Sollen wir alle zur Organspende verpflichtet werden? Ja, das wäre ein Weg. Aber noch besser wäre es, wenn viele von uns sich freiwillig dazu entscheiden. Und zwar jetzt!
27.09.2011

Da ist er – orange und blau, ihn ziert der Bundesadler: Mein Organspendeausweis. Vorne steht mein Name, von mir handschriftlich eingetragen; hinten zwei Kreuze: „Ja, ich gestatte, dass nach der ärztlichen Feststellung meines Todes meinem Körper Organe entnommen werden." Ein weiteres Kreuz bei „Über JA oder NEIN soll folgende Person entscheiden", dahinter Name und Mobilfunknummer meines Mannes.

Wie lange habe ich darüber nachgedacht? Vier, fünf oder zehn Jahre? Artikel zu diesem Thema haben mich immer interessiert, Tod ist für mich kein Tabuthema. Doch nie hatte ich mich damit auseinandergesetzt, wie es sein würde, nicht mehr zu sein. Wie es wäre, selbst einen solchen Ausweis bei mir zu tragen. Immer, wenn diese Fragen auftauchten, bin ich ihnen ausgewichen, hatte keine Antwort darauf.

Irgendwann wurde mir klar, dass ich darauf auch nicht warten muss. Ich muss auch nicht festlegen, ob Herz, Augen oder Fingernägel ausgeschlossen sind. An dieser Stelle fehlen die entsprechenden Angaben eben. Soll bitte das Schicksal entscheiden. Es reicht auch, wenn ich das erst mal für mich mache und nicht gleich missioniere. „Du spinnst wohl, Mami", sage mein Sohn, als ich ihm den Ausweis auf den Frühstückstisch legte: „Ich bin doch kein Ersatzteillager."

Auf diese Meinung hat er ein Recht. Vielleicht braucht er noch ein paar Jahre, vielleicht wird er nie einen Spenderausweis haben. Vielleicht wird es auch bald ein Gesetz geben, das uns alle zu Spendern macht, es sei denn, wir widersprechen. Fände ich in Ordnung. Hauptsache, ich habe jetzt erst mal einen Ausweis. Für Freunde und Bekannte habe ich noch ein paar zusätzlich bestellte Karten im Schreibtisch liegen. Was lange währt…

