Brief aus Rhodos
Zuversicht in der Krise. Trotz Wirtschaftsturbulenzen besuchen viele Gäste die Insel. Für manches Gemeindetreffen fehlt dann oft die Zeit

Dienstag heißt auf Griechisch Triti. Beim Triti-Treff kommen Frauen der evangelischen Kirchengemeinde jeden Dienstag zum Frühstück zusammen. In dieser munteren Runde lässt sich viel über die Insel und ihre Bewohner erfahren. Es sind lebhafte Gespräche über neu erschienene Bücher, es gibt Tipps für Arztbesuche oder für den Alltag.
Die Frauen erzählen von dem bescheidenen Leben ihrer ersten Jahre auf der Insel – wie sie damals oft ohne Strom auskommen mussten und die Straßen noch nicht so gut ausgebaut waren wie heute. Man hört Kölsch, Schweizerisch, Österreichisch, Norddeutsch. Die meisten Frauen sind mit einem Griechen verheiratet und leben schon seit Jahrzehnten auf der Insel. Die Kirchengemeinde besteht aus etwa vierzig Mitgliedern – fast nur Frauen. In der Gemeinde reden sich alle mit Vornamen an und duzen sich. Daran haben wir uns schnell gewöhnt.

Tomaten und Pfirsiche gibt´s obendrauf

Auf Rhodos bestimmt der Tourismus das private und öffentliche Leben. Im vergangenen Winter drehten sich die Gespräche immer wieder um die wirtschaftlichen Probleme Griechenlands. Werden die Gäste kommen? Lassen sie sich von den Schwierigkeiten, in denen das Land steckt, abschrecken? Blieben die Gäste aus, hätte das für die Menschen auf Rhodos fatale Folgen. Fast alle leben vom Tourismus – auch die meisten Gemeindemitglieder. Viele machten sich Sorgen um ihre Arbeitsstelle und ihr Einkommen.
Die Befürchtungen haben sich jedoch nicht bestätigt. Als die Touristensaison Anfang April einsetzte, öffneten auch wieder die meisten Geschäfte. Auch die Händler auf den para­diesischen Wochenmärkten hält die Wirtschaftskrise nicht davon ab, ihren Kunden zu den gekauften Tomaten oder Pfirsichen ­weitere als Geschenk draufzulegen oder den Geldbetrag groß­zügig abzurunden. Hotels und Pensionen sind gut besucht. Die Geschäfte laufen gut. Den meisten Frauen blieb für den Triti-Treff daher keine Zeit mehr.
Es gibt aber auch Branchen, die von der Krise deutlich stärker betroffen sind. Der Grundstücks- und Immobilienmarkt auf ­Rhodos ist normalerweise ein florierendes Geschäft. Doch in ­diesem Jahr tut sich da nichts, erzählte mir eine Fachfrau. Häuser würden derzeit massenhaft angeboten, hörte ich auch von der Vorsitzenden unserer Gemeinde. Auch müssten viele ihr Auto verkaufen. Die Aussicht, Käufer zu finden, sei jedoch gering. ­Probleme haben auch Gemeindemitglieder, die im öffentlichen Dienst beschäftigt sind. Eine Lehrerin erzählte, dass sie ihre Schüler seit Monaten praktisch ehrenamtlich unterrichtet. Sie wisse nicht, ob und wann sie ihr Gehalt bekomme. Für die Ausbildung ihrer Kinder hat sie inzwischen ihr Erspartes aufgebraucht. Vielen auf Rhodos geht es so. Trotzdem lassen sie sich von den wirtschaftlichen Schwierigkeiten nicht beherrschen.   

