Illustraton: Marco Wagner
Zukunftsweisend und schicksalsgeplagt
Der Frankfurter Arzt Johann Christian Senckenberg begründete mit seinem Geld und Wissen ein zukunftsweisendes Krankenhauswesen
18.03.2011

Am 11. September 1749 schrieben vier Ärzte in Frankfurt am Main, unter ihnen Johann Christian Senckenberg, einen bitterbösen Brief an den Stadtrat. Der solle endlich den kaiserlichen Auftrag ausführen und das Gesundheitswesen verbessern, forderten sie. Durch seine ­Politik stünde die Gesundheit der Stadtbewohner auf dem Spiel. Auslöser für die Wut der Ärzte war die Ernennung eines Stadt-­Accoucheurs (Geburtshelfer) über ihre Köpfe hinweg. Dieser sei fachlich ungeeignet, die Hebammen auszubilden, klagten sie.

Doch die Stadträte galten als korrupt: Konzessionen vergaben sie gegen Geld. Am schlimmsten war es während der ­Messen: Dann ließen sie vieles zu, was sonst ver­boten war. Scharlatane und Quacksalber kamen in die Stadt, zogen faule Zähne, ­stachen den grauen Star, versprachen ihren Kunden das Blaue vom Himmel. Es kam zu Todesfällen, vergeblich bemühten sich die Ärzte, die Einreise der Betrüger zu verhindern. Überhaupt erwies sich der Stadtrat als taub gegenüber Anregungen.

Frankfurts Gesundheitswesen bedurfte dringend einer Verbesserung


Senckenberg, selbst Sohn eines namhaften Frankfurter Arztes, war es ein echtes Anliegen, das Frankfurter Gesundheits­wesen zu verbessern. Aber wie? Schon 1746 sprach er mit einem befreundeten Arzt über seine Idee, sein Elternhaus und eine größere Geldsumme den Armen und Arztwitwen zu spenden und die medizinische Wissenschaft in Frankfurt zu fördern. Zu einer ärztlichen Ausbildung gehörten doch die Naturwissenschaften! Frankfurt hatte damals noch keine Universität, Senckenberg hat deshalb in Halle und Göttingen Medizin studiert.

Als er am 7. Juni 1742 die Juweliers­tochter Johanna Rebecca Riese heiratete, begann für ihn die wohl glücklichste Zeit seines Lebens. War er die Jahre zuvor in sich gekehrt, blühte er nun auf. Doch schon ein Jahr später erlag Johanna nach der ­Geburt ihrer Tochter dem Kindbettfieber. Senckenberg sah hilflos zu. Viele Mütter starben damals an Infektionskrankheiten, denn die Hebammen wuschen sich vor der Entbindung nicht einmal die Hände. Zwei Jahre später starb auch die Tochter. Aus einer zweiten Ehe ging ein Sohn hervor, die dritte Ehe blieb kinderlos. Auch diese Ehefrauen und der Sohn starben.

Umso entschlossener wurde Senckenberg, die ärztliche Versorgung der Frankfurter zu verbessern. Sein ärztliches En­gagement verstand der Pietist zugleich als frommes Gotteswerk. Für ihn waren Krankheiten eine Folge der Sünde. Doch, so glaubte er, Gott hatte die Ärzte befähigt, das Leiden der Sünder zu lindern.

Schluss mit hoffnungslosen Hospizen, die Kranke nur verwahrten!


Am 18. August 1763 war der große ­Moment gekommen: Senckenberg unterzeichnete den „Hauptstiftungsbrief“. 95 000 Gulden übertrug er der Stiftung, ein Vermögen. Zwei Jahre später erweiterte er seine ursprüngliche Idee, die wissenschaftliche Ausbildung der Ärzte voran­zutreiben: Ein Bürgerhospital sollte ent­stehen! Schluss mit den hoffnungslosen Hospizen, die Kranke kaum mehr als verwahrten. Die Menschen sollten kostenlos nach allen ­Regeln der Kunst gesund gepflegt werden. Den Frankfurtern behagte dieser Gedanke zunächst kaum, galt das bislang einzige Krankenhaus doch als „Pforte zum Tode“, in dem nur arme Schlucker und Auswärtige zu Tode darbten.

Doch Senckenberg gewann etliche Stifter hinzu. Mit Hilfe seines Bruders, eines Anwalts, schützte er seine Stiftung vor dem Zugriff der Stadt. Zu Recht, wie sich herausstellte, plante der Stadtrat doch schon, nach Senckenbergs Tod die leeren Stadtkassen mit dessen Gulden aufzu­füllen. Bis heute ist das Bürgerhospital im Besitz der Stiftung, die anderen Institute gingen in die 1914 gegründete Universität über. Übrigens: Die Senckenbergische Natur­for­schende Gesellschaft, aus der heraus auch das Senckenbergmuseum entstand, ging nicht auf seine Initiative zurück, sondern benannte sich 1817 nur nach ihm.

Die Fertigstellung des Bürgerhospitals erlebte Senckenberg nicht mehr. Am 15. November 1772 erkundete der agile 65-­Jährige die Baustelle. Er bestieg das Bau­gerüst des Uhrtürmchens und blickte auf sein Lebenswerk, die „Dr. Senckenbergische Stiftung“ hinab. Anatomiegebäude, medi­zinischer Garten, Gewächshaus und das im Bau befindliche Bürgerhospital. Ein Fehltritt, ein plötzlicher Schwindelanfall? Senckenberg stürzte in die Tiefe und starb noch am selben Abend.

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Plain text

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
Wählen Sie bitte aus den Symbolen die/den/das Rakete aus.
Mit dieser Aufforderung versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt.