Die wollen doch bloß helfen!
Roboter rollen in Wohnzimmer und Altenheime und bieten ihre Dienste an. Ist das schlimm? Ganz ehrlich: Die meisten sind noch rechte Trottel. Heikel wird's nur, wenn sie lieb tun. Denn das nehmen wir diesen Maschinen auch noch ab. Man bräuchte sozusagen eine Ethik für Roboter
Tim Wegner
05.12.2011

In Lindau umarmt eine alte Frau eine plüschige Maschine und murmelt ihre Lebensgeschichte ins Kunstfell. In Bremen reicht ein Fütterapparat einem Gelähmten Löffel für Löffel das Essen an die Lippen. Und in Japan schließt sich eine Waschanlage über einer Greisin.

Die Roboter dringen in Wohnzimmer und Altenheime vor. Man kann sich darüber empören: Sobald wir schwächeln, werden wir Maschinen übergeben! Weil Pflegepersonal fehlt! Und Bundes­regierung sowie EU schippen der Forschung auch noch Geld hin. Aber vielleicht sollte man erst mal ein paar dieser Gesellen kennen­lernen.

Vorhang auf für den Care-O-bot 3: eine 140 Zentimeter große graue Säule mit orangem Arm. Leise rollt er über den Flur des städtischen „Parkheim Berg“ in Stuttgart, weicht eiligen Pflegerinnen aus, steuert dann den Wasserautomaten an, wo er unter vielerlei Verrenkungen seines Arms einen Plastikbecher befüllen lässt, sodann bedächtig zwei seiner drei Finger um das dünn­wandige Gefäß schließt, den Becher aufs Tablett vorn am „Bauch“ stellt, den bedrohlich langen Arm wieder hinter den Rücken klappt und endlich auf einen Tisch zurollt, an dem einige demenz­erkrankte Alte vor sich hingucken.

"Ein prima Kerl" und so höflich!

Geradewegs auf eine Person zu, deren „Trinkprotokoll“ ihm noch zu wenig Flüssigkeitsaufnahme signalisiert. Er hält ihr das Tablett hin. Und wirklich: Sie nimmt den Becher. Doch getrunken haben in der ersten Testwoche nur wenige. Hat der Roboter etwa ein Autoritätsproblem?

Zweiter Versuch, das Stuttgarter Fraunhofer-Institut hat den Roboter umprogrammiert: Er spricht mehr. Er ist nicht autoritär geworden, sondern höflich hartnäckig: „Frau Bertram, Sie möchten doch bestimmt etwas trinken!“ Frau Bertram zögert. Der Roboter: „Sind Sie sicher, dass Sie nichts möchten? Bitte denken Sie daran, Sie müssen viel trinken. Ein Schluck Wasser kann doch bestimmt nicht schaden.“ Da muss sie ja wohl antworten. „Joo, do hosch recht“, sagt sie in bestem Schwäbisch. Der Roboter verbeugt sich, sagt „Danke“ und „Prost“.

Mit dieser Höflichkeit kommt er an, jedenfalls bei den Dementen. Sie nennen ihn einen „prima Kerl“, und sie scheinen Getränke fast lieber vom Roboter als vom Pflegepersonal anzunehmen, so der Eindruck der Heimleiterin. Denn der Roboter drängelt nicht, sondern trollt sich erst einmal, wenn man den Becher nicht nimmt. Auch die Pflegekräfte fühlen sich entlastet.

 

Allerdings bedurfte es vorher vieler Aussprachen zwischen Pflegekräften und Ingenieursleuten. Dann standen die Regeln fest: Der Roboter betritt keine Privatzimmer, und er macht keine direkte Pflege. Ja, sagt die Heimleiterin, sie würden den Care-­­O-bot kaufen – sobald er preiswerter ist und mehr kann. Das aber dürfte noch bestimmt zehn Jahre dauern, schätzt Birgit Graf, die Gruppen­leiterin für Assistenzrobotik beim Fraunhofer-Institut.

