Sebastian Arlt
Wie viel Eigensinn tut gut und wie viel Tradition?
Eine Bischöfin und ein Bestatter über heikle Fragen
Tim Wegner
Tim Wegner
09.06.2011

chrismon: Hochzeiten werden oft sehr lange vorbereitet. Aber was bleibt in Erinnerung – und war es dann der schönste Tag im Leben?

Dorothea Greiner: An meiner Hochzeit vor 30 Jahren gefiel mir, dass sie in der Heimatgemeinde meines Mannes stattfand, mit Dorfbürgermeister auf dem Standesamt und Posaunenchor in der Kirche. Aber ich finde, unsere Hochzeitstage sind viel schöner, wir nehmen uns Zeit füreinander.

Fritz Roth: Bei mir ist es noch länger her, ich war Student. Mir war nur wichtig, dass wir in der Kirche heiraten, in der meine Eltern geheiratet haben, in der ich getauft bin und meine Kommunion hatte. Ich komme vom Bauernhof, es war ein Fest der Gemeinschaft mit Bräuchen wie Wäsche aufhängen, Stamm durchsägen.

Brautpaare heute möchten alles super individuell – auf dem Leuchtturm, unter Wasser...

Greiner: Individualität wächst nicht durch zunehmende Skurrilität. Die Individualität in der kirchlichen Trauung entsteht, indem wir fragen: Claudia Morgenrot, willst du diesen Ernst Abendstern zu deinem dir anvertrauten Mann...? Dass die beiden angesprochen sind und ihnen die Hände aufgelegt werden, sind oft ganz  berührende Momente. Wir sollten sie ihnen nicht nehmen durch eine Gestaltung, bei der das Happening im Vordergrund steht.

Manche Paare wünschen sich den Traugottesdienst in einem Garten. Einige Landeskirchen sagen: Keine Trauung draußen!

Roth: Das kann ich nicht nachvollziehen. Gottes Wirken ist so toll, dass es überall zu spüren ist. Brautpaare sind oft spirituelle An­alphabeten – in einem Garten aber hat man sofort Bilder von ­Paradies, von Aufgehobensein. Das ist doch eine Chance für den Seelsorger, eine Brücke zu seiner Botschaft zu schlagen!

Greiner: Es sollte zumindest ein eingeübter Gottesdienstort sein. Wie zum Beispiel die Kampenwand im Chiemgau, wo jeden Sonntag im Sommer Gottesdienst stattfindet – mit Altar.

Roth: Aber wenn ein Paar nun unbedingt die Trauung unter ­Wasser wünscht und ich spüre, das ist kein Event, sondern hat mit der Biografie zu tun, was spricht dagegen? Ich bin eher in Sorge, dass Leute den Pfarrer nur als Sättigungsbeilage haben wollen.

Will man die Kirche nur wegen der feierlichen Atmosphäre?

Greiner: Nein. Ich frage die Paare im Vorgespräch: Warum kirchlich? Sie sagen immer, dass sie Gottes Segen wollen.

Roth: Den können Sie ja überall geben!

Greiner: Den seelsorgerlichen Segen, ja. Aber eine Trauung ist ein Gottesdienst, da gehört die Gemeinde dazu. Und unsere Kirchen dienen durch ihre äußeren Reize der inneren Bewegung. Im Garten könnte doch der Sektempfang stattfinden! Es findet sich immer ein Weg, man muss nicht den eigenen Schädel durchsetzen.

Roth: Aber wenn die Landeskirche die Trauung im Garten verbietet, setzt sie doch auch ihren Schädel durch! Ich frage Theologen oft: Seid ihr Seelsorger oder Seelverwalter? Ladet ihr die Leute ein, oder reglementiert ihr sie?

 

"Für mich wirkt Gott in „Highway to Hell“ wie auch in „Befiehl du deine Wege“"



Und wenn die Braut vom Vater an den Altar geführt werden will? Da sagen viele evangelische Gemeinden: Auf keinen Fall, das ist Mittelalter, wie wenn die Tochter den Besitzer wechselt!

Roth: Meine Tochter heiratet im Sommer, und ich stelle mir schon vor, dass ich sie in die Kirche zum Altar führe, einfach im Sinne der Begleitung bei einem Übergang; da kann ja auch meine Frau mit. Darüber würde ich mit dem Pfarrer gar nicht diskutieren.

Greiner: Ich würde über diesen Punkt sicher lange reden mit den Leuten. Aber an so etwas soll es nicht scheitern. Ich würde den Akt vielleicht in der Ansprache deuten in einer Weise, die dem entspricht, dass Mann und Frau gleichwertiges Bild Gottes sind.

Mit den kirchlichen Zeremonien Taufe und Hochzeit sind die Menschen meist zufrieden, aber nach Bestattungen äußern sich manche sehr enttäuscht. Wie kommt das?

Greiner: Ich selber habe das nie gespürt, im Gegenteil, die Leute waren sehr dankbar.

Roth: Von zehn Toten, die ich bestatte, sind acht Kirchenmitglieder. Die Angehörigen wollen die Bestattung ausdrücklich bei mir und nicht so, wie es in ihren Gemeinden abläuft. Sie möchten in der Gemeindekirche verabschiedet werden und nicht in der Friedhofskapelle, wo sie nach einer halben Stunde fertig sein müssen. So kann man doch nicht Trauer feiern! Die Pfarrer sollten die Leute in ihre Kirche einladen, damit sie einen vertrauten Ort und Zeit für ihre Klage haben. Und eine Kirche ist ja auch ein spiritueller Kraftraum. Da sollten die Kirchen viel flexibler sein. Natürlich, so was nimmt viel Zeit in Anspruch. Aber Sie haben nie bessere Zuhörer als in einer Trauerfeier.

Greiner: Das klingt, als ob die Bestatter die wahre Bestattungs­kultur lebten und die Kirchen nicht! Sie sind da wohl eine Ausnahme, aber was haben wir Gemeindepfarrer schon gekämpft mit den Bestattern, dass der Sarg in die Kirche kommt und nicht in die Leichenhalle! Wir erfahren von dem Tod meist erst, wenn alles schon abgemacht ist in einer für das Bestattungsinstitut sehr praktischen Art und Weise. Da ist die Trauer eingetaktet in ein Minutenkonzept. Wenn wir die Angehörigen fragen, ob sie den Sarg nicht doch in der Kirche haben wollen, sagen sie: „Das Bestattungsinstitut sagte, dass das nicht möglich ist bei Ihnen.“ Selbstverständlich ist es möglich!

Roth: Die Leute fragen auch: „Ist es denn erlaubt, dass ich den Toten selbst anziehe, dass ich selber einen Sarg baue?“ Darüber müssen wir gemeinsam informieren. Sie sagen, wir wären eingetaktet – wenn ich Pastor wäre, ich würde mir von keinem Friedhof nur eine halbe Stunde Trauerfeier vorschreiben lassen.

Greiner: Lieber Herr Roth, wenn die Leute in einem Krematorium nicht 20 Minuten wollen, sondern 40, müssen sie es zahlen.

Roth: Aber in Ihrer Kirche brauchen sie es doch nicht zu zahlen.

Greiner: Deswegen lade ich sie ja in die Kirche ein!

Warum wissen die Leute so wenig darüber?

Greiner: Weil die Familien heute meist nicht zusammenwohnen. Da stirbt jemand in Holzkirchen, und die Verwandten leben in Emden. Sie sind dem ausgeliefert, an den sie sich dann wenden.

Roth: Man muss sich eben beizeiten Gedanken machen, was passiert, wenn die Mutter in Holzkirchen stirbt! Wir müssen diesen Dialog in der Familie führen. Bedenke, dass du sterblich bist. Deswegen lade ich schon Kinder in mein Trauerhaus ein; sie können, wenn sie möchten, auch einen Toten sehen.

Greiner: Wenn ich mir einen Vorwurf mache als Gemeinde­pfarrerin, die ich früher war, dann den, dass ich zu wenig in die Gemeindebriefe hineingeschrieben habe: Ladet mich ein, ich komme gerne. Zum Hausabendmahl. Für eine Andacht am Sterbe­bett. Die Leute wissen das oft gar nicht mehr.

Herr Roth, wenn Sie Pfarrer wären, was würden Sie ändern?

Roth: In meiner Gemeinde würde keiner anonym beigesetzt...

