Vorbilder hatten die D.'s keine, als sie ihre christlich-muslimische Familie gründeten. Dafür aber reichlich Widerstand von Verwandten. Daheim flogen die Fetzen weniger beim Thema Glauben, als vielmehr in der Kindererziehung. Heute geht es in Gladbeck entspannter zu
Hedwig Gafga, Autorin
07.10.2010

Die Prognosen für diese Ehe standen schlecht. Als ein Vertrauter, stellvertretend für Thomas D., beim türkischen Vater förmlich um die Hand der Tochter anhielt, wurde der Vater bleich und die Tochter verließ durch einen Hinterausgang fluchtartig den Raum. Für einige Wochen tauchte sie bei einer Freundin unter. Um jeden Preis wollte die Familie verhindern, dass ihre Tochter mit einem christlichen Deutschen die Ehe einginge. Ein Imam, dem das Paar von ihrer Heiratsabsicht erzählte, warnte: "Eure Kinder kommen in die Hölle." Auch viele deutsche wie türkische Bekannte betrachteten die Beziehung skeptisch.

"Mögen Sie türkischen Tee?", erkundigt sich Thomas D., 56, ein Theologe mit rundlichem Gesicht, grauschwarzem Bart und freundlichen braunen Augen hinter einer Hornbrille. Seine Frau Müzeyyen, 48, gießt Tee in kleine Gläser. Ihr kurzes schwarzes Haar hat einen dunkelroten Schimmer. Über T-Shirt und grauer Hose trägt sie eine Schürze. Auf einem Foto hinter ihr stecken die drei Kinder des Paares die Köpfe zusammen, direkt gegenüber hängt noch ein Familienbild: Eltern und Kinder, eng beieinander stehend. Seit der dramatischen Brautwerbung sind mehr als 25 Jahre vergangen. Die beiden älteren Kinder sind bereits in der Ausbildung, die jüngste Tochter Yasmin lebt noch zu Hause.

Müzeyyen D. will den Worten, die der Imam vor vielen Jahren aussprach, die Schärfe nehmen. Mit der "Hölle" habe er den Zwiespalt gemeint, in den Kinder von Eltern verschiedener Religionen geraten könnten. Auch ihr Mann nimmt den Imam in Schutz: "Seine Warnung ist berechtigt. Manche Paare konkurrieren miteinander um die richtige Religion. Oder sie verzichten ganz auf Religion. Für uns gilt das nicht." Er schaut hinüber zu seiner Frau, die am Herd steht. Außerdem, sagt sie, habe der Imam noch etwas hinzugefügt. "Für jede Mauer, die der Prophet gesetzt hat, gibt es eine Tür." Soll heißen: Einen Ausweg gibt es doch.

In ihrer Wohnung in einem dreistöckigen Haus in Gladbeck mischen sich östlicher und westlicher Lebensstil. Die Schuhe bleiben draußen im Hausflur, drinnen stehen für Besucher Filzpantoffeln in jeder Größe bereit. Im Wohnzimmer fällt der Blick zuerst auf eine Reproduktion des Abendmahlbildes von Leonardo da Vinci, die über einem ovalen Esstisch hängt, andere, kleinere Bilder zeigen Motive der religiösen Mystik, auf einem Bild des persischen Malers Rashid al-Din reiten Jesus und Mohammed einträchtig nebeneinander her.

"Lasst die Dolmas nicht kalt werden", Müzeyyen schiebt einen Teller mit gefüllten Paprika und Joghurt herüber und gießt Tee nach. Reden, kochen, Gäste bewirten, sie bewerkstelligt das gleichzeitig. Die Tochter einer türkischen Einwandererfamilie wuchs früh in die traditionelle Frauenrolle hinein, lernte kochen und bei Tisch bedienen. Mit der Mutter und den zwei Brüdern war sie als Achtjährige aus ihrem Heimatdorf am Schwarzen Meer dem Vater nach Duisburg gefolgt. Bald übersetzte sie bei Behörden und Arztbesuchen für die Mutter und für türkische Bekannte. Das Haus aber verließ sie noch als erwachsene Frau zumeist in Begleitung.

Als sie ihren Mann bei ihrer Arbeit in der evangelischen Gemeinde kennenlernte, wo sie mit Müttern und Kindern aus Einwandererfamilien arbeitete, waren Ehen zwischen Deutschen und türkischen Einwanderern noch rar. Die D.'s hatten keine Vorbilder, wie eine christlich-muslimische Familie aussehen könnte, und Kirchen wie Moscheen standen einer solchen Ehe skeptisch bis ablehnend gegenüber. Insbesondere die Heirat einer muslimischen Frau mit einem andersgläubigen Mann war und ist in traditionellen muslimischen Kreisen verpönt, weil nach alter Väter Sitte der Mann die Religionszugehörigkeit der Familie bestimmt. Die Statistik zeigt das: Im Jahr 1984, als die D.'s heirateten, entschieden sich in der Bundesrepublik nur 319 Türkinnen für einen deutschen Ehemann, 1312 Türken heirateten eine deutsche Ehefrau. Im Jahr 2007 verheirateten sich 1874 türkische Frauen und 3839 türkische Männer mit deutschen Partnern. Noch immer gehen türkische Einwanderer deutlich seltener die Ehe mit Deutschen ein als Einwanderer aus anderen Ländern.

