Fürs Krippenspiel wird eifrig geprobt. Evangelisch sind nicht alle Kinder. In die Kirche kommen auch viele Katholiken - und Muslime

Klein ist sie, die deutschsprachige evangelische Gemeinde in ­Bolivien. Sie umfasst keine 100 Familien. Etwa die Hälfte davon wohnt wie ich in La Paz, die anderen leben in der 350 Kilometer entfernten Stadt Cochabamba oder in Santa Cruz (900 Kilometer). Als Pfarrer fliegt man viermal im Jahr dorthin, um Gottes­dienst zu halten. Und lässt sich von den Klimasprüngen über­raschen. La Paz liegt in 3600 Meter Höhe, Santa Cruz in den Tropen. Auch an Weihnachten gibt es dort Temperaturen um die 30 Grad Celsius.

Deutsche Unternehmer hatten seit dem 19. Jahrhundert in ­Bolivien Industrie, Bergbau und Landwirtschaft gefördert und die Infrastruktur des Landes ausgebaut. Ihre Familien waren oft über mehrere Generationen im Land. Für die Gottesdienste ließen die Deutschen anfangs noch einen Pfarrer aus Santiago de Chile einfliegen, bis sie in den 1950er Jahren selbst eine Gemeinde gründeten. Sie übernahmen die Finanzierung eines hauptamtlichen Pfarrers und bauten mit viel Engagement das Pfarrhaus und die Kirche. Seit einigen Jahrzehnten schrumpft die Gemeinde vor allem in La Paz stark. 1994 hatte sie noch 70 Familien, derzeit 45. Heute kommen Deutsche meist für ein bis drei Jahre her: Mitarbeiter der Entwicklungsdienste, Lehrer an der deutschen Schule oder Repräsentanten deutscher Firmen. Sie und ihre Familien finden oft nicht den Weg in die Gemeinde. Hauptamtliche Pfarrer kann sie sich nicht mehr leisten. Seit einigen Jahren beauftragt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) Ruhestandspfarrer für jeweils ein Jahr. So kam auch ich im April 2010 hierher. Ideal ist diese Lösung nicht: Kaum wird die Gemeinde mit einem ­Pfarrer vertraut, muss er wieder weg.

90 Prozent Katholiken

Trotzdem: Der Sonntagsgottesdienst, der alle zwei Wochen stattfindet, ist mit etwa 20 Personen gut besucht. An Weihnachten wird die Kirche natürlich voller sein. Wir werden sie mit ein­heimischen Pinien dekorieren, der Chor wird singen, und eine Japanerin wird musizieren. Sachiko ist Konzertorganistin und übt auf unserer Orgel, die eine der besten in ganz La Paz ist. Fürs Krippenspiel proben die Kinder schon eifrig. Nur wenige von ihnen sind übrigens evangelisch. Die meisten sind Katholiken, einzelne Muslime. Das spiegelt in etwa die Verhältnisse im Land wider. Rund 90 Prozent der Bevölkerung sind katholisch. Etwa fünf Prozent gehören anderen christlichen Gemeinschaften, dem Islam oder Urreligionen an.

Wir arbeiten eng mit der deutschsprachigen katholischen Gemeinde zusammen, die noch kleiner als unsere ist. Es gibt einen gemeinsamen Gesprächskreis und ökumenische Gottesdienste. In unsere Kirche kommen immer wieder Katholiken. Was ihnen an der Liturgie fehlt, holen sie sich bei der katholischen Messe, die Padre José einmal im Monat feiert. Der 72-jährige Priester aus Rottweil ist hier einer meiner besten Freunde. In meiner ersten Woche, als ich noch einsam und etwas hilflos im kalten Pfarrhaus saß, kam er vorbei, um mit mir Bier zu trinken. Hauptsächlich kümmert sich José um Arco Iris, ein Hilfswerk für Straßenkinder. Es betreibt Übernachtungsheime und Mittagsküchen, die Mitarbeiter betreuen mehr als 3000 Kinder.

Auf dem Hexenmarkt

In Bolivien begeistert mich vor allem die Herzlichkeit der indigenen Einwohner. Die meisten sind sehr interessiert, geduldig und offen. Wir lachen viel zusammen. Neulich war ich mit meiner Frau und einer Freundin auf dem sogenannten Hexenmarkt. Die Händler verkaufen hier Alpaca- und Silberwaren, Textilien, aber auch getrocknete Lama-Föten. Die werden beim Hausbau ins Fundament eingemauert - als Opfer für die Fruchtbarkeits- und Erdgöttin Pachamama. Der Markt war übervoll. Meine beiden Damen waren zwischen den Ständen verschwunden, sie hatten das Geld dabei. Ein Straßenhändler wollte mir Fossilien verkaufen. Ich setzte mich neben ihn und sagte: "Ich bin pleite, ich bin mit ­meinen zwei Frauen hier." Da schaute er mich erschrocken an und stöhnte: "Zwei Frauen? Armer Mann!"