Greiner: Ja, eine anonyme Bestattung ist auch mit mir nicht zu machen. Gott ruft uns bei unserem Namen, wir haben eine Identität, die in Ewigkeit nicht verlischt.

Roth: Und ich würde um die Kirche herum beerdigen. Auch abends oder am Wochenende. Ich würde mir jeden Toten samstags ins Pfarrhaus bringen lassen und dann einen Kasten Bier und Cola hinstellen. Wir können vielleicht unter der Woche nicht zur Beerdigung kommen, aber am Samstagnachmittag kann ich mich hinsetzen und sagen: Die Minna Schmitz habe ich gut gekannt, jetzt trink ich einen auf sie und schreib noch ein Zettelchen. Auch den Leichenzug finde ich ganz toll. Nicht nur auf dem Land!

Greiner: Richtig, auch in der Stadt!

Roth: Mitten durch Bayreuth oder durch Köln, und nicht vorher die Polizei rufen...

Greiner: ...doch schon.

Roth: Nein. Wenn wir Frauenfußballweltmeister werden sollten, machen wir selbstverständlich einen Autokorso. Jeder Tote hat seine Meisterschaft errungen. Wir brauchen Begegnung mitten im Leben. Wir beerdigen auch viel zu schnell. Heute ist jemand tot, morgen ist er im Krematorium, und in drei Tagen sitze ich vor so einem Töpfchen und soll glauben, da ist mein Vater drin. Wir brauchen Zeit, zu begreifen und Abschied zu nehmen.

Müsste man auch den Trauergottesdienst ändern? Trauernde berichten, sie hätten sich von der Kirche abgewandt, weil der Pfarrer gesagt habe, dieser Tod sei Gottes Wille.

Greiner: Der Satz, es war Gottes Wille, steht in keiner Liturgie. Den muss der Pfarrer selbst gesagt haben. Ich erlebe unsere Trauer­liturgie als äußerst hilfreich. Die alten Psalmen sind tragende Worte, zum Beispiel Psalm 73: Dennoch bleibe ich stets an dir, denn du hältst mich bei meiner rechten Hand und nimmst mich am Ende in Ehren an... Alles andere wird oft banal.

Freie Trauerredner haben auch weise Worte aufzubieten. 

Greiner: Aber es fehlt die Hoffnung unseres Glaubens, die dem Tod nicht das letzte Wort lässt; das ewige Leben, das schon hier in unser Leben reinleuchtet. Ich glaube, dass die Sehnsüchte der Menschen mehr sind als die gerade artikulierten Bedürfnisse.

Erstaunlicherweise wünschen sich immer mehr Nichtmitglieder für Nichtmitglieder eine christliche Bestattung...

Greiner: Ja, das erleben wir oft – man traut uns dann doch eine gewisse Kompetenz zu.

Wie großherzig ist da die evangelische Kirche?

Greiner: Tote bestatten ist auch ein Werk der Barmherzigkeit. Aber ich würde es nicht machen, wenn ich sicher wüsste, dass der Verstorbene das nicht wollte. Für die Hinterbliebenen müsste man dann einen anderen seelsorgerlichen Weg finden.

Roth: Der Pfarrer könnte doch sagen, ich trete jetzt nicht im Talar auf, sondern als Mitmensch, als Begleiter, und stehe der Familie zur Verfügung. Das würde ich sehr unterstützen.


Wenn Nichtkirchenmitglieder einen ausgetretenen Angehörigen kirchlich bestatten lassen – sollten sie dafür zahlen?

Greiner: Der Dienst des Pfarrers wird großteils aus Kirchensteuer­mitteln der Mitglieder getragen. Daher ist es auch angebracht, dass Kirchengemeinden in solchen Fällen zusätzliche Gebühren erheben oder Spenden erbitten.

Roth: Wenn Angehörige in solchen Fällen mitfühlende, hilfreiche Seelsorge erfahren, honorieren sie dies oft unaufgefordert.

Angenommen, ein Todkranker verfügt: Keine Feier, keine Blumen, keine Musik, alles anonym. Muss man sich dran halten?

Roth: Den eigenen Tod, den stirbt man nur, den Tod der anderen muss ich leben. Für mich geht es um die Angehörigen. Wenn es mit ihnen besprochen worden ist, soll es so gemacht werden. Aber wenn einer das nur für sich entschieden hat, hat er bei mir schlechte Chancen, dass ich das umsetze.