Ehe auf Probe im Jahr 1984? "Nicht in einer islamischen Familie. Das wäre für meine Eltern noch schlimmer gewesen als die Ehe mit einem Deutschen", meint Müzeyyen. Also beschlossen der Theologe und die gelernte Kauffrau, kaum hatten sie sich ineinander verliebt, zu heiraten. Als die Tochter nach dem Heiratsantrag einmal ihre Familie besuchte, wurde die Tür verschlossen. Die Familie beschwor sie: "Geh nie wieder zu dem Mann zurück. Du wirst in einem halben Jahr auf der Straße landen. Deutsche Männer wechseln ihre Frauen wie ihre Hemden." Sie blieb bei ihrem Entschluss. Das Paar schaltete Vermittler ein. Damals gab es in Duisburg schon ein christlich-muslimisches Netzwerk, zu dem angesehene Fürsprecher aus beiden Religionen gehörten. Sie erklärten den in ihren Grundfesten erschütterten Eltern, eine Ehe zwischen einem Christen und einer Muslimin sei keine Schande. Ihnen gelang es, den Eltern die Zustimmung zur Hochzeit abzuringen.

Mit mehr als 500 Gästen feierten sie ein Fest, zu dem auch die meisten türkischen Verwandten kamen. Nur der kirchlichen Feier blieben diese fern. Der evangelische Gottesdienst aber war der Braut wichtig, weil sie "die Ehe vor Gott schließen wollte" und es eine muslimische Segnung für Christ und Muslimin noch nicht gab. "Das erzählt sich heute so leicht", sagt Müzeyyen. Für einen Moment unterbricht sie die Arbeiten an den Poca, den gefüllten Hefeteigtaschen, und hält inne.

"Wir gingen zusammen in die Kirche", erzählt sie aus der Anfangszeit der Ehe. Umgekehrt empfand auch ihr Mann die Moschee als "einen wunderbaren Ort, an dem ich die Demut vor Gott spüre". Er mochte die Atmosphäre des Raumes und ging allein deshalb gelegentlich dorthin, wenn auch nur als Zuschauer. Nach der Geburt des Sohnes war die enge Beziehung zwischen Tochter und Eltern wiederhergestellt. "Das Eis schmolz, als meine Eltern merkten, dass ich mit unserem Sohn türkisch sprach", berichtet die Ehefrau. Doch mussten die Verwandten akzeptieren, dass die Eltern ihren Sohn Nathan weder taufen noch beschneiden ließen, auch die beiden Mädchen wurden nicht getauft. Zu Hause hingegen gestalteten die Eltern ein intensives religiöses Familienleben. Sie erfanden ein abendliches Familienritual, erzählten eine Geschichte aus Bibel oder Koran oder ein Märchen, und beteten gemeinsam das Vaterunser. "Wenn du nicht da warst, hab ich die 'Fatiha' gebetet, die erste Sure des Koran, und das Vaterunser", sagt Müzeyyen.

Wegen der Heirat mit ihr hatte er seinen ursprünglichen Berufswunsch Pfarrer aufgegeben: "Liebe vor Karriere". Damals konnte ein Pfarrer noch nicht mit einer andersgläubigen Frau verheiratet sein. Er arbeitete im "Haus der offenen Tür" in Duisburg-Nord und als Sozialsekretär der westfälischen Landeskirche, später wurde er Referent für evangelische Jugendarbeit. In der Zeit, als die Kinder aufwuchsen, engagierte sich Müzeyyen D. ehrenamtlich in der muslimischen Gemeinde vor Ort, sie gründete Frauengruppen und repräsentierte die Gemeinde nach außen, eine Frau ohne Kopftuch, dazu mit einem Christen verheiratet. Das passte nicht allen Mitgliedern der türkischen Ditib-Gemeinde, aber sie blieb zehn Jahre lang dabei.

Die Fetzen flogen bei den D.'s in der Kindererziehung. Da seien ihre Vorstellungen "krass verschieden" gewesen und zwischen ihnen seien "Fremdheitsgefühle" aufgekommen, erklärt der Theologe. "Ich bin vorsichtig mit einem Nein. Aber wenn ich Nein sage, dann stehe ich auch dazu." "Diese Strenge meines Mannes war fürmich ungewohnt", ergreift seine Frau das Wort, den Kopf in die Hände gestützt. "Ich hab mit den Kindern eher diskutiert. Siebrachten ihre Argumente, und ich ließ mich auch mal umstimmen." Er nennt das "Erziehungslosigkeit" und klingt auf einmal gar nicht mehr sanft. "Er ist Akademiker, konnte besser reden. Dagegen kam ich nicht an", sagt sie. Mehrmals packte sie ein paar Sachen zusammen und flüchtete mit den Kindern zu ihren Eltern nach Duisburg.