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Glückwunsch zu deiner Entscheidung, Dorothea! Ich danke dir dafür. Auch im Namen meines Mannes, der ohne diese Entscheidung eines anderen Menschen heute nicht mehr leben würde. Woher kommt nur der Begriff "Ersatzteillager"? Ich wünsche diesen Menschen, dass sie nie selbst auf ein "Ersatzteil" angewiesen sein mögen.
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Wie man es dreht und wendet, ob wie bei uns ein angeordnetes Bekenntnis für oder wider die Organspende, oder wie in Österreich die Widerspruchslösung: Das Thema wird so nie befriedigend gelöst werden. Der Kostendruck der Behandlung chronisch Kranker, die auf ein Organ warten, hat den deutschen Gesetzgeber jetzt fast hektisch werden lassen. Als Betroffener gebe ich nur zwei Hinweise: 1.: Bei allem Verständnis für die vielfältigen Gründe der Reserve gegenüber einer positiven Willensbekundung, ein Organ zu spenden, erinnere ich daran, dass jeder schneller als er sich das vorstellen will, in die Situation kommt, selber nach einem Organ zu brüllen. Die am ehesten, die sich heute klammheimlich oder bekennend verweigern. 2.: Das Problem wäre in jeder Hinsicht, finanziell und ethisch, befriedigend gelöst, gelänge der Forschung die Schaffung künstlicher Organe. Eine Utopie? Mitnichten! Vor 40 Jahren wäre ich an meinem Nierenversagen gestorben. Die dann entwickelte Dialysetechnik ist eine Prothetik, ja; aber was für ein Erfolg der gescholtenen Schulmedizin! Angesichts anderer schwerster Erkrankungen habe ich es noch vergleichsweise gut angetroffen, ich bin sogar noch voll berufstätig. Also: Der Hoffnungsträger ist die Technik. Das eine Lösung auf kurz oder lang möglich ist, davon bin ich überzeugt. Und nicht zu vergessen: Wem dieser Durchbruch gelingt, hat sich mehrere "goldene Nasen" daran verdient.
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Frau Heintze, ich kann verstehen, dass Sie sich unter den beschriebenen Dikussionsargumenten (Ersatzteillager) für den Spendeausweis entschieden haben. Was der Artikel leider nicht beleuchtet, ist die Fragestellung, ab wann denn die Organe entnommen werden sollen. Darf man einem sterbenden Menschen Organe entnehmen oder einem Toten? Es zeichnet sich immer mehr ab, dass ein sogennanter hirntoter Mensch eben nicht tot ist, sondern im Sterbeprozess. Vieles ist noch nicht geklärt, z.B. über die Rolle des Rückenmarks, welchen Anteil hat sie am Leben, am Bewusstsein? Sind es wirklich nur Muskelreaktionen, wenn sich ein hirntoter Mensch während des Ausweidens krümmt und muss er deswegen angeschnallt werden? Darf ich als Organspender verlangen, dass ich zuvor betäubt werden, wenn meine Organe entnommen werden, selbst wenn über mir die Definition hirntot attestiert wird? Das wären spannende Fragen, über die es sich allemal lohnt, zu diskutieren und nachzudenken, bevor man diese zwei Kreuze auf dem Formular setzt...
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Ich habe schon lange einen solchen Ausweis in meiner Brieftasche. Er kann Leben retten, wenn ich tot sein werde. Das Zaudern vieler Menschen in Deutschland verstehe ich nicht - vermute aber mal, dass alte Wurzeln uns behindern ... "nur die unversehrte Leiche kommt in den Himmel" ...! Oder so etwas in der Art. Nur - wir sollten alle da aufgeklärter sein! Neben der Organspende gibt es ja noch ein zweites Thema - wer hat denn das letzte mal Blut gespendet ... da muss ich bei mir auch noch ran ;-) Insgesamt - wichtiges Thema - weiter so!
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Einen Spenderausweis sollte jeder Mensch in der Tasche haben, der folgende Frage mit "ja" beantwortet: "Willst du denn, wenn es bei dir um Leben und Tod geht, das Organ eines Fremden eingegepflanzt bekommen?"
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Respekt vor Ihren mir wohlbekannten Argumenten. Wenn dergleichen Akribie für das Ungeborene an den Tag gelegt würde - also, ich wäre begeistert!
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Andreas (nicht überprüft) schrieb am 28. September 2011 um 10:27: "Er kann Leben retten, wenn ich tot sein werde." -------------------------- Wenn der Organspendeausweis als Lebensretter bezeichnet wird, sollte die Frage beantwortbar sein, vor was oder wem der Ausweis rettet. Wer bedroht also das Leben? Das Leben wird bedroht von der gesellschaftlichen Ordnung, die den Zugriff auf alle nützlichen Dinge folgendermaßen regelt: Alle, die kein Eigentum an dem haben, was sie benötigen, sind von dessen Gebrauch grundsätzlich ausgeschlossen. Das gilt für brauchbare Leichenteile von kürzlich Verstorbenen genau so wie für Trinkwasser, Lebensmittel, Wohnungen, Kleidung, Spielzeug. Man nennt das Privateigentum. Dass Organe rein rechtstechnisch anders behandelt werden als Konservendosen, tut hier nichts zur Sache. -------------------------- Wer also entsprechend erkrankt ist oder verunglückt und trotzdem überhaupt am Leben bleiben oder ein weniger elendes Leben führen möchte, ist unter der Herrschaft des Privateigentums auf die Spendenfreudigkeit seiner Zeitgenossen angewiesen. Spricht das jetzt für den Organspendeausweis oder gegen das Privateigentum? Wer es im Rahmen der alltäglichen Konkurrenz nicht zu den besseren Kreisen gebracht hat und trotzdem ein schönes Leben führen möchte, ist unter der Herrschaft des Privateigentums aufs Klauen, auf Almosen oder Lottospielen angewisen. Spricht das jetzt für Kriminalität, Mildtätigkeit und Glücksspiel oder gegen das Privateigentum? -------------------------- Um gleich einem Missverständnis vorzubeugen, das beim sehr flüchtigen Lesen meines Beitrages entstehen könnte. Zu der im demokratischen Dialog gepflegten Frage "Organspendeausweis ja oder nein?" habe ich mich überhaupt nicht geäußert. Ich will keinen Ratschlag erteilen für die heiße Überlegung, wie man sich "richtig verhält", wenn die "Verhältnisse nun mal so sind, wie sie sind."
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Da die bisherigen Diskussionen über die Organspende von einer völligen Verkennung der wirklichen Vorgänge bei der Organspende zeugen, verweise ich auf die Titelseite "Münchner Merkur" v. 03. 07. 2011 "Für und wider die Organspende" - und die darauf folgende Diskussion. Wie problematisch sich das ganze aus einer anderen Perspektive darstellt, kann man hier gut entnehmen. Daß diese Diskusion der anderen Seite, nämlich die des "Organspenders" bisher überhaupt nicht zur Diskussion gestellt wird, hat seinen tieferen Grund, denn dann müßte die ganze Organspende-Praxis völlig neu überdacht werden!
Bei allem was Aufklärung bringen könnte, in solchen wichtigen, existenziellen Fragen, hat das Totschweigen Methode!

Renate Biller

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