Für den Willen des Volkes
Gustav Heinemann machte sein Gewissen zum Richtmaß der Politik. Als Innenminister eckte er bei Kanzler Adenauer bald an
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
18.01.2011

Es ist die Geschichte eines politischen Konflikts, der viel über evangelische Ethik und Verantwortung aussagt. Am 15. September 1949 war Konrad Adenauer zum ersten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt worden. Sein Kabinett wollte er mehrheitlich mit Katholiken besetzen. Das sorgte in der Unionsfraktion für Unmut unter den evangelischen Abgeordneten. Widerwillig ernannte Adenauer daraufhin den evangelischen Essener Ober­bügermeister und Rechtsanwalt Gustav Heinemann zum Innenminister.

So recht vertraute er ihm indes nicht. Und das hatte viele Gründe: Heinemann hing sehr am Ahlener Programm der CDU von 1947, das einen christlichen Sozialismus und eine Verstaatlichung von Berg­-bau und Schlüsselindustrien propagierte (die Partei allerdings vollzog schon zwei Jahre später eine Kehrtwende zur sozialen Marktwirtschaft). Heinemann stammte aus einer bürgerlich-liberalen Familie, war juristisch geschult und gewieft, bereits in der Nazizeit ein gesuchter Rechtsberater der Bekennenden Kirche. Kurz: ein eigenständiger, oft eigenwilliger Denker. Seit 1949 auch Präses der EKD-Synode, hielt er an einer gesamtdeutschen Politik fest, Adenauer hingegen versuchte, die Westintegration voranzutreiben - gegen die DDR und ihre sowjetischen Besatzer.

Mit untrüglichem Gespür sah Adenauer voraus, dass Gustav Heinemann das von ihm geschürte Feindbild Moskau/Kommunismus durchschaute und ablehnen würde. Und er versuchte, ihn als Minister bis zuletzt zu verhindern. Im direkten Gespräch mit Heinemann betonte er, wie wichtig dessen kirchliche Ämter für die Einbindung der Protestanten in die CDU seien, in der Fraktion hingegen sprach Adenauer von einer Unvereinbarkeit beider Ämter. Offensichtlich spekulierte er darauf, dass Heinemann von sich aus auf das Ministeramt verzichten werde. Ohne die kirchlichen Ämter wiederum wäre er als Ministerkandidat nicht mehr interessant. Doch Adenauers Taktik scheiterte, die Fraktion sprach sich für Heinemann aus. Krach war damit vorgezeichnet.

Für Heinemann war es ein Vertrauensbruch sondergleichen

Und er kam. Zunächst in einer derben Kritik Adenauers daran, dass Heinemann die EKD-Synode im April 1950 nach Berlin-Weißensee, also in den Ostsektor der Stadt, eingeladen hatte. Zwei Tage vor Synodenbeginn forderte der Kanzler, die Einladung rückgängig zu machen. Der entscheidende Eklat stand da noch bevor: Hinter dem ­Rücken der Kabinettsmitglieder betrieb Adenauer im August die Wiederbewaffnung Deutschlands, bot den Westmächten den Aufbau deutscher Divisionen für eine europäische Armee an - für Heinemann ein Vertrauensbruch sondergleichen. Die meisten Kabinettsmitglieder erfuhren ­diese Nachricht aus der Presse. Als Heinemann die Kabinettssitzung vom 31. August 1950 einmal kurz verließ, um Adenauers bislang geheimes "Sicherheitsmemorandum" an die Westmächte zu lesen, nutzte der die Gelegenheit gezielt aus, um das ­Kabinett gegen ihn auf Kurs zu bringen.

Heinemann befürchtete, ein deutsches Militärkontingent werde die Russen nicht aufhalten, sondern in Marsch setzen. Zu groß sei deren "Angst vor der Einkreisung" (November 1950). Er stützte sich auch auf eine Friedenskundgebung der EKD-Synode vom April, in der es hieß: "Noch ist der ­letzte Krieg nicht beendet, und schon wird wieder zum Krieg gerüstet...Wir ­beschwören die Regierungen und Vertretungen unseres Volkes, sich durch keine Macht der Welt in den Wahn treiben zu lassen, als ob ein Krieg eine Lösung und Wende unserer Not bringen könnte."

Am 9. Oktober 1950 trat Heinemann, verletzt durch die Unaufrichtigkeit Ade­nauers und politisch zunehmend ­isoliert, als Minister zurück. Die kirchliche Bruderschaft im Rheinland, ein Zusammenschluss von Mitgliedern der Bekennenden Kirche, fragte die EKD im November 1950 in einer Erklärung: "War es recht, Dr. ­Heinemann bei seinem Rücktritt kirchlicherseits in der Öffentlichkeit weithin allein zu lassen?"

Im gleichen Monat stellte die gesamtdeutsche Kirchenkonferenz salomonisch fest: Die Frage der Wiederaufrüstung könne aus dem Glauben verschieden beantwortet werden. Sie dürfe aber nicht gegen den Willen des Volkes entschieden werden. Dieser "Wille des Volkes" wurde jedoch nicht erhoben.

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