"Die Selbstbestimmung stärken"
Hans Lilie lehrt unter anderem Straf- und Medizinrecht an der Martin-Luther-Uni Halle-Wittenberg und ist Vorsitzender der Bundesärztekammer-Kommission für Organtransplantation
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
15.02.2011

Die EU will die Bedingungen für Organspenden vereinheitlichen. Wie ändert sich das deutsche Recht?

Kaum. Die Kompetenzen der EU sind da sehr begrenzt. Es geht in der aktuellen Richtlinie daher auch nur um die Qualitäts- und Sicherheitsstandards. Für den einzelnen Bürger ändert sich da nichts spürbar.

Bei uns spendet, wer einen Spenderausweis bei sich trägt. Was spricht für die Zustimmungsregel?

Sie geht vom Prinzip der Selbstbestimmung aus. Aufgrund dieses Verfassungsrechts entscheiden wir auch darüber, was mit unserem Körper nach dem Tod geschieht. Übrigens auch, wenn jemand für sich eine Feuer- oder Seebestattung wünscht. Das Selbstbestimmungsrecht wirkt eben über den Tod hinaus.

Es werden aber auch die Angehörigen befragt, wenn der Betroffene keine Erklärung abgegeben hat!

...um zu erfahren, ob sie den Willen des Verstorbenen kennen. Oder ob sie aus anderen Äußerungen ableiten können, was sein Wille gewesen wäre. Wenn das nicht ermittelbar ist, können die Angehörigen eine Erklärung für oder gegen die Organspende abgeben.

Auch in Spanien, wo alle ohne ausdrücklichen ­Widerspruch potenzielle Spender sind, werden die Verwandten in die Entscheidung einbezogen.

Das ist überall so, weil man die Organe schon aus Pietätsgründen sonst nicht entnehmen könnte.

Wie groß ist der Unterschied der beiden Regelungen in der Praxis wirklich?

Das Geheimnis des spanischen Erfolgs beruht nicht auf der Widerspruchslösung, sondern auf den Transplantationsbeauftragten. In spanischen Krankenhäusern werben angemessen bezahlte Ärzte um Organspenden und machen potenzielle Spender ausfindig.

Hätte es einen Einfluss auf die Zahl der bereitwilligen Organspender, wenn wir in Deutschland die Widerspruchslösung einführen würden?

Das ist schwer zu beziffern. Wir hatten diese Diskussion ja schon in den 1970er und 1990er Jahren. Damals kam man von der Widerspruchslösung ab, weil man befürchtete, dass viele Patienten vorsorglich ­Widersprüche einlegen, um das Thema von sich zu schieben. Und wer einmal den Widerspruch eingelegt hat, bei dem kommt man im Todesfall auch nicht mehr davon weg. Bei der erweiterten Zustimmungslösung haben wir bei denen, die keine Erklärung abgegeben haben, ja auch noch die Möglichkeit, die Angehörigen zu fragen. Ich wäre dafür, das Selbstbestimmungsrecht wie bei der Patientenverfügung noch stärker in den Vordergrund zu rücken. Eine ­stärkere Verquickung von Patientenverfügung und Organspenderausweis würde sicherlich helfen, mehr Bewusstsein für Organspende zu schaffen.

Was halten Sie von Bonuspunkten bei der Organvergabe für Menschen mit Spenderausweis?

Wenig. Sie können ja jederzeit Ihre Meinung bezüglich der Organspende ändern. In der Wirklichkeit funktionieren die Bonusmodelle nicht, auch weil man Dringlichkeit und Erfolgsausaussicht des Kranken so nicht abbilden kann.

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