 

"Wenn wir alles machen, geht genau das verloren, wonach die Leute suchen"
 


Es finden oft Bestattungen in kleinem Kreis statt, etwa bei einer Seebestattung. Andere hätte auch gern Abschied genommen.

Greiner: Unsere Kasualien sind öffentliche Gottesdienste, zu denen jeder kommen kann, es sind keine Privatfeiern. Und wenn jemand eine Seebestattung wollte, können wir später einen Gottesdienst feiern, um für unser verstorbenes Gemeindemitglied zu ­beten. Ohnehin findet im nächsten Gottesdienst nach einer Be­stattung eine Fürbitte statt für die Hinterbliebenen.

Manche wollen aber eine „Bestattung in aller Stille“...

Roth: ...ich kann das nicht mehr hören! Leben braucht Gemeinschaft, Trauer braucht Gemeinschaft. „Von Beileidsbekunden ­bitten wir Abstand zu nehmen“ – meine Mitarbeiter sind angehalten, die Menschen, die zu uns kommen, zu überzeugen, diesen Satz zu streichen. Weil wir immer sprachloser werden in den bedeutenden Situationen des Lebens.

Greiner: Oft soll man auch die Tränen nicht sehen. Aber Tränen sind so wichtig! Das ist doch eine notwendige Reaktion von Körper und Seele, dass es rausfließen kann und nicht in uns bleibt!

Und wenn für den Trauergottesdienst eine Diashow mit Fotos des Verstorbenen gewünscht wird?

Roth: Das ist zeitgemäß. Ich habe einige Trauerfeiern gehalten für Opfer des Tsunami. Da war kein Toter mehr. Aber da lag sein Motorradanzug, daneben eine Flasche Rotwein. Wenn ich den Trauernden vermitteln will, dass der Verstorbene auf einer anderen Ebene weiter mit ihnen verbunden ist, brauche ich Instrumentarien, die die Leute berühren. Das ist keine Aufgabe von Grundsätzen, sondern zeigt, wie zeitlos Glaube sein kann.

Greiner: Ja und nein. Wenn alles möglich ist in unseren christ­lichen Trauerfeiern, werden sie profillos und werden auch nicht mehr gebraucht. Es muss uns gelingen, beides zu vereinbaren: auf die Menschen einzugehen und unser Evangelium zum Strahlen zu bringen. Es ist mir noch immer gelungen, mit den Angehörigen einen Weg zu finden.

Jetzt sagt ein Angehöriger: Mein Bruder hasste Orgelmusik, sein Lieblingslied war „Highway to Hell“ – was dann?

Greiner: Es muss nicht alles in den Trauergottesdienst selbst. Und nicht alles, was der Bruder des Verstorbenen will, hilft auch der Schwester. „Highway to Hell“ ist mir noch nie untergekommen. Aber es fängt schon an, wenn ein Ave Maria gewünscht wird: Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder... Kern des Evangeliums ist aber, dass wir selbst zu Gott sprechen können und auch sollen. Wenn wir alles machen, geht das Profil verloren, das die Leute doch suchen.

Roth: Für mich wirkt Gott in „Highway to Hell“ wie auch in „Befiehl du deine Wege“. In der Trauerfeier sollte man die Persönlichkeit des Einzelnen zum Ausdruck bringen – dann kommt es da­rauf an, darin das Wirken Gottes zu finden und eine Perspektive. Trauerwege sind Wüstenwege, da brauche ich meine Oasen, etwas Vertrautes, um irgendwann wieder in den Auen des Lebens anzukommen. Da kann „Highway to Hell“ eine Möglichkeit sein.

