Foto: photocase/inkje
"WIr akzeptieren den Menschen, aber nicht die Tat"
Steffen Burger, 43, arbeitet im Hamburger Gewaltschutzzentrum mit Tätern. Die Hälfte der Männer kommt freiwillig in sein Trainingsprogramm, die anderen werden geschickt von der Staatsanwaltschaft und anderen Behörden.
Tim Wegner
16.03.2012

chrismon: Ist dieser Tilman ein Einzelfall?

Steffen Burger: Nein. Nichts daran ist mir neu, ich habe das alles schon von vielen anderen gewalttätigen Männern gehört.

Wenn so einer wie Tilman zu Ihnen in die Beratung käme, was würde er als Erstes sagen?

Seine erhebliche körperliche Gewalt würde er verharmlosen und seine enorme psychische Gewalt komplett leugnen – also dieses systematische Runtermachen und das Nachstellen. Sowieso lehnen die meisten Männer die Verantwortung für ihre Taten ab. Sie sagen: „Das Problem ist meine Frau.“ Daran arbeiten wir, dass sie die Verantwortung übernehmen.

Das machen die Männer mit?

Wir machen den Männern deutlich: Wir akzeptieren den Menschen, aber nicht die Tat. Und sobald der Mann merkt, dass ich ihn als Menschen tatsächlich akzeptiere, kann ich ihn auch viel härter konfrontieren. Ich sage dann: Egal was Ihre Frau sagt oder tut – wie Sie darauf reagieren, ist allein Ihre Entscheidung, Ihre Gewalthandlungen sind Ihre Wahl, und sie sind durch nichts zu rechtfertigen.

Wenn der Mann aber sagt, dass er gar keine Wahl hatte, sondern schlagen musste, weil er nun mal eifersüchtig ist oder beruflich so viel Stress hat?

Das sind alles keine Gründe, jemanden zu misshandeln. Jeder hat eine Wahl, und Täterberatung bedeutet vor allem, dass die Männer Wahlmöglichkeiten erkennen. Der wahre Grund, warum Männer gewalttätig werden, ist, dass sie die Gedanken und Gefühle, die sie gerade haben, nicht aushalten. Hilflosigkeit, Ohnmachtsgefühle, die Angst, verlassen zu werden, dass ein anderer Mann besser sein könnte, besser für seine Frau. Diese Gefühle sind so unaushaltbar, dass der Mann Wut und Ärger drüberlegt. Irgendwann explodiert er und schlägt zu. Für einen kurzen Moment hat er erreicht, was er will: Er fühlt sich wieder handelnd, wieder oben, die Spannung lässt nach. Dann kommt meist die große Reueschiene – Versöhnung, Blumen, Honeymoon. Bis es wieder von vorne losgeht.

Aber so theoretisch-psychologisch erklären Sie das nicht, oder?

Nein. Ich nehme gern das Bild von der Autobahn: Stell dir vor, du fährst auf der Autobahn von Hamburg nach Bremen. Du wirst nicht auf einmal in Bremen sein, sondern es werden Hinweisschilder kommen – Bremen 50 Kilometer, Bremen 20 Kilometer, 5 Kilometer, dann bist du da. Wenn du eigentlich nicht nach Bremen wolltest, aber alle Hinweisschilder missachtet hast, brauchst du dich nicht zu wundern, wenn du in Bremen landest. Genauso wenig kommst du von jetzt auf gleich und ohne Hinweise zu deinem Wutausbruch. Hinweise sind zum Beispiel, wenn ich lauter werde, mein Herz zu rasen anfängt...

Wo kann man von der Autobahn runter?

Wir spielen die Situationen durch: Okay, du kommst nach Hause, es ist nicht alles so, wie du es dir vorstellst, was denkst du dann? Er wird wahrscheinlich denken: Die Frau missachtet komplett meine Regeln, eine Kränkung, nicht auszuhalten. Das müsste man dann alles hinterfragen. Stimmt das überhaupt? Hast du schon mal versucht, dich in die Situation deiner Frau, deiner Kinder hineinzuversetzen? Der Mann sieht nur sich und seine Wünsche, und dann interpretiert er alles, was nicht so läuft, als Angriff auf seine Person. Als Sofortmaß­nahme könnte er, wenn er merkt, dass er auf der Autobahn in Richtung Wut ist, innehalten, Distanz suchen, einen Raum für sich. Später lernen die Männer, Worte zu finden für ihre Gefühle, vor allem für ihre Ängste.

Warum sollten Männer daran arbeiten wollen, nicht mehr zu schlagen?

Die Männer erstellen bei uns am Anfang eine Gewaltbilanz. Wir fragen sie: Welche Vorteile hast du davon, dass du gewalttätig bist? Sie sagen: Ich hab sie zum Schweigen gebracht, endlich hab ich meine Ruhe, sie macht, was ich verlange... Wie lang halten die Vorteile an? Meist verflüchtigen sie sich nach Minuten. Dann fragen wir: Welche Nachteile hast du? Die Frau ist weg, die Eltern reden nicht mehr mit mir, ich seh die Kinder kaum noch, es ­kostet mich einen Haufen Geld... Wir ­fragen dann nach den Auswirkungen auf die Frau und die Kinder – die Kinder sind immer, wirklich immer betroffen – und wie lang diese Nachteile wirken. Dann trägt der Mann auf einem fünf Meter langen Streifen auf dem Boden ein, wie lang die Vor- und Nachteile wirken. Da sieht er, warum es sich lohnen würde, sich dafür zu entscheiden, keine Gewalt mehr anzuwenden.

Geht’s den Männern besser, wenn sie nicht mehr schlagen?

Keiner, der schlägt, ist damit glücklich. Hab ich noch nie erlebt. Auch weil es ziemlich anstrengend ist, dauernd so einen Druck auszuüben auf die Partnerin. Unsere Arbeit dient zwar in erster Linie dem Schutz der Opfer, aber auch die Männer profitieren davon.  Wenn sich die Atmosphäre in der Familie entspannt, sind sie sehr erleichtert. Aber auch wenn die jetzige Beziehung nicht mehr zu retten ist, hilft das Training den Männern für  kommende Beziehungen – sonst geht es mit der Gewalt immer weiter, und zwar über Generationen.

Fragen: Christine Holch

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Ein interessanter Artikel; doch, wo bleibt der Bericht über gewalttätige Frauen? Wenn wir uns so umsehen, in der Welt, aber auch in den Gemeinden, Elternabenden etc erleben wir immer wieder schreckliche Dinge. Wo bleibt da der Bericht?

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