Ruhiges Leben außerhalb der Saison
 
Ehe auf Rhodos die Tourismussaison beginnt, ist das Leben auf der Insel ruhig und beschaulich. Im Spätherbst schließen viele Geschäfte. Sobald der Tourismus nicht mehr alle Kräfte bindet, können sich die Leute wieder Zeit für sich und ihre Familien ­nehmen. In diesem Jahr war die Bevölkerung zu einem Aktionstag aufgerufen, um die Strände zu reinigen. Rund 2500 Frei­willige machten mit. Auch unsere Kirchengemeinde half mit und posierte mit dem Bürgermeister für die Presse und das Insel-Fernsehen.
Außerhalb der Saison  können auch wieder mehr Mitglieder die Angebote der Gemeinde wahrnehmen: Dienstag-Treff, Bibelstunde, Gebetskreis, Chor, Spieleabende, Seniorenkreis, Kindergruppen, Wanderungen. Und auch darüber hinaus beteiligt sich die Gemeinde an Veranstaltungen: Wandertage, Schulfeste, in Altenheimen, auf Basaren. Die Gemeinde fand im Juni auch das Interesse des deutschen Botschafters in Athen: Roland Michael Wegener kam zu Besuch. Er informierte sich über die Pläne der Kirchengemeinde für einen deutsch-griechischen Kindergarten und eine Wohngemeinschaft für Senioren.
Der Gottesdienst ist unser zentrales Treffen. Sonntags um 10 Uhr kommen mindestens 20 Gottesdienstbesucher in den Versammlungsraum – im Sommer sind es mit auswärtigen Gästen oft viel mehr. Man stelle sich bei knapp 40 Gemeindemitgliedern ein ähnliches Verhältnis bei Gottesdiensten in Deutschland vor. In unserer Heimatgemeinde wären das umgerechnet mehr als 2000 Kirchgänger. Bei den Gottesdiensten auf Rhodos hat mich der Gesang immer wieder aufs Neue beeindruckt. Problemlos singen die Gemeindemitglieder a capella. Sicher beherrschen sie Choräle und neue geistliche Lieder. Eine Besonderheit sind die Schriftlesungen: Sie sind in Deutsch und Niederländisch, da die Gemeinde auch einen starken holländischen Einschlag hat. Die Fürbitten formulieren die Gottesdienstbesucher stets selbst.

Hamburgerin gründete Gemeinde

Die Gemeinde besteht seit 30 Jahren. Treibende Kraft war ­Gisela Bischke. Die Hamburger Religionslehrerin musste aus ­gesundheitlichen Gründen vorzeitig pensioniert werden. Das Klima auf Rhodos linderte ihre Beschwerden, und sie fand eine neue Lebensaufgabe: 1981 lud sie zu Literatur- und Bibelabenden ein. Aus diesem Kreis junger Frauen entwickelte sich die Gemeinde. 1993 konnten die Räume in der Innenstadt und 1998 eine kleine Pfarrwohnung erworben werden. Die Gemeinde schaffte dies mit ehrenamtlichem Einsatz und Spenden. Sie ­veranstaltet einen großen Adventsbasar und im Januar einen Altkleiderbasar, beide sind auf der Insel sehr populär.

Das Meer ist nah

Zehn Monate waren meine Frau und ich in der deutschsprachigen Evangelischen Kirchengemeinde Rhodos tätig. Im Juli sind wir nach Deutschland zurückgekehrt. Die Evangelische ­Kirche in Deutschland (EKD) schickt jedes Jahr für die Zeit von September bis Ende Juni eine Pfarrerin oder einen Pfarrer im Ruhestand dorthin. Die Gemeinde in Rhodos ist eine „Filiale“ der Evangelischen Kirche deutscher Sprache in Athen.
Die kleine möblierte Pfarrwohnung in Rhodos-Stadt liegt in der Nachbarschaft des Gemeindezentrums, das sich im Erdgeschoss eines ­Appartmenthauses in der Papalouka 27 befindet. Sowohl die Altstadt als auch das Tourismuszentrum sind nicht weit entfernt. Bis zum Meer, in dem Abgehärtete auch im Winter schwimmen,  sind es wenige Hundert Meter.
Die Gemeinde nennt ihre Räume in Rhodos-Stadt „Öku­menisches Begegnungszentrum“. Sie unterstreicht damit ihre Offenheit für Menschen aller Konfessionen. Die griechischen Ehemänner der Frauen und meist auch ihre Kinder gehören der griechisch-orthodoxen Kirche an, zu der die Kontakte langsam, aber stetig besser werden. Während der Sommermonate Juli und August kommen Vertretungen für den Pfarrer, der nach Deutschland zurückgekehrt ist, auf die Insel. Sie halten sonntags um 17 Uhr auch in der Touristenhochburg Faliraki im Hotel „Calypso“ Gottesdienste in deutscher Sprache.

Besucher sind herzich willkommen

Wer die Evangelische Kirchengemeinde Rhodos nicht kennt, könnte meinen: Der stetige Wechsel war das Richtige, um diese Gemeinde so selbst- und verantwortungsbewusst, zugleich so ­offen werden zu lassen. Es könnte aber auch umgekehrt sein: Weil sie eine so feste und einladende Gemeinschaft ist, haben ihr die häufigen Wechsel sehr unterschiedlicher Typen von Predigern und Seelsorgern nicht geschadet, sondern sie vielleicht eher noch gestärkt.
Die an Natur und antiken Schätzen reiche Insel ist ein lohnen­des Reiseziel. Und mir als Pfarrer ist es ein persönliches Anliegen zu sagen: Wer mehr über die Insel und die griechische Lebensweise erfahren möchte, dem empfehle ich einen Besuch der ­Gemeinde. Mir ist Rhodos dank dieser Gemeinschaft auch in geistlicher Hinsicht ein Stück Heimat geworden.

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