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In Kairo packen manche in der Deutschsprachigen-Evangelischen Kirchengemeinde schon ihre Koffer. Das Pfarrerehepaar bleibt
27.09.2011

Es war Mitte Februar, nur wenige Tage nach dem Rücktritt des Präsidenten Mubarak. Die meisten steckten noch in der Revolu­tionseuphorie. Unsere Kirchenvorsteherin aber meinte: „Wer weiß, ob ich mich hier nicht bald zwangsweise verschleiern muss!“ Sie sah die Islamisten, die Mubarak bislang immer kleingehalten ­hatte, schon auf dem Vormarsch und hatte durchaus Angst. Das erstaunte uns, denn die Deutsche, die seit Jahrzehnten im Land lebt und mit einem Kopten verheiratet war, wirkt sonst ziemlich gelassen. Sie ist es gewohnt, Krisen zu meistern. Als ihr ägyptischer Ehemann gestorben war und sie mit den halbwüchsigen Kindern allein dastand, blieb sie in Ägypten und übernahm seinen Buchhandel. Diesmal aber hat ihr Optimismus sie ver­lassen. Und inzwischen – ein Dreivierteljahr nach der Revolution – geht das vielen so.

Der „arabische Frühling“ ist vorbei. Was nun? Was wird der Herbst bringen – für Ägypten und seine Nachbarländer? Darüber wird unter den rund 150 Mitgliedern unserer Gemeinde leidenschaftlich diskutiert: Klappt es mit den Parlamentswahlen im November? Und wie stark werden die „Religiösen“? Ende Juli demonstrierten Hunderttausende auf dem Tahrir-Platz im Zentrum von Kairo für einen Gottesstaat. Diese machtvolle Demonstration der islamistischen Kräfte hat viele erschreckt. Aber die Menschen, die dem Islam eine starke Rolle zubilligen wollen, sind kein monolithischer Block und fühlen sich auch nicht alle durch die Muslimbrüderschaft repräsentiert. Es gibt junge Religiöse, die einen säkularen Staat wollen – was immer sie unter säkular verstehen: Die meisten möchten, dass die Verfassung Ägyptens auf dem Islam und der Scharia fußt. Andere wünschen sich einen weiteren Bezug auf die „himmlischen“ Religionen – nach dem Koran sind das neben dem Islam auch das Judentum und das Christentum – und auf die Menschenrechte.

Der Stabilität unter Mubarak wird nicht nachgetrauert

Wir erleben neben christlichen Ägyptern, die dem Aufbruchsgeist des Frühjahrs weiter stark vertrauen und ihre Zukunft in einem erneuerten Land sehen, auch Mitchristen, die für sich und ihre Kinder an einer Zukunft in Nordamerika oder Europa bauen. Sie sitzen innerlich auf gepackten Koffern. Die erwachsene Tochter unserer Kirchenvorsteherin wartet zum Beispiel auf eine Arbeitserlaubnis in Kanada, für sich und ihren ägyptischen Mann. Den Antrag hatte die junge Frau allerdings schon vor der Revolution gestellt: Ihr schon lange bestehender Auswanderungswunsch wurde vor etwa zwei Jahren konkret, als sie das erste Mal eine Polizeistation von innen sah. Wir besuchten damals in einer solchen Wache ein Gemeindemitglied. Der 80-Jährige war aus ­heiterem Himmel vor seiner Haustür verhaftet worden. Schwere Körperverletzung lautete der Vorwurf – und auch gleich das Urteil. Es war gefällt worden, ohne dass er etwas davon wusste. Eine ­Polizeistation ist kein Gefängnis, es gibt keine Betten oder Matratzen, keine Sanitäranlagen, kein Essen. Die Menschen, die dort zum Teil wochenlang festgehalten werden, sind darauf angewiesen, dass Eltern oder Geschwister sie von außen versorgen – wenn die Angehörigen denn reingelassen werden. Unser Bekannter blieb vier Tage in Gewahrsam und hat sich davon nie mehr richtig erholt. Dabei genoss er als Ausländer sicherlich noch einen ge­wissen Schutz.

Dies geschah im vorletzten Jahr der Herrschaft Mubaraks – so und ähnlich aber sicher auch in den Jahrzehnten davor. Nein, wir trauern den stabilen Zeiten unter dem „Pharao“ nicht nach! Aber es ist auch wahr, dass die Tochter unserer Kirchenvorsteherin seit der Revolution noch dringender auf die Ausreisemöglichkeit ­wartet. Denn sie weiß nicht, wie es für sie und ihre junge Familie weitergehen soll. Die Aufträge im Buchhandel bleiben aus, der Laden wurde während der heißen Tage im Februar geplündert und zerstört.
Und dann ist da die Sorge, dass die Situation der Christen in Ägypten noch schwieriger werden könnte. Diese Angst nehmen wir – als Pfarrehepaar – und Freunde in geschwisterlicher Verbundenheit ernst. Wir ärgern uns aber auch über verbale Brandstifter aus dem Ausland, die die unleugbare Diskriminierung von Christen zu Christenverfolgungen hochschreiben. Gebete, tätige Solidarität in konkreten Notsituationen und wenn möglich Besuche vor Ort sind wirksamere Zeichen der Verbundenheit. Und so kann es schon einmal sein, dass sich der Pfarrer der deutschsprachigen Gemeinde in Kairo demonstrativ in einen Gottesdienst der Kopten setzt, als nach dem blutigen Anschlag auf eine koptische Kirche in Alexandria im Januar alle Angst hatten, einen solchen zu besuchen.