Liebe Frau Greiner, Ihre Statemens in dieser Chrismon-Begegnung finde ich nett und modern - und doch zeigt sich in Ihnen ein deutliches Machtgefälle: _Sie_ sagen den Menschen, wonach _die_ sich richten können. Und mehr als einmal sagen Sie: Wir haben uns schon einigen können. Mit anderen Worten: Sie haben dort die Menschen gezwungen, einen Kompromiss einzugehen, wo Sie sich selber hätten auf das Brautpaar oder die Trauernden einstellen und auf sie hören können. Warum immer noch die kirchliche Polemik gegen den Brauch, dass der Brautvater die Braut zum Altar führt? Haben die Kirchen vergessen, dass es sich bei den Amtshandlungen um Passageriten handelt, in denen wir feiern, dass nun etwas Neues geschieht? Mit der Hochzeit machen die Brautleute doch auch deutlich, dass sie nun füreinander einstehen. Damit verändert sich auch die Vater- und Mutter-Rolle. Der Brauch kann statt vermeintlichem Patriarchalismus genauso gut deutlich machen: Von nun werdet ihr Probleme zuerst zusammen ausmachen und besprechen. Wir Eltern treten zurück, wir lassen Euch los. Ihr werdet merken, was Elternschaft bedeutet, wir wissen das schon ein wenig länger. In Zukunft werden wir uns auf Augenhöhe begegnen. Vielleicht könnte man das Brautpaar einladen, ob nicht auch der Bräutigam durch die Bräutigammutter nach vorne geführt wird - wenn man gerne Gleichberechtigung ausdrücken möchte. Die Brautpaare wissen oft intuitiv viel genauer um die Symbolkraft der Handlungen, die sie gerne wünschen, als es ihnen eine vermeintlich aufgeklärte Kirche aufdrücken möchte - mit Begründungen, die der eigenen praktischen Theologie der letzten 100 Jahre nicht immer standhalten. Und wieso werden evangelische/christliche Beerdigungen profillos, wenn die Angehörigen darin ermutigt werden, in eigener Kreativität bereits Trauerarbeit zu leisten? Auch hier geht es leider um ein Machtspiel, in dem Sie zulasten der Trauernden definieren wollen, was heute noch evangelische Tauerfeier ist. Merken Sie nicht, wie sehr Sie in diesem Machtspiel Ihre eigenen Gründsätze nach evangelisch-seelsorglichem Handeln verraten? In diese Kategorie gehört auch die protestantische Ablehnung des Ave Maria. Meinem frommen Schwiegervater etwa war es immer sehr wichtig zu wissen, dass andere Menschen in Notsituationen für ihn beten. Mehr als einmal hat er gesagt: Betet für mich. Darf er das nicht? Er könnte doch auch einfach selber beten! Er braucht doch keinen Vermittler! Oder doch? Wir sind Kirche, weil wir wissen, dass wir nur in Gemeinschaft Christ sein können. Dann müssen wir damit aber auch Ernst machen. Zum Christsein gehört auch die Fürbitte. Einer meiner Lieblingstexte in der Abendmahlsliturgie findet sich im Gottesdienstbuch auf Seite 623 in der Präfation zum Osterfest: "... es preisen dich die himmlichen Mächte und die Scharen der Engel. Vereint mit ihnen und allen, die uns vorausgegangen sind im Glauben, singen wir das Lob deiner Herrlichtkeit..." Ganz sicher ist uns auch Maria vorausgegangen im Glauben. Wenn wir gemeinsam mit ihr in den großen Lobgesang einstimmen dürfen, dürfen wir auch füreinander beten und darum bitten, dass für uns gebetet wird. Damit bestreitet niemand, dass jede und jeder jederzeit direkt zu Gott beten darf. Aber was ist mit der Witwe, die mir letzte Woche sagte, sie sei plötzlich sprachlos geworden im Gebet? Sie darf mich doch um Fürbitte bitten. Und selbst die katholische Kirche betont in ihrer Mariologie, dass die Marienverehrung den einzigen Sinn darin hat, auf Christus zu zeigen und auch direkt zu ihm zu beten... Lassen Sie sich bitte auf die Trauernden ein. Erinnern Sie sich an Ihre eigene Seelsorgeausbildung. Und verhindern Sie, dass pastorales Machtgehabe (sorry, aber ich glaube, es ist so) genau dem evangelischen Profil entgegen steht, das Sie zwar gerne bewahren wollen, aber letztlich in diesen Fällen doch verraten. Es gilt, das Evangelium, die frohe Botschaft von Jesus Christus als dem menschgewordenen Sohn zu verkünden. Dabei sind gewohnte kulturelle Ausformungen hilfreich, sie können aber auch ausgesprochen hinderlich werden. Wie oft gehörten Choräle ursprünglich zur Avantgarde oder zur Popkultur? Und wie oft treffen Sie heute weder von der Wortwahl noch vom Musikstil das Lebensgefühl von Traupaaren oder von Trauernden? Evangelisches Profil wäre doch in einer sich immer reformierenden Kirche, mit den eigenen Mitgliedern und ihren Bedürfnissen und ihrem Lebensgefühl mitzugehen. Stattdessen werden wir zu oft zu Museumswärtern, und ausgerechnet die Bestatter müssen uns zeigen, wo das Leben heute angekommen ist. Ein Dank an Fritz Roth, dass er uns diesen Dienst immer wieder gerne leistet. Bernd Kehren
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Zitat: Roth "Trauerwege sind Wüstenwege, da brauche ich meine Oasen, etwas Vertrautes" Es ist Traurig das Vertrautes nicht die normalen Liturgien der Kirche sind, sonder evtl. Highway to Hell. Ich als Dienstleister mache alles was die Kunden wünschen, aber wir sollten die christlichen Rituale versuchen aufrecht zu erhalten. Angehörige ohne Glaube haben viel länger und intensiver mit der Trauer zu kämpfen als Gläubige Menschen. Highway to Hell hilft nicht bei der Trauerbewältigung sondern vermeintlich ist die Trauerfeier schöner. Aber das wichtige wie bei der Hochzeit der Segen, ist die Übergabe der Seele an Gott. Wer das Glaubt der kann auch die Trauer bewältigen.
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Hallo zusammen! Ich finde diese bzw Ihre Diskussion sehr spannend. Bei meiner Mutter durften wir in der kath. Kirche eine ganz tolle Auferstehungsmesse mit feiern. Wir hatten den Sarg in die Kirche geholt, was überhaupt kein Problem war. Die Kirche war proppe voll. Mit tollen Liedern und Texten verabschiedeten wir unsere Mutter. Wir 5 Kinder trugen dann den Sarg aus der Kirche, wo er dann zum Friedhof vom Bestatter gefahren wurde. Viele sagten: Wenn ich mal gestorben bin, möchte ich auch so eine schöne Beedigungsmesse. Kann man von einer schönen Beerdigungsmesse bzw. Auferstehungsfeier sprechen? Ich meine auf jedenfall. Aber je nachdem welche Ansichten der Pastor hat, kann es tot langweilig in so einer Messfeier werden. Ich kann Sie nur beide einladen in die Kathechesekirche St. Stephan in Krefeld, um sich auch dort inspieren zulassen. Vielen Dank für diesen Dialog an Sie beide. Viele liebe Grüße und bleiben Sie gesund! Ihr Andreas Langer

