Foto: Constantin Film Verleih GmbH/Dieter Mayr
Glück ist ein halbes Honigbrot
Das Glück kann man nicht alleine haben, sagt Doris Dörrie. Das Glück ist ein geteiltes Honigbrot
Dirk von Nayhauß
17.02.2012

In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?

Wenn ich präsent bin. Es ist eine Kunst, sich immer wieder in die Gegenwart zurückzuholen. Wenn ich am Meer bin oder in den Bergen, fällt es mir leicht, aber das kann jeder. Mühsam ist es in schwierigen Situationen. Mir gelingt es oft nicht, obwohl es einen ganz simplen Trick gibt: Man muss bewusst ein- und ausatmen. In dem Moment, in dem man versucht, wieder körperlicher zu werden, ist man automatisch weniger im Kopf. Und der Kopf und unsere vielen Gedanken – das ist das, was uns quält.

Was können Erwachsene von Kindern lernen?

Im Spiel ist man gleichzeitig hoch konzentriert und selbstver­gessen. Für mich ist schreiben und Filme machen wie spielen, dann kriege ich dieses Glücksgefühl, weil ich mich nicht mehr in meinen Ängsten und Hoffnungen aufhalte, sondern jetzt in diesem Augenblick. Als Kind war ich ziemlich muffig, eifersüchtig auf die Geschwister, ich hatte das Gefühl, am Rand zu stehen und rudern zu müssen, um beachtet zu werden. Ich weiß gar nicht, ob ich als Kind so glücklich war – bis ich lesen konnte, ab da war ich glücklich. Das Lesen war für mich der Himmel auf Erden.

An welchen Gott glauben Sie?

Ich glaube nicht, dass wir das Ebenbild Gottes sind. Ich glaube, dass das viel zu kurz gefasst ist, Wörter wie Gott oder göttlich machen mir Schwierigkeiten. Ich glaube vielmehr an eine tatsächliche, physikalische Verbundenheit mit allem anderen, etwas Unauflösbares. Wir bestehen aus Elementen, die glücklicherweise zu einer bestimmten Zeit zu bestimmten Konditionen zusammengekommen sind. Nimmt man diese Komponenten auseinander, gibt es weder Sie noch mich. Nehmen Sie eine Pflanze: Sie hat Sonne, Wasser, Regen, eine bestimmte Erde, einen bestimmten Breitengrad gebraucht, um zu dieser Pflanze zu werden; das heißt, sie ist tatsächlich mit all diesen Komponenten verbunden. Dass es mich nicht alleine gibt als Ich und als Person, sondern mich nur in Verbindung mit allem anderen, das kann ich nicht rational, aber das kann ich emotional verstehen.

Hat das Leben einen Sinn?

Es hat den Sinn, dass wir unauflöslich miteinander verbunden sind. Doch egoistisch, wie wir sind, grenzen wir uns ab, wollen allen Reichtum auf uns selbst ziehen und denken: alles für mich, die Türen zu, Computer an. Alles allein, allein, allein! Und dann wundern wir uns, wenn wir auf unserem Berg von Zeug sitzen und irgendetwas fehlt. In meinem neuen Film „Glück“ schmieren sich Irina und Kalle zusammen ein Honigbrot. Das ist ein Moment des Glücks. Sie sitzen einfach nur zusammen an einem Tisch und essen ein Honigbrot. Sie haben es geschafft, sich aus sehr dra­matischen Umständen bis zu diesem kleinen, normalen, banalen Glück vorzubaggern. Im Grunde wissen wir alle, dass es genau darum geht; dass es nicht die Seychellen sind und das türkisblaue Wasser. So ein Strand kann einen total glücklich machen, aber im nächsten Moment ahnt man, dass der Strand nur der Strand und das Wasser nur das Wasser ist. Das wirkliche Glück ist so ein geteiltes Honigbrot.

Muss man den Tod fürchten?

Ich übe. Früher habe ich ihn sehr gefürchtet, heute weniger. Als mein Mann Helge Weindler im Sterben lag, hat mir sein Weg zum Tod Angst gemacht. Der Tod selbst nicht. Es ist schrecklich, wenn man zusehen muss, wie ein geliebter Mensch leidet, aber da kann heute die Palliativmedizin viel erreichen, sie kann Schmerzen ­lindern. Letzten Endes geht es auch in dieser Phase um Kommunikation – nicht unbedingt um ein Gespräch, sondern Anwesenheit. Aber der Tod meines Mannes hat mich auch zum Optimisten gemacht. Ich habe eine große Liebe erlebt, aber niemals eine zerrüttete Ehe, kein Abflauen der Gefühle, kein Verschwinden der Liebe. Vielleicht konnte ich mich auch deshalb neu verlieben.

Was hilft in der Krise?

Ich war gerade zwei Monate in Mexiko, einem sehr unsicheren Land mit einem riesigen Gefälle zwischen Arm und Reich. Von den Menschen dort kann man lernen, keine Angst zu haben. ­Europa ist ja angeblich in der Krise, und dann stehe ich im ­Drogeriemarkt vor 124 unterschiedlichen Haarprodukten – ich habe sie gezählt, jede Spülung, jedes Shampoo. Krise? Dass wir 124 Haarprodukte haben, das ist die Krise. Sie nehmen uns die Sicht auf die Dinge, auf die es wirklich ankommt.

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Als Filmemacherin schätze ich Frau Dörrie, ihre Anwort auf diese Frage respektiere ich. Allerdings frage ich Frau Dörrie, ob sie sich bewusst ist, dass diese Antwort, Vertreter des "neuen Atheismus" als prominente Bestätigung verstehen können?
Das wollte Frau Dörrie sicher nicht!

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