Foto: Doreen Kirbis
Die etwas andere Stadtverschönerung
Doreen Kirbis und ihr "Handbuch zum zivilen Ungehorsam"
Tim Wegner
23.11.2011

chrismon: Wie wird aus einer Diplomarbeit ein Handbuch zum zivilen Ungehorsam?

Doreen Kirbis: Ich habe für meine Abschlussarbeit das Thema Norm gewählt. Dadurch bin ich auf den amerikanischen Philosophen Henry David Thoreau ge­stoßen – und auf dessen Gedanken, es gebe eine Pflicht zum Ungehorsam gegenüber dem Staat, wenn Gesetze nicht mit den eigenen moralischen Wertvor­stellungen übereinstimmen. Also habe ich über 80 Darmstädter in Straßeninterviews und übers Internet befragt, was sie stört.

Und?

Es gibt fünf Themenbereiche: Dass der Darmbach – bis Ende des 18. Jahrhunderts ein prägendes Gewässer – unter die Erde verlegt wurde. Dass es an Grün in der Innenstadt fehlt. Dass es an Farbtupfern fehlt. Dass die Feinstaubbelastung sehr hoch ist. Und dass die vielen Lichter dazu führen, dass nachts die Sterne nicht mehr zu sehen sind.

Und wie geht das, zivilen Ungehor­sam gegen die Lichtverschmutzung zu ­zeigen?

Ganz einfach, LED-Lampen und Knopf­zellen kaufen, aneinanderkleben und in der Stadt befestigen, gern auch mehrere, um Sternbilder nachzustellen. Das soll die Leute zum Nachdenken anregen: ­Warum sehe ich Sterne an der Hauswand? Und warum keine am Himmel?

Und gegen Feinstaub?

Empfehle ich Reverse Graffiti – oder auch Negativgraffiti. Man schneidet aus einem dicken Stück Pappe ein Symbol, zum Beispiel eine Wolke. Die Pappe an eine Wand neben einer stark befahrenen Straße halten; wenn man die Wand an der ausgeschnittenen Stelle mit Wasser saubermacht, wird allen klar, wie viel Staub sich da angesammelt hat.

Wie oft sind Sie angezeigt worden?

Nicht ein einziges Mal. Ich zerstöre ja auch nichts; ich will gestalten und ver­bessern, die Stadt schöner machen. Ich begehe keine Straftaten, weil ich ja nichts beschädige. Interessant ist: Wenn ich ein Negativgraffiti an einer Wand mache, ist das auffällig; ich habe die Pappe dabei, einen Wassereimer, ich schrubbe die Wand. Aber ich bin noch nie bei einer ­Aktion angesprochen worden.

Wollen Sie angesprochen werden?

Ja, und damit gehe ich über das hinaus, was viele Guerilla-Gärtner machen, die heimlich Brachflächen bepflanzen: Ich will nicht anonym bleiben. Darum habe ich das Handbuch geschrieben und ein Starterpaket mit Tipps zum Nachmachen zusammengestellt. In jeder Stadt gibt es Dinge, die verbesserungswürdig sind – nicht nur in Darmstadt.

Wer etwas verbessern will, kann einer Partei beitreten. Warum machen Sie das nicht?

Politik ist zäh, die Entscheidungsphasen sind so lang, dass ich es als Außenstehende nicht nachvollziehen kann. Über die Offenlegung des Darmbaches wird zum Beispiel schon jahrelang diskutiert. Ich klebe lieber Sticker mit Wassersymbolen auf die Flächen, unter denen der Bach verläuft. Das geht schneller und ist effektiver, um auf den Bach unter der Erde aufmerksam zu machen.

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