Michael Löwa
Dass er mit Kindern kann, hat den einstigen Straßenbauer selbst am meisten überrascht. Denn für die eigenen nahm er sich nie Zeit
21.02.2012

Hätte mir vor zehn Jahren einer gesagt, ich würde mal mit Kindern arbeiten, den hätte ich für verrückt erklärt. Ich war Straßenbaumeister! Baustellen managen, darin bin ich aufge­gangen. Das ging so weit, dass zu Hause auf dem Küchentisch eine Fahne mit dem Firmenlogo stand. Wenn ich überhaupt da war und meine beiden Kinder was wollten, habe ich versucht, das schnell abzuhaken. Und sonntags war ich schon mit Montag beschäftigt: Wird es regnen? Muss ich den Beton abbestellen? Ich war ja verantwortlich, dass der Laden läuft.

Aber dann brach meine Welt zusammen. Dem Unternehmen ging es schlecht, ich wurde entlassen. Und es stellte sich heraus, dass mein Hüftgelenk total kaputt war. Damit konnte ich den Straßenbau begraben. Ich machte eine Weiterbildung; aber nur im Büro sitzen, das hielt ich nicht aus. Zu Hause gab es immer mehr Streit. Irgendwann nahm ich meine Tasche und zog ein paar Kilometer weiter in eine andere Kleinstadt.

Leute, gebt mir eine sinnvolle Aufgabe!

Auf dem Arbeitsamt dort sagte ich: Leute, gebt mir eine sinnvolle Aufgabe, irgendwas! Sie schickten mich als Ein-Euro-Jobber zum Kinderschutzbund. Anfangs sollte ich in die Küche, aber da war ich zu ungeschickt. Dann wurde ich gefragt, ob ich vormittags im Spieltreff mithelfen will.

Die Eltern haben das erst hinterfragt: Ein Mann hier, was führt der denn im Schilde? Doch dann waren alle positiv überrascht  – ich eingeschlossen. Denn die Kinder kamen gleich an, brachten Bücher, lehnten sich an mich. Ganz von allein. So viel Zutrauen, das tat mir gut, verstanden habe ich es aber nicht. Die Kinder werden es schon wissen, dachte ich. Die Erzieherinnen meinten, bei uns seien viele Kinder, die ohne Vater aufwachsen.

Vieles war seltsam. Früher, dachte ich, hast du bei Wind und Wetter deinen Mann gestanden – jetzt sitzt du hier im Warmen und singst „Alle meine Entchen“? Und dann diese albernen Bewegungsspiele! Aber so denkt man nur, bis man begriffen hat, wie nützlich das für die Kinder ist. Bald wurde mir klar, dass auch ich ihnen etwas geben kann. Der Renner ist zum Beispiel das Ritual nach dem Frühstück, das ich eingeführt habe: Die Kinder stellen sich reihauf an die Wand, „Auf die Plätze, fertig, los!“, schon stürmen sie los und schmeißen sich auf die Couch, auf der ich sitze. 

Heute würde ich so viel anders machen mit meinen Kindern

Manchmal ecke ich an, aber die Kolleginnen schätzen es, wie ich meinen Stil einbringe. Ich habe keinen Plan dabei. Den Kindern scheint das egal, sie finden mich lustig. Auch zu den größeren Kindern, die mittags kommen, habe ich einen Draht. Denen sehe ich schon an, wenn sie Blödsinn gemacht haben. Ich war früher nicht anders und weiß, dass die Wut auch mal raus muss. Sie ­erzählen mir viel. Vielleicht können sie deshalb die Grenzen akzeptieren, die ich setze, wenn nötig auch etwas lauter.

Trotzdem bin ich hier viel entspannter geworden. Wenn richtig Leben in der Bude ist, bin ich die Ruhe selbst – wie früher auf der Baustelle. Wie anders ich zu meinen Kindern war! Wenn die bloß einen Löffel haben fallen lassen! Meine Anspannung war so groß, dass ich gleich gereizt gefragt habe: Muss das denn sein? So würde ich das heute nicht mehr sagen. Ich habe viel mehr Geduld. Weil mir die Kinder hier ans Herz gewachsen sind – mehr, als ich das damals bei meinen eigenen Kindern zugelassen habe.

Das wird mir immer mehr bewusst, was ich nicht mehr auf­holen kann. Ich würde heute so viel anders machen: hinhören, wenn dem Kind etwas doch wichtig ist; sich mehr austauschen, dass nicht jeder so für sich und in seiner Welt bleibt; nicht alles im Schnelldurchlauf machen.

Jetzt sind meine Kinder längst Jugendliche und gerade sauer auf mich, verständlicherweise, ich habe sie ja im Stich gelassen. Wie ich damit umgehen soll, weiß ich nicht. Ich bin ein Mensch, der so was verdrängt – wie vieles andere auch. Etwa die Frage, wie das hier weitergeht. Ich würde gern bleiben, aber ob das Arbeitsamt noch mal verlängert? Ich schiebe das weg. Vielleicht bin ich auch deshalb so froh, hier mit den Kindern zusammen zu sein –weil die so im Hier und Jetzt leben.

Protokoll: Bernd Schüler

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