Das Risiko ist überschaubar

Gewaltige Emotionen setzt die beginnende Aufarbeitung des Unrechtsregimes frei. Für uns als Gäste aus Deutschland – aus­gestattet mit dem Wissen, wie schwierig es bei uns war und ist, sich der Nazivergangenheit zu stellen – ist es schon erstaunlich, was in Kairo und anderswo nicht zuletzt auf Druck der Straße in kürzester Zeit geschehen ist: Der verhasste ehemalige Innen­minister und Geheimdienstchef Habib el-Adly wurde bereits im Mai wegen Korruption und Geldwäsche verurteilt und ist wegen weiterer Verbrechen angeklagt. Und Anfang August erschien Expräsident Mubarak das erste Mal selbst vor Gericht: im Krankenbett liegend, mit frisch gefärbten Haaren und fester Stimme, die alle Anschuldigungen leugnete. In manchen Taxis Kairos baumeln kleine Galgen, an denen el-Adly als kleine Puppe schon hängt. Aber es sind auch Mubarak-Treue auf den Straßen. Das ist Ägypten: ein zerrissenes, aufgewühltes Land im Transformations­prozess. Rachegedanken können wir nicht empfinden, wir bangen eher mit, wie es in Zukunft hier im Land weitergeht.

„Mein Mann sagt, Boulak ist ein gefährlicher Stadtteil, kann ich trotzdem zu Ihnen in den Gottesdienst kommen?“, mailte vor kurzem eine Frau aus Deutschland, die ihren Kairobesuch plant. Boulak, wo unsere Kirche steht, ist ein eher ärmliches Stadtviertel, recht zentral, laut, dreckig. Anfang des Jahres fanden auch hier Straßenkämpfe statt.  Mit gutem Gewissen können wir Pfarrer aber behaupten, dass das Risiko im Moment überschaubar ist. Gefährlich ist es höchstens, die sechsspurige, vielbefahrene Straße vor der Kirche zu überqueren. 
Im April nächsten Jahres wird die Deutschsprachige Evangelische Kirche in Kairo 100 Jahre alt. Dann wollen wir mitten in diesen instabilen Zeiten die Stabilität feiern. Und wir verbinden damit auch einen Traum: Unsere Walcker-Orgel soll dann wieder erklingen. Ebenfalls im Jahr 1912 erbaut, ist das Instrument seit Jahrzehnten unbespielbar – nun wird es renoviert, vom Urenkel des einstigen Erbauers. Wir hoffen, dass es am 20. April 2012 ein abendliches Orgelkonzert geben kann und die Töne dann aus der Kuppel unserer Kirche auf die Zuhörer herabschweben. Denn eine Besonderheit dieser Orgel ist das Fernwerk, das die Töne hoch in die Decke der Kirche leitet und dort erst freigibt.

160 000 Euro sind für das Großprojekt veranschlagt. Der Traum ist teuer. Aber es gibt tatsächlich welche, die in ihn investieren: Das Auswärtige Amt, ein koptischer Millionär, deutsche Firmen in Kairo, Gemeindeglieder, Freunde, Musikliebhaber. Die Renovierung ist nicht nur ein ehrgeiziges Gemeindeprojekt. Sie soll auch Kirchentüren öffnen für Menschen, die sonst kein christliches Gotteshaus betreten. Nirgendwo sonst gibt es in Kairo eine solche Konzertorgel. Dirigenten der städtischen Oper haben schon Interesse angemeldet.
Vielleicht kann die Musik eine weitere Brücke schlagen und unsere Kirche zu einem Ort der Begegnung werden, unabhängig von der Religion. Solche besinnlichen Orte brauchen wir gerade in unruhigen Zeiten.

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Wer schon einmal die bittere Armut gesehen hat, in der ägyptische Arbeiter wohnen, dem erscheint ein 160 000 Euro teures Orgelbauprojekt ein schockierend falscher und milieuunsensibler Beitrag in diesen unruhigen Zeiten. Selbst in Deutschland ist Orgelmusik ein kultureller Anachronismus und lediglich einer sehr schmalen bürgerlichen Subkultur vertraut. Aber in einem arabischen Land mit völlig anderer Musiktraditon? Mir erschliesst sich auch nicht, wie die Autorin ausgerechnet eine Kirche -place of worship in fast allen anderen Kulturen- zu einem Begegnungsort unabhängig von Religion stilisieren will. Ich hatte schon viele gute Gespräche über Gott und das Leben mit Muslimen, Juden und Kopten: in ägyptischen Geschäften, Teestuben und auf Tauchboten. Ohne Orgel. Ich hoffe, das auswärtige Amt überdenkt sein Engagement noch einmal.
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Durch Zufall habe ich diesen Bericht gefunden.
Vor einigen Jahren war ich zu einem Ostergottesdienst in der ev. Kirche in Boulak. Meine Freundin (sie lebte damals in Kairo) erfüllte mir den Wunsch, einen Gottesdienst zu besuchen.
Es war laut, es war staubig auf dem Weg vom Auto zur Kirche. Eine Weile saßen wir im Garten, wir waren zu früh.
Noch heute höre ich wie von Ferne die Geräusche der Straße und dazwischen Glockengeläut. Es war ein berührender Moment...

Nun also gibt es Orgelklänge in dieser wunderschönen, alten Kirche und ich verstehe die Protestantin nicht, die glaubt, das Geld zur Renovierung der Orgel sei verschwendet.

Das Haus Gottes als Haus der Begegnung... ein wundervoller Gedanke, mit Musik die Herzen aller Menschen zu erreichen. Es klingt wie ein Auftrag des Herrn...

Herzlichst
Ihre sissi k.

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