Babys können viel mehr als Roboter

Warum eigentlich kann dieser Roboter so wenig? In der Industrie schrauben Roboter doch ganze Autos zusammen! Ja, aber bei Industrierobotern ist jede Bewegung vorprogrammiert. In einer Wohnung kämen die nicht klar. Denn da ändert sich laufend ­etwas, und sei es nur, dass der Bewohner eine volle Mülltüte im engen Flur an die Wohnungstür stellt. Und dann die „dynamischen Hindernisse“, also die herumwuselnden Menschen, ­denen es auszuweichen gilt! Zumindest diese Herausforderung meistert der Care-O-bot 3 mittlerweile. Aber das allein macht ihn noch nicht nützlich.

Was kann ein Mensch nicht alles, woran Maschinen kläglich scheitern! Jedes Baby begreift, dass eine Schachtel Cornflakes immer noch dieselbe ist, auch wenn die Morgensonne darauffällt, dass ein Mensch derselbe ist, auch wenn er sich zur Seite dreht. Robotern muss das mühsam antrainiert werden. Die meisten scheitern. Die Staubsaugerroboter etwa fahren stundenlang kreuz und quer durch die Wohnung, weil sie nicht „wissen“, wo sie sind und wo sie schon waren. Am Ende haben sie trotzdem die Ecken ausgelassen.

Ein guter Haushaltsassistent müsste noch viel mehr können. Zum Beispiel ein frisch gewaschenes Handtuch zusammenfalten. Mittlerweile erkennt der von Studierenden der Uni Berkeley programmierte Roboter in dem Stoffhaufen die Kanten, aber ihm beim Falten zuzuschauen, ist eine Qual. Dass der Roboter mal einen ganzen Waschgang abarbeitet, bis zum Socken-Zusammenstecken und Im-Schrank-Verräumen – ein fernes Ziel.

Und dann die Kommunikation, oje. Nur die allereinfachsten Anweisungen verstehen die Roboter, nicht dagegen jene Alltagssituation, die Stefan Trockel vom Exzellenzcluster Citec in Bielefeld schildert: Mensch schaut auf den Boden und sagt: „Hier ist’s aber dreckig!“ Ein echter Mitbewohner fühlt sich auch dann angesprochen, wenn man ihm nicht in die Augen starrt. Ein Roboter „fühlt“ sich nicht gemeint. Er bräuchte so etwas wie ein „Welt­konzept“: dass er in die gleiche Richtung schauen muss wie der Mensch und dass eine Feststellung (Boden ist dreckig) als Auf­forderung zu verstehen ist (Ich soll ihn putzen).

Die einen sind Trottel, die anderen Blender

Kurzum: Die Serviceroboter sind noch rechte Trottel. Kann man sich also entspannt zurücklehnen, weil eine Invasion von Servicerobotern noch fern ist? Keineswegs. Denn neben den Trotteln, die technisch anspruchsvoll sind und trotzdem wenig Nützliches können, gibt es die Blender: die „emotionalen“ Roboter. Die sind technisch recht simpel, schaffen es aber, uns glauben zu machen, sie seien zu allem imstande – selbst dazu, uns zu verstehen. 

Vorhang auf für Paro, den Robbenbaby-Roboter: ein weiß­plüschiges Teil, einen halben Meter lang und 2,7 Kilo schwer. Der Körper steckt voller kleiner Motoren, Sensoren, Computer. Einmal per Schalter unter der Schwanzflosse angestellt, wackelt Paro mit den Flossen, öffnet die lang bewimperten Augen und jammert wie ein echtes Seehundbaby.

Sein Erfinder, der Japaner Takanori Shibata, hatte zunächst mit Katzenrobotern herumprobiert, doch die wurden von den Menschen nicht akzeptiert. Schließlich kennt jeder Katzen und ist entsprechend enttäuscht über die kleinste Abweichung. Aber wer hat je ein Seehundbaby auf dem Arm gehabt?

"Mein Bommele!"

