmen“, sagt Bönisch. Wäre ja einfach – und langweilig.

Das Authentische hat immer seine Macken

Was andere als Einschränkung em­pfinden, ist für die Bönischs das Reizvolle: dass der Orgelbauer sein Werk für einen speziellen Raum und eine bestimmte Funktion gebaut hat und dem Instrument Klangfarben mitgegeben hat, die ihm gefielen. Der Beliebigkeit von Klängen setzen Vater und Sohn die Einzigartigkeit der ­Orgeln gegenüber und die Einzigartigkeit des Landstrichs und der Dörfer, in die sie eingebettet sind. Das macht Arbeit und kos­tet viel Zeit.

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Denn das Authentische hat immer seine Macken – und soll doch das ­Interesse von Menschen wecken, die ­Perfektion gewohnt sind. Eine CD-Auf­nahme aus Dorfkirchen soll so klingen wie eine Studioaufnahme. Aber dann bellt ein Hund beim letzten Ton, oder der Nachbar lässt mittendrin den Rasenmäher an. Was dann? „Dann fangen wir halt noch mal von vorne an“, sagen Albrecht und ­Rudolf Bönisch. Von den Orgeln können sie sowieso nicht genug kriegen.

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