Der Hexenmarkt ist malerisch, was aber nicht über die Armut der Händler und Bettler hinwegtäuscht. Bolivien ist eines der ärmsten Länder Südamerikas. Der Bergbau, einer der wichtigsten Wirtschaftszweige, hat durch den Verfall der Rohstoffpreise und die zunehmende Erschöpfung der Rohstoffquellen drastisch abgenommen. Viele Minen mussten schließen. In den vergangenen Jahrzehnten kamen extrem viele Landflüchtlinge nach La Paz, meist entlassene Minenarbeiter. Viele Zugezogene haben sich an den Berghängen des riesigen Talkessels, in dem La Paz liegt, angesiedelt. Sie haben sich einfache Ziegelhütten gebaut, ohne Strom und Wasser. In der Regenzeit, wenn die Fluten Sand und Geröll abschwemmen, werden dort Menschen samt ihren Häusern mitgerissen und sterben. Neuankömmlinge ziehen auch nach El Alto, einen ehemaligen Randbezirk. Dort hat sich die ­Bevölkerung in den vergangenen zwei Jahrzehnten mehr als ­verdoppelt. Heute lebt hier eine Million Menschen in ärmlichen Verhältnissen.

Hilfe für Campesinos

Bedrohlich ist die Situation auch in Altiplano, der kargen Hoch­ebene in Westbolivien. Hier leben die Campesinos (Kleinbauern) unter dem Existenzminimum. Einige Minenbetreiber in der Region sparen sich die Aufbereitung der hochgiftigen Abwässer aus der Erzgewinnung und -veredelung. Das ungeklärte Wasser gelangt in die Flüsse, aus denen die Campesinos ihr Wasser schöpfen - unter anderem, um ihre Felder zu bestellen.

Vor 25 Jahren gründete unsere Gemeinde das Sozialwerk "Sartawi Sayariy". Die Ziele: den Kommunen von Altiplano sauberes Wasser zu erschließen, die Zucht von Milchkühen und Molkereibetrieb zu ermög­lichen, die Infrastruktur zu verbessern. Inzwischen sind haupt­berufliche Mitarbeiter beschäftigt, finanziert von europäischen Stiftungen, unter anderem dem Evangelischen Entwicklungsdienst. Unsere Gemeindemitglieder fühlen sich weiterhin verantwortlich und unterstützen Mitarbeiter und Campesinos.

Zusammenarbeit mit Entwicklungsorganisationen

Trotz allem: La Paz hat wunderschöne Ecken. Mitten im Stadtzentrum liegt eine Schlucht, überspannt von zwei Brücken. In der Innenstadt gibt es viele Hochhäuser, dazwischen beindruckende Bauten aus der Kolonialzeit. Was mich überrascht hat: Es ist eine grüne Stadt, mit Parks und Grünanlagen, Bäumen in den Straßen und Blumenbeeten. Der Autoverkehr allerdings ist sagenhaft. Die einzige Verkehrsregel scheint zu sein: Wer überlebt, hat recht. In der Stoßzeit sind die Hauptstraßen vollgestopft mit Autos. Da­zwischen Minibusse, aus deren Seitenfenstern die Beifahrer Ziel und Fahrpreis hinausschreien. Am Straßenrand sitzen Indio­frauen und verkaufen Lebensmittel, Brieftaschen oder Sonnenbrillen. Irgendwo steht immer ein Verkehrspolizist und bläst ­verzweifelt in seine Trillerpfeife.

Und die kleine deutsche Gemeinde, die finanziell nicht auf ­Rosen gebettet ist. Wo steht sie? Sie will Heimat sein für deutschsprachige Protestanten, aber auch für andere Menschen. Sie ist auch eine Schnittstelle für Organisationen. Unsere Gemeindemitglieder vermitteln Familien von Entwicklungshelfern Kontakte, damit diese in La Paz schneller Anschluss bekommen. Jugend­liche, die ehrenamtlich bei Hilfsorganisationen tätig sind, finden bei uns eine Anlaufstelle, die sie auch dringend brauchen: Bei 100 von den rund 300 jungen Deutschen, die sich dieses Jahr in ­Bolivien aufhalten, ist nicht deutlich, wer sie entsendet oder ob die Organisation sie angemessen betreut und zum Beispiel auch das Taschengeld auszahlt. Ich arbeite zurzeit mit der EKD und dem Gemeindekirchenrat daran, die Arbeit der staatlichen, pri­vaten und kirchlichen Entwicklungsorganisationen in Bolivien zu vernetzen. Wir brauchen viel Fantasie. Und wünschen uns und beten darum, dass unser Herr uns weiter Wege eröffnet, welche die Gemeinde miteinander gehen kann.

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