„Fürwahr, der Herr ist an dieser Stätte"
Seit biblischen Zeiten gibt es darüber Streit. Erzvater Jakob berief sich auf seine Träume, Prophet Jeremia hielt sie für dummes Zeug
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
13.05.2011

Die Brunst ist eine unruhige Zeit. Die Böcke riechen streng. Sie bespritzen sich mit Urin, sie überwinden hohe Hindernisse, um zu den Ziegen zu gelangen, sie sind äußerst aggressiv.

Das erste Buch Mose (Kapitel 31) erzählt von Jakob, der für seinen Schwiegervater Laban die Ziegen hütet. Während der Brunstzeit schläft er schlecht. Er träumt von gestreiften, gepunkteten und gefleckten Böcken, die „auf die Herde sprangen“. Ein Götterbote zeigt auf die Tiere. Er sagt, er habe alles gesehen, was Laban ihm, Jakob, antue. Er solle Laban verlassen und ­zu seinen Verwandten heimkehren.

Für einige Traumforscher sind Träume Abfälle der nächtlichen Hirntätigkeit, psychologisch nicht relevante neurologische Prozesse. Andere sagen in Anlehnung an den Psychoanalytiker Sigmund Freud: Träume spiegeln das Unbewusste wider, die Wünsche und Ängste, die tagsüber durch das rationale Bewusstsein kontrolliert werden. Träume geben uns Zugang zu einer Art Jenseits in uns selbst.

Wirre Fantasien oder Botschaften aus dem Jenseit?

Sind Träume wirre Fantasien oder Botschaften aus dem Jenseits, vielleicht sogar von Gott? Schon die biblischen Autoren sind geteilter Meinung. Ihr Widerspruch durchzieht die jüdisch-christliche Tradition bis heute.

Der Autor der Jakobserzählung ist jeden­falls überzeugt, Gott selbst habe zu Jakob im Traum gesprochen. Jakob träumt von dem, was ihn täglich beschäftigt: die geilen Böcke, der Wunsch heimzukehren, der gaunerhafte Schwiegervater. Laban hatte Jakob die Hand seiner Tochter Rahel versprochen und ihm dann die ältere Lea bei der Hochzeit untergejubelt. Er wollte ihm mal die bunten, mal die gesprenkelten ­Ziegen überlassen, je nachdem, welche gerade in der Minderzahl waren. Nun meint Jakob, Gott ermutige ihn im Traum, sich mit Labans ganzer Herde davonzumachen. Der Traum legitimiert einen Diebstahl. ­Jakobs Schwiegervater wird bezweifelt ­haben, dass das wirklich Gottes Wille war.

Im Traum lebt sich der instinktive, emotionale Teil des Bewusstseins aus. Manchmal kommen Assoziationen zustande, die tatsächlich erhellend sind. Man erkennt etwas, das einem im Wachzustand entgangen ist. Auch diese Erfahrung macht Jakob. Er träumt von einer Leiter, die von der Erde bis an den Himmel reicht. Engel steigen an ihr auf und nieder, ganz oben steht Gott, der Herr. Als er aus seinem Schlaf erwacht, sagt Jakob: „Fürwahr, der Herr ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht!“ Er erklärt den Ort für heilig (1. Mose 28). Die Er­zählung dient dem antiken Heiligtum in Bet-El 17 Kilometer nördlich von Jerusalem später als Gründungslegende.

Sieben magere Kühe? Joseph empfiehlt Lagerhaltung

Andere Träume in der Bibel enthalten geheimnisvolle Botschaften, die die Träumer selbst nicht verstehen. Nur Traumdeuter können sie entschlüsseln. Jakobs Sohn Josef macht in dieser Funktion Karriere beim ägyptischen Pharao. Er erklärt, was dessen Traum mit den sieben fetten und den sieben mageren Kühen bedeutet: Auf sieben Jahre mit reichen Ernten folgen sieben Jahre der Dürre. Josef empfiehlt ­Lagerhaltung – und avanciert zum zweitmächtigsten Mann im Staat.

Jahrhunderte später macht ein jüdischer Traumdeuter namens Daniel am baby­lonischen Hof eine noch bemerkenswertere Figur. Er deutet nicht nur des Königs Traum, er kann sogar rekonstruieren, was der übellaunige Potentat beim Aufwachen schon wieder vergessen hatte (Daniel 2).

Dennoch bleiben andere biblische Autoren skeptisch, ob es wirklich Gott ist, der sich im Traum offenbart. Für die Traumdeuter seiner Zeit, die sich Propheten ­nennen, hat Jeremia nur Spott übrig. Der biblische Prophet vergleicht ihre Träume mit dem Götzen Baal und nennt die Weissagungen der Deuter Lügen. Jeremia (23) lässt allein Gottes Wort gelten. Das Christen­tum versteht darunter später das Mensch gewordene Gotteswort: Jesus Christus.

Offenbart sich Gott im Traum? Nach christlicher Lehre ist allein Jesus Christus maßgeblich für das, was zu glauben und wonach zu handeln ist: seine Lehre, sein Leben, sein Tod und seine Auferstehung.

Doch wenn ein Mensch durch einen Traum Klarheit gewinnt, oder wenn eine Traumanalyse jemanden von Sorgen befreit, darf er darin gerne einen Wink des Himmels sehen.

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