Dachte sie an Trennung? Sie lacht übers ganze Gesicht. "Nein. Ich wusste, der holt mich schon! " Da sei sie sich immer sicher gewesen. In Krisen war plötzlich doch wieder etwas zu spüren von der schon überwunden geglaubten Fremdheit. In solchen Zeiten bekam er von den türkischen Verwandten schon mal zu hören: Du bist halt kein Türke. Offen und tolerant hatten sich die deutschen Schwiegereltern vor der Hochzeit gezeigt. Eine türkische Schwiegertochter? Kein Problem. Auf einmal seien aber bei seinen Eltern Ängste aufgetaucht, auf die sie alle nicht vorbereitet gewesen seien. Zeitweilig gingen sie einen "schmerzhaften und stummen Weg" miteinander, wie der Theologe etwas gewunden formuliert.

Ein Thema lässt die Sätze zwischen den Eheleuten sofort wieder hin- und herfliegen: die Religionen, genauer die großen Feste. Leicht hört es sich an, als könnten sie so noch bis in alle Ewigkeit miteinander reden. "Weihnachten", meint die Ehefrau, "das hätte ich für mein Leben erfinden müssen, wenn ich es hier nicht kennengelernt hätte. Ich liebe diese Zeit, die Kerzen, das Zusammensein, den Fisch, den mein Mann Heiligabend zubereitet." Sogleich fängt Thomas D. an, vom islamischen Opferfest zu reden, das an die Geschichte von der geplanten Opferung Isaaks und seiner Errettung erinnert, die Koran und Bibel überliefern. Durch die Religion seiner Frau sei die Geschichte für ihn zentral geworden. Sie habe ihn gelehrt, "dass man seine Kinder nicht opfern soll, auch nicht den eigenen Interessen". Seine Frau erinnert sich, wie sie das Opferfest als Kind zu Hause mit den Eltern feierte. Wie der Vater mit dem im Duisburger Schlachthof eigenhändig geschlachteten Lamm nach Hause kam und es in drei Teile aufteilte, für die Nachbarn, für Arme und für die eigene Familie.

Wie halten sie es mit den islamischen Speisevorschriften? "Wir essen kein Schweinefleisch." Wenn ihr Mann aber Leberwurst essen wolle, dann kaufe sie Gänseleberwurst. Sie gehöre nicht zu denen, die alle Produkte pingelig daraufhin überprüften, ob ein Rest von Schweinefleisch darin enthalten sei, etwa in Gelatine. "Im Koran steht, dass man kein Schweinefleisch essen soll", meint sie, "da steht nichts von Gelatine." Auch den Frauen in der Gemeinde sage sie: "Ich sehe das nicht so streng. Macht es euch nicht so kompliziert. Interessiert euch lieber für die Bildung eurer Kinder." "Aber es ist nicht egal", fügt er hinzu. "Religiöse Regeln sind tief verwurzelt." So tief, dass seiner Frau schlecht werde, wenn sie Schweinefleisch esse.

"Mama, wärst du traurig, wenn ich Christin würde?", hat die ältere Tochter sie kürzlich gefragt, bevor sie sich taufen ließ. "Nein", habe sie geantwortet, "dein Vater ist doch auch getauft, und ich liebe ihn." Die anderen Kinder, der Sohn und die jüngste Tochter, haben sich noch nicht für eine Religion entschieden. Yasmin sagt: "Ichbin weder da noch da ganz zu Hause. Ich bin in keine Schachtel zu packen." Den Eltern ist nicht bange, dass ihr Kind sich vielleicht keiner Religion anschließt. Sie halten es mit den Mystikern, die auf individuelle religiöse Wege vertrauen.

Es ist schon spät, als Thomas D. anmerkt: "Sie haben nicht nach der Beerdigung gefragt." Der christliche Ehemann und die muslimische Frau haben sich darüber bereits Gedanken gemacht. Bislang trennt eine Hecke die muslimischen Grabfelder von den anderen. Damit werden sich die D.'s nicht zufriedengeben. Sie werden etwas Neues erfinden, etwas Gemeinsames. Zu gegebener Zeit.

 

"Geh nie wieder zu diesem Mann zurück", rieten die türkischen Verwandten: Müzeyyen D. mit Ehemann Thomas

"Wir sind in keine Schachtel zu packen": ein Familienleben mit Bibel und Koran, mit Heiligen und dem Propheten Mohammed. Ihren Kindern ließen die D.'s alle Freiheiten, sie wurden weder getauft noch beschnitten

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