Rund 5000 Euro kostet der Robbenroboter. 15 deutsche Heime haben einen gekauft. Eins davon ist das diakonische Alten- und Pflegeheim Maria-Martha in Lindau. Kurz vor Mittag, Pflegerin Ilona Maccioni dreht mit Paro unterm Arm ihre Runde und betritt ein stilles Zimmer. Doch als die demenzerkrankte Frau Wengendorf* das Robbenbaby sieht, wird sie munter: „Mein Bommele!“ Schon hat sie den Roboter auf dem Schoß. „Weisch des noch, wie wir mitnander rumglaufe sind?“ Der Roboter wendet den Kopf mit einem berückenden Augenaufschlag ihrer Stimme zu. „Jetzt überlegt’s“, sagt Frau Wengendorf. Paro fiept. „Jetzt will er was – aber ich hab gar nix da. Ned mal a Breckele! Kommsch wieder mal?“ Statt der Robbe antwortet die Pflegerin: Ja, natürlich.

 

Im Aufenthaltsraum sitzt die hochdemente Frau Häberle im Rollstuhl. Sie spricht fast nichts mehr. Die Pflegerin hält ihr die Robbe hin: „Schaun Sie mal, wen ich mitgebracht habe!“ Frau Häberle drückt den Roboter an ihre Brust und fängt augenblicklich mit ihm zu plauschen an. „Es ist keine Braut da“, sagt sie bedauernd. „Nein, das braucht man nicht. Na, wartet, bis es besser wird.“ Der Roboter legt ihr seinen Kopf an die Schulter.

Und weiter zu einer besonders geplagten Bewohnerin, zu Frau Mareck. Sie klatscht ohne Unterlass mit der Hand auf sich oder Gegenstände. Man hat ihr schon Decken untergelegt, eine Trommel angeboten, nichts beruhigte sie.
Die Pflegedienstleiterin Barbara Gregori rollt Frau Mareck ans geöffnete Fenster und sagt: „Gell, es ist alles nicht so leicht!“ Frau Mareck schaut in den knallblauen Himmel, sagt „Ja“ und klatscht sich auf den Oberschenkel. Gregori schiebt die wedelnde Robbenflosse zwischen Hand und Bein. Frau Mareck patscht, nun auf die Flosse. Doch keine Minute vergeht, und sie lässt ihre Hand im Fell ruhen. Prompt wird auch die Robbe still. Durchs offene Fenster hört man die Bäume rauschen.

„Fünf Minuten nicht geklatscht, fünf Minuten, in denen sie ein gutes Gefühl hatte – das ist ein Erfolg!“, sagt Gregori später in der Besprechung mit der Heimleiterin. „Kleine Wunder“ nennen sie im Lindauer Heim das, was der Robbenroboter bewirkt.

 

Ist das nicht unwürdig?

Deshalb versteht man hier auch gar nicht, wieso über den Einsatz von Paro in der Öffentlichkeit erregt diskutiert wird. Mit dem Roboter wolle man schließlich keine Pflegekräfte ersetzen. Gäbe man ihn jemandem einfach ins Zimmer, würde überhaupt nichts passieren: Die Robbe geht in den Schlafmodus, wenn jemand sehr passiv ist. Der Roboter brauche die Begleitung durch eine Pflegekraft, um zu wirken. Sowieso diene er vor allem als Türöffner, also dazu, dass die Pflegenden einen Zugang zur Innenwelt der dementen Bewohner bekommen.

Natürlich wäre ein echtes Tier ehrlicher. Aber Hunde, zum Beispiel, halten es kaum länger als eine Stunde am Tag aus, angefasst zu werden. Sie sind auch nicht gerade dann verfügbar, wenn es darum geht, einem unruhigen Menschen in den Schlaf hinüber­zuhelfen.