Ich kann mich dem Herrn Roth nur anschließen. Die Kirche verbaut vielen Menschen den Weg zum Glauben, in dem sie zu viel vorschreibt und zu viele Dinge in ihre Predigten bringt, die nichts mehr mit mir und meinem Leben zu tun haben. Gerade bei Beerdigungen ist es hilfreich seine Vorstellung umzusetzen. Als Trauerbegleiterin weiß ich, dass ist schon intensiveTrauerarbeit. Ich habe beim Trauergottesdienst meiner Mutter erlebt, dass wir selbst nicht gestalten durften. Es war nicht erwünscht, dass wir die Musik, die wir wollten, gespielt wurde. Das war schrecklich und unchristlich. Und durch diese unterschiedlichen Möglichkeiten der Beisetzung, der Gestaltung des Trauergottesdienstes, wird es den Menschen, die mit dem Tod eines geliebten Menschen weiterleben müssen, erheblich leichter gemacht mit diesem Tod weiterleben zu können. In der Praxis höre ich immer wieder, wie es die Trauer erschwert, wenn die Beerdigung nicht so gestaltet wurde, wie eigentlich gewünscht. Einmal weil Freunde und Bekannte meinten, es muss so sein, es gehöre sich so und zum anderen weil die Kirchen dies einfach nicht wollen und vielleicht auch noch den Kantor vorschieben, der nur seine eigene Musik spielen will. Es gibt noch viel zu tun. Packen wir es an! Christa Samluck-Köpsel Trauerbegleiterin Zeit.T.Raum Praxis für Trauerbegleitung und mehr Hirschberger Str. 12b 24558 Henstedt-Ulzburg 0 41 93 - 75 24 546

