Dirk von Nayhauß
Religion als Fremdsprache
Religion, sagt der Schriftsteller, ist eine Fremdsprache, die er nicht beherrscht
Dirk von Nayhauß
15.06.2011

In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?

Wenn ich Dinge tue, die ich noch nie gemacht habe, wenn ich neue Erfahrungen sammle. Manchmal mache ich Dinge einfach nur, weil ich sie noch nie gemacht habe. Lebendig fühle ich mich auch in Situationen, in denen ich nicht weiß, wie die aus­gehen. Ein Spaziergang durchs nächtliche Bogotá würde mir noch nicht reichen. Wenn aber plötzlich drei Typen vor mir stehen, und die sprechen mich an und ich verstehe die nicht, und ich sehe etwas Metallisches blitzen, dann könnte es spannend werden. Und möglicherweise war das dann auch der letzte Moment, in dem ich mich lebendig fühle. – Ja, und auch beim Schreiben fühle ich mich lebendig, wenn ich merke, ich arbeite an etwas, das mir zu meinem eigenen Erstaunen gelingt.

Was können Erwachsene von Kindern lernen?

Liebe und Wut, und wie diese Zustände ineinander übergehen. Und das eine ist trotz des anderen zulässig, beides verträgt sich miteinander. Ich staune immer wieder, wie leicht ein wütendes Kind von Liebe überflutet wird. Die Gefühle von Erwachsenen sind viel differenzierter, aber der Umgang mit Gefühlen ist bei Erwachsenen oft ganz schön verquast und krank. Ich könnte aber auch nicht dieses Hohelied singen, wie toll es mit Kindern ist, die schränken einen ganz schön ein. Man hat es mit Menschen zu tun, die überhaupt nichts allein können. Mein Sohn ist ein Jahr alt. Sobald der morgens die Augen aufmacht, muss jemand in seiner Nähe sein. Das ist ein einziges Geben, Geben, Geben. Ich werde zum Personal eines unglaublich großen Egos degradiert. Aber egal, wie schwierig und anstrengend das ist und wie leer ich mich oft fühle – ich liebe ihn natürlich trotzdem über alles.

An welchen Gott glauben Sie?

An keinen. Natürlich unterlasse ich es, anderen den Glauben auszureden. Ich bin aber auch nicht gern das Objekt von Bekehrungsversuchen.  Religion ist für mich wie eine Fremdsprache, die ich nicht beherrsche. Damit, dass die Liebe eine Gabe Gottes ist, kann ich noch was anfangen, denn die Liebe hält diesen Planeten ja tatsächlich am Laufen, und die Wissenschaft, die zum Urknall wie zur Entstehung des Lebens einiges zu sagen weiß, kann jedoch Sinn und Ursprung der Liebe nicht erklären.

Hat das Leben einen Sinn?

Nicht von Geburt an. Es ist die Herausforderung, das Leben mit Sinn zu füllen. Und um glücklich zu sein, musst du wissen, wozu du da bist. Du brauchst Bestätigung von anderen Menschen, und du brauchst die Nähe der anderen.

Muss man den Tod fürchten?

Oh ja. Das Leben ist etwas sehr Schönes und ist für jeden eine einmalige Veranstaltung. Der Tod hingegen ist die absolute Boden­losigkeit. Der Filmriss, nach dem der Projektor eben nicht wieder angeht. Ich verbiete mir, über den Tod intensiv nachzudenken, weil ich ihm so ohnmächtig gegenüberstehe. Ich hänge sehr am Leben: 2003 bekam ich die Anfrage, ob ich für eine Reportage in den Irak fahre. Damals habe ich das ernsthaft überlegt. Ich habe einen guten Schutzengel, und den hatte ich schon immer, aber heute würde ich keinesfalls in ein Krisengebiet gehen. Trotz meiner Vorliebe für alles, was ich noch nie getan habe.

Welche Liebe macht Sie glücklich?

In der ich der sein kann, der ich bin. Wo ich mich nicht recht­fertigen muss. Und tollen Sex habe. Ich war lange und oft unglücklich verliebt, das war ein großes Manko in meinem Leben. Dass ich das nun doch noch mit Kathrin hingekriegt habe, macht mich sehr froh. Eine glückliche Liebe zu finden, das ist auch eine Lebensaufgabe, an der viele scheitern. Denn in der Liebe ist so vieles unverständlich. Zum Beispiel, dass du jemanden rasend lieben kannst, der nicht gut ist für dich, während jemand, der „eigentlich“ passt, keine Regung in dir auslöst.

Welchen Traum möchten Sie sich noch unbedingt erfüllen?

Ich habe schon mit sieben Jahren davon geträumt, Marathon­läufer zu werden. Das längste waren bisher aber nur 20 Kilometer. Diese 42,195 Kilometer, das ist eine magische Distanz, das möchte ich einmal schaffen. Ich würde auch gern den Lkw-Führerschein machen, finde ich eine tolle Sache. Und ich möchte noch mein eigenes Lieblingsbuch schreiben, das ist mein Karriereziel. Die Chancen sind minimal, die Konkurrenz ist schließlich hart – aber man wird doch noch träumen dürfen.

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