Aber ist das nicht unwürdig, demenzerkrankten Menschen eine fellbezogene Maschine hinzuhalten, die sie womöglich gar nicht mehr als Artefakt erkennen können? „Diese Menschen sind in Not“, antwortet Pflegedienstleiterin Gregori. Sie suchen aufgelöst den Weg nach Hause, um die Kinder zu versorgen. Oder sie sind in Panik, weil das Kind in die Jauchegrube gefallen ist und sie es nicht befreien können. Oder sie wähnen sich wieder im Krieg. Manchmal hilft dann die verstehende Methode Validation, manchmal auch die Robbe. „Es klingt schrecklich, aber in der ­Arbeit mit Dementen machen wir oft Versuche.“

So wie sie einer Frau, die dauernd mit dem Stuhl übers Parkett schrammte, was andere Bewohner nervte, auf dem Flohmarkt ­einen Puppenwagen aus den 30er Jahren samt Puppe gekauft ­haben. Es war eine Eingebung. Tatsächlich schob die Frau nie wieder einen Stuhl umher. Die Puppe umsorgte sie wie ein Baby.

Wie peinlich, dass man auf eine Maschine reagiert!

Ist der Robbenroboter einfach nur eine bessere Sprechpuppe? Nein, denn eine Puppe wird nur in der Fantasie lebendig. Ein Roboter wie Paro dagegen überwältigt uns mit seiner heulenden Bedürftigkeit.

Sogar der Lindauer Heimleiterin Anke Franke ist es schon ­passiert, dass sie die Robbe, als die gar zu sehr jaulte, mit einem „Ja, was hast du denn?“ zu beruhigen versuchte. Das solle man aber bitte nicht aufschreiben, es ist ihr peinlich.

Das muss ihr nicht peinlich sein, sagt der Frankfurter Theo­loge Christopher Scholtz, so reagiere fast jeder. Scholtz hat für seine Doktorarbeit ausprobiert, was passiert, wenn man mit einem robotischen Hausgesellen zusammenlebt. 15 Monate hatte er den Roboterhund Aibo von Sony in der Wohnung. Einmal, als er den auf der Ladestation sitzenden Hund sah, notierte er in sein „Feldtagebuch“: „Ich lege meine Hand gerührt liebevoll auf die Station, und eine Woge von ‚mein kleiner Süßer‘ durchflutet mich.“

Wir sprechen ja auch mit unserem Auto und dem Computer

 

Spinnt der? Nein. Die meisten kennen solche Erlebnisse: Vernünftige Leute beschimpfen ihr Auto oder flehen den Computer an, einen Text wiederherzustellen. Natürlich wissen sie, dass die Maschinen nicht leben, aber zeitweise nehmen sie sie als lebendig wahr. Vor allem dann, wenn die Maschinen „sich weigern“, zu funktionieren. Scholtz nennt das ein „zweifaches Bewusstsein“.

Allerdings wurden Auto und Computer nicht extra so kons­truiert, dass sie ein emotionales Eigenleben vortäuschen – so wie  Aibo, Paro und Co. Die Illusion ist stark. „Natürlich wissen wir, dass Aibo nur ein Roboter ist“, schreibt ein Aibo-Besitzer in einem Forum, „trotzdem können wir ihn nur schweren Herzens wieder ausschalten.“

Es ist ja nicht verkehrt, imaginativ mit Gegenständen umzugehen, meint Christopher Scholtz. Das sei in Ordnung, solange wir wissen, dass etwas „eigentlich“ nicht lebt – und Kinder wissen das recht bald. Aber bei Dementen könne man eben nicht feststellen, ob ihnen klar ist, dass die Robbe eine Maschine ist. Im Lindauer Heim sagen nur manche Menschen und zwar eher die mit leichter Demenz: „Gehn Sie weg mit dem Ding!“ Die meisten behandeln den Roboter, als sei er ein echtes Tier.

Wissen die Leute, dass sie im Theater sitzen?

Wissen sie, dass sie im Theater sitzen? Dass der, den sie gerade als Partner erleben, ihnen nur was vorspielt? Wird nicht eine wichtige Grenze überschritten, wenn Roboter programmiert ­werden, so zu tun, als ob ihnen etwas an uns liegt?