Ich habe Dissertation von Frau Greiner über Segen und Segnen nicht gelesen und weiss nicht, wie sie "Segnen" definiert. Doch ich gehe davon aus, dass niemand auf die Kirche angewiesen ist, um mit Gottes Segen zu heiraten oder dass am Grab ein Gebet gesprochen wird. Der Ursprung der protestantischen Tradition ist doch, dass jeder Mensch einen direkten Draht zu Gott haben kann und nicht auf die kirchlichen Vermittler angewiesen ist. Menschen wollen in ihrer Art zu Trauern gesehen und begleitet werden. Für die einen ist "die Hoffnung des Glaubens" eine Hilfe. Andere wenden sich von der Kirche ab, weil sie die Artikulation dieser Hoffnung, die sie wie eine Worthülse erleben, nicht mehr ertragen. Frau Greiner macht aus dem Glauben einen "Mehrwert" der kirchlichen Bestattung. Dieser Wert ist aber keine absolute Größe. Welche Gestaltung der Abschiedsfeier den betroffenen Menschen wertvoll ist, entscheiden diese selbst. Viele Menschen entscheiden sich an diesem Punkt für eine/n freie/ Redner/in. Herr Roth sorgt sich, dass "Pfarrer nur als Sättigungsbeilage" wahrgenommen werden. Eine provokante Aussage. Für die Amtsträger bedeutet dies eine Kränkung des seelsorglichen Selbstverständnisses, die umso stärker ausfällt, wenn der eigene Beitrag als "Mehr wert" definiert wird. Ich freue mich über die Diskussion, denn auch auf dem freien Rednermarkt gibt es sehr unterschiedliche Qualitäten in der Begleitung. Und ich wünsche mir eine Diskussion, die nicht die Unterscheidung "kirchlich" / "nichtkirchlich" als Ausgangspunkt hat, sondern die Frage, wie sich unsere Gesellschaft wandelt und welche Auswirkungen dies auf die professionell Begleitenden hat. Dies ist der Ansatz von Fritz Roth, der seine Arbeit in der Bestattungsbranche wegweisend macht.

Ich muss zugeben, dass die drei Bestattungen auf denen ich war, eher schlecht als recht waren. Es gab keinen individuellen Zugang zum Verstorbenen, Liste von Lebenspunkten wurden abgearbeitet, Vorwürfe wurde gemacht (wirklich) und alles folgte einer strikten Zeremonie. Die Menschen um den Sarg kamen den ganzen Tag nicht ins Gespräch, alle hielten den Mund, weil sich das so gehört (?). Wie angenehm sind da die Gedanken des Herrn Roth zu lesen: Die Kiste Cola am Sarg, einen letzten aufeinander heben. Wirklich schön und so frei sollte das Abschiednehmen auch sein. Jeder sollte den Menschen, der gegangen ist, noch ein wenig daheim behalten und sich ohne institutionelle Hilfe verabschieden können. Vielen Dank für den spannenden Dialog. Juliane Uhl (conVela-Erinnerungskultur)
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Sehr geehrte Damen und Herren,

das Thema Ökumene und die Unterschiede der Konfessionen bewegt mich schon länger. Ich bin katholisch aufgewachsen und

lebe jetzt in der ´Diaspora´bei Hannover, meine Kinder sind evangelisch getauft und konfirmiert.

 

Mich stört öfter eine fast ideologische Verblendung – das ist  ein bisschen so wie ein alter Deutschlehrer, der den

Zugang zur Literatur nur unter seiner Deutungshoheit zulassen will. Lass die Literatur bzw. den Glauben doch zuerst

Strahlen, bevor ich ihn gleich mit Dogmatik zuschütte.

 

Frau Greiner will bei einer Hochzeitszeremonie nur widerwillig zulassen, dass der Brautvater die Braut

Zum Altar führt, sie hat auch eine heftige Abneigung gegen das Ave Maria, eines der zentralen Gebete

Der Katholiken.

Mit solchen Mätzchen komme ich in einer Ökumene nicht weiter.

Ich denke, gerade eine solche pastorale Deutungshoheit einer Priesterkaste habe der Protestantismus Immer abgelehnt.