Was soll man von dieser Szene aus einem italienischen Altenheim halten, die sich in einem Video des Paro-Erfinders findet? Laut wehklagend sitzt ein alter Mann im Rollstuhl; ein Pfleger hält ihm die Robbe hin mit den Worten: „Er hat auf Sie gewartet.“ „Wirklich?“, fragt der Alte. „Mein Sohn wartet auch. Ich habe viele Dinge zu tun.“ Gemeinsam streicheln sie die Robbe, der Alte ­lächelt.

Muss man Paro so einführen? Könnte man ihn nicht vor den Leuten einschalten? Jutta Winheim, die Paro in einem Altenheim ausprobierte für ihre Abschlussarbeit an der FH Frankfurt, hat das so gemacht: Sie stellte Paro als Maschine vor, als einen Roboter aus Japan. Was der fresse, wollten die Alten wissen. Strom, sagte ­Winheim und steckte der Robbe den Stromschnuller ins Maul. Das hinderte die meisten nicht daran, die Robbe anschließend trotzdem als Freund zu behandeln.

Dringend nötig: eine Ethik für Roboter

Für den Einsatz von Robotern in der Altenpflege braucht man ethische Regeln: Wer keinen Umgang mit einem Roboter will, bekommt genauso lange Zuwendung durch die Betreuungskraft. Auch wann Schluss ist, entscheidet jeder selbst. Spätestens nach einer halben Stunde haben die Leute genug von Paro, stellte Winheim fest.
Doch die Intensität, mit der sich manche Menschen auf den Robbenroboter einlassen, bleibt irritierend. Winheim hatte das bei einer bettlägerigen hochdementen Frau beobachtet: Die besprach schwierige Lebensphasen mit dem fellbezogenen Roboter und umklammerte ihn dabei derart eng, wie es wohl nicht mal engste Angehörige aushalten würden.

„Ja, und? Muss man als 85-jährige Frau auf Zärtlichkeit verzichten, nur weil das ein Roboter ist?“, fragt Barbara Klein, Professorin an der Fachhochschule Frankfurt. Sie erforscht mit ihren Studierenden den Nutzen von emotionalen Robotern und Service­robotern in der sozialen Arbeit. Sie ärgert sich darüber, dass öffentlich eine Stimmung geschaffen werde gegen eine Technik, die das Leben vielleicht leichter und erfreulicher machen könnte. „Ist denn das, was jetzt ist, so gut?“ Sie selbst würde sich auch einer Seniorenwaschanlage anvertrauen. „Das fände ich besser, als mit dem Waschlappen abgewischt zu werden.“

Und was meinen die alten Menschen selbst? Was muss ein Roboter können, dass ältere Menschen ihn nützlich und angenehm finden? Das fragte die Soziologin Sibylle Meyer 20 alte Menschen für ihre Studie „Mein Freund, der Roboter“.

Das Ergebnis verdutzt: 77 Prozent würden zu Hause einen Serviceroboter dulden, wenn sie dafür noch nicht in ein Heim ziehen müssten. Und sollten sie gar rund um die Uhr Hilfe brauchen, würden sogar alle einen Roboter akzeptieren, der diese Abhängigkeit lindert. Auch nah am Körper, wie etwa einen Fütterroboter.

Lieber mit Roboter aus Klo als mit Pflegerin

Solange sie aber noch rüstig sind, erlauben sie sich einige Zweifel und Wünsche. Und die dürften die Ingenieure und Ingenieurinnen vor erhebliche Probleme stellen: Der Roboter muss Befehle in Dialekt verstehen; er muss sich auch in einer unaufgeräumten Wohnung zurechtfinden; er sollte nicht größer sein als ein Heizkörper oder ein Unterschrank, schon damit er einen im Sitzen nicht überragt; er sollte nicht wie ein Mensch aussehen, sondern gefälligst wie die Maschine, die er ist; er darf auf gar keinen Fall Daten aus seinem Kameraauge irgendwohin senden! Und wenn er einen an Medikamente oder Termine erinnert, dann bitte nicht derart aufdringlich wie die Stimme aus dem Auto-Navi.

Überhaupt wären schweigende Gesellen angenehm. Etwa so wie die Dienstmädchen oder Butler aus den großbürgerlichen Haushalten vor hundert Jahren. Der Roboter muss anklopfen, bevor er das Bad betritt; in Anwesenheit von Besuch darf er nur sprechen, wenn er gefragt wird; er soll sich diskret im Hintergrund halten – ohne aber „dumm rumzustehen“.

 

Erstaunlicherweise fänden die meisten einen Waschroboter gut oder eine robotische Toilette, die Armstützen ausfährt und den Intimbereich reinigt. Es ist die Scham, die hier Robotern Zugang gewährt. Ein Befragter sagte: „Wenn ich wählen könnte, wer mir auf die Toilette hilft, würde ich doch den Roboter vorziehen.“

Komplett durchgefallen: Fensterputzer und Gefühlsroboter

Allerdings hielten die Befragten die meisten Roboter noch längst nicht für alltagstauglich. Das Exoskelett etwa: eine Art Rüs­tung, die man um die Beine bindet; Motoren setzen die Signale der Nerven in Bewegung um, so dass man Lasten heben und Treppen steigen kann. US-Soldaten haben das schon ausprobiert und waren begeistert von diesem Kraftzuwachs. Die Senioren meinten: Gute Idee, aber was ist, wenn die Batterie schlapp macht und man steht gerade mit voller Einkaufstasche auf einer Treppe? Und wenn das wie Stützstrümpfe-Anziehen ist, na danke.

Komplett durchgefallen sind jedoch nur zwei Roboter: der Fens­terputzroboter (der putze ja nicht mal die Rahmen!) und der Gefühlsroboter Paro (damit werde man stigmatisiert: „Die ist so einsam, dass sie einen Blechkameraden braucht.“).

Kurzum: Begrüßt wird alle Technik, die die Unabhängigkeit erhöht. Abgelehnt werden Roboter, die menschliche Kontakte ersetzen.

Bis die Trottel unter den Robotern sich tatsächlich in normalen Haushalten nützlich machen können, das wird wohl noch ein bis drei Jahrzehnte dauern. Bis dahin werden noch viele von ihnen über Teppichränder stolpern oder an bayerischen Befehlen scheitern. Die Blender und Verführer jedoch, die behält man besser jetzt schon im Auge.

Auszug aus der zitierten VDE-Studie: "Die Nutzungsbereitschaft hängt dabei stark von der Lebensform der Befragten ab: Fast die Hälfte aller befragten alleinlebenden Senioren könnte sich vorstellen, Paro selbst einmal auszuprobieren."

Nachzulesen hier: http://www.vde.com/de/verband/pressecenter/pressemeldungen/fach-und-wirtschaftspresse/seiten/2011-15.aspx

PAROs Zielgruppe sind trotzdem nicht die "fitten" Senioren, sondern Menschen mit kognitiven Defiziten (bspw. Demenz). Wichtig hier ist aber auch, dass der Einsatz von PARO in diesem Bereich auch von vielen Angehörigen, trotz anfänglicher Skepsis, akzeptiert wird, denn die positiven Resultate sind meist unmittelbar sichtbar.