Mit freundlichen Grüssen

Dr. Peter Gerhold

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Ich beziehe mich auf eine Äußerung in chrismon 07.2011

Bischöfin Greiner:"Ja, eine anonyme Bestattung ist auch mit mir nicht zu machen. Gott ruft uns bei unserem Namen, wir haben eine Identität, die in Ewigkeit nicht verlischt."

Wenn ich so etwas lese, ärgere ich mich, denn damit wird eine von vielen Möglichkeiten (der Bestattung) ja gleich ausgeschlossen. Als sich mein Vater vor vielen Jahren ein anonymes Grab wünschte, hatte ich damit keinerlei Probleme. Doch, bei einer Gelegenheit schon: nämlich, als ein Pfarrer mir vehement davon abriet und ich in meiner Trauer auch noch diskutieren sollte; übrigens einer der Gründe, die meine Mutter dazu veranlassten, der Kirche den Rücken zu kehren.

Hier ein lyrischer Text dazu, der vielleicht anregt, sich ein paar Gedanken zum Thema Friedhofskultur (in Deutschland) zu machen:

Anonym

Ihr Name!
Nein, er würde
kein zweites Mal ausgelöscht.
Himmel, was soll die Lüge
von Ewigkeit?

Sieht ganz so aus
diese Buchstabenreihe in Stein.
Zwischendurch brandmarken
Blechschilder echte Kamillen
und Malvengebüsch.
Zur Hölle mit ihnen!

Und dann, wenn zweimal
zehn Jahre den Garten der Toten
durchstreifen, ist wirklich alles vorbei.
Der zweite Tod.
Der Bagger, der Schredder
brechen Serifen
zerschlagen das Kreuz

E IN EDEN

Ihr Name soll nur
auf ein Stück Papier.
Das ist ehrlich;
es gilbt und verwittert, verwest
mit ihr.


M. B. 2011


Ja, Gott ruft uns bei unserem Namen, so sehe ich das auch. Aber er braucht natürlich keine "Gedächtnisstütze" in Form eines Grabsteins dazu. Oder anders: Sobald von Ewigkeit die Rede ist im Zusammenhang mit einer Grabstätte, ist es m. E. pietätlos, diese nach 20 oder 30 Jahren plattzumachen.

Meine Mutter ist inzwischen auch verstorben und, ganz in der Nähe meines Vaters, anonym bestattet. Die Namen meiner Eltern sind in unsere Herzen graviert. Dort gibt es keine Liegezeiten.

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Als SZ-Leser bekomme ich chrismon monatlich mitgeliefert. Je nach meiner Interessenlage lese ich gerne darin. Das Greiner-Roth Interview fand mein Interesse. Dass die Frau Bischöfin den Song "Highway to Hell" und das Ave Maria in etwas auf gleichem Niveau sieht, ärgert mich. Das klassisch-protestantische Vor-Urteil hat selbst gegen pastorales Einfühlungsvermögen keine Chance. Dem Martin L. aus Wittenberg -ein Marienverehrer -  missfiele das.
 

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Wenn alles so einfach wäre, wie Ihre Gesprächspartner darstellen! In unserer kleinen ev. Kirche im Speckgürtel von Frankfurt ist der Abschied von einem Verstorbenen selbstverständlich in der Friedhofskapelle. Falls die Feier in der Kirche stattfinden sollte, ist der Kirchenvorstand einzuberufen und zu befragen. Im übrigen untersteht der Friedhof – wie alle Entsorgung – dem hiesigen Bauhof. Das alles ist so überzeugend zeitaufwendig und pietätvoll, daß man gern auf eine anonyme Bestattung zurückkommt und einen Profi-Redner bestellt, der nicht – wie leider bei Pastoren erlebt – zum Fortbildungsvortrag muß oder mit sämtlichen drei Kollegen zugleich in Urlaub ist.

 

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Fritz Roth kommt mir bekannt vor. In der Sendung mit der Maus gab es mal eine Geschichte zum Thema Tod und Beerdigung. Kann es sein, dass er darin zu sehen ist? Es müsste dieser Film hier sein: https://www.youtube.com/watch?v=Z1YrYjHkI-U
Eine wirklich gute Sachgeschichte. Die Sendung mit der Maus hat hier die Doppelaufgabe, dieses wirklich nicht leicht darstellbare Thema zu präsentieren und Kindern die Berührungsängste zu nehmen, hervorragend gelöst.

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