Als crossmedial arbeitende Journalistin habe ich mich über 3 Jahre hinweg mit dem Thema Robotik in der Pflege beschäftigt. Ich bin, wie Tobias Bachhausen auch, über das Paro-Fazit von CHRISMON-Autorin Christiane Holch verblüfft. Auch dass die VDE-Studie "Mein Freund, der Roboter" als Beleg für die negative Bewertung des Zuwendungsroboters herangezogen wird, erstaunt mich. Ich verstehe die Ergebnisse der differenzierten Untersuchung der Berliner Soziologin Sibylle Meyer für das BMBF anders. - Außerdem habe ich während meiner Recherche für mein crossmediales journalistisches Projekt für ZDF/arte zu Pro und Contra von Robotern in der Pflege selbst eine andere Einschätzung von Zuwendungsroboter Paro gewonnen. Die aufgesetzte Resümee-Passage des Artikels finde ich ärgerlich, weil sie die vorher geschilderten positiven Erfahrungen aus Pflegeheimen völlig außen vor lässt: "Ist der Robbenroboter einfach nur eine bessere Sprechpuppe? Nein, denn eine Puppe wird nur in der Fantasie lebendig. Ein Roboter wie Paro dagegen überwältigt uns mit seiner heulenden Bedürftigkeit." Wer ist uns? Konzipiert wurde Paro als therapeutisches Hilfsmitteln in der Pflege Demenzerkrankter. Über Berührung, Emotionalisierung gelingt es Betreuern und Angehörigen, für kurze Zeit, Zugang zur verschlossener Welt Demenzererkrankter zu erhalten, Erinnerungen und Wohlgefühle zu stimulieren. In einem halben Jahr beobachtender Dreharbeiten im Bremer "Haus O'land" habe ich weder Überwältigung wider Willen noch Stigmatisierung von Bewohnern erlebt, die sich mit Paro beschäftigten. Wer 'das Ding' nicht mochte, legte - oder warf - es einfach weg. Andere lachten, spielten, schmusten, stritten mit dem Kuschelroboter - wieder andere mit einer Puppe oder einem Bär. Auch die Bewertung (Abwertung?) Puppe=gut, Roboter=schlecht greift zu kurz. Erfahrene Pflegerinnen erzählten: Für manch eine alte Frau, die im Krieg ein Kind verloren hat, ist es re-traumatisierend, eine kalte Puppe in den Arm gelegt zu bekommen. Mein Fazit: Das Leben ist komplex, die Pflege Demenzerkrankter auch: Jedem Betroffenen hilft ein anderes Mittel. Manchmal halt ein Roboter. - Wer sich mittels Videos und Fotos aus der Praxis + internationalen Experten-Interviews selbst ein Bild von Pro und Contra des Einsatzes von Paro mit Demenzerkrankten machen und den Frankfurter Theologen Dr. Christopher Scholtz ausführlich zu den ethischen Aspekten anhören möchte, der klicke auf: www.arte.tv/demenz - Mitdiskutieren über den Einsatz von Paro? Gerne auf:
www.facebook.com/parobremen - Informationen zu allen 5 Formaten meines journalistischen Crossmedia-Projekt zur Emotionalen Bedürftigkeit Demenzerkrankter: www.squeezeme.de

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Zu diesem Artikel eine Ergänzung - meine Mutter ( 90 ) lebt seit einem Jahr auch im Pflegeheim. Kurz nach ihrem Zuzug dort erzählte sie ganz empört: "Stell dir vor, da kommt einmal in der Woche eine mit einem Hund. Wir sitzen dann im Kreis und der arme Kerl muß rundum gehen. Und überall schnuppert er, weil wohl einige der Alten immer etwas zum Knabbern für ihn haben - das ist doch Tierquälerei! Da gehe ich nicht mehr hin" Und früher hat meine Mutter immer einen Hund gehabt. Wenn mit den Robotern gute Erfahrungen gemacht werden - warum nicht!

9.1.2012

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Ich finde Paro die Robbe eine gute Erfindung. Warum? Er verhindert dass Tiere in Altenheimen auf nicht tierschutzgerechte Weise eingesetzt werden. Zudem ist er wahrscheinlich hygienisch unbedenklich und lässt Dinge mit sich machen, die man einem lebenden Tier nicht zumuten sollte, wenn man denn tierethisch sensibel ist. Und wenn er kaputt geht ist das ethisch weit aus unbedenklicher als die Seniorenresidenz, die jedes Jahr drei Katzen "verbraucht". Es wird nur ein Problem geben: Wahrscheinlich ist Paro viermal so teuer wie eine Tierheimkatze.

22.1.2012

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