Parkour hat Richard K. Selbstbewusstsein gelehrt.
Tim Wegner
07.10.2010

Mit 14 saß ich eigentlich immer nur zu Hause rum, am PC, spielte Playstation. Ich war körperlich ziemlich schlapp, konnte höchstens fünf Minuten rennen, Sportunterricht war eine Quälerei. Ich war ein kleiner, dicker, schüchterner Junge. Ich konnte auch nicht auf andere Leute zugehen, wenn ich zum Beispiel die Uhrzeit wissen wollte, ich hab lieber nach einer öffentlichen Uhr gesucht.

Dann wechselte ich vom Gymnasium auf die Gesamtschule, und da lernte ich Fabian kennen und Felix und Adrian. Wir wurden Freunde, jetzt sitzen wir vier fast jeden Tag aufeinander, wir können nicht ohneeinander. Mit Adrian schraub ich auch gern am Roller rum, mit Felix schau ich Filme, mit Fabian trainier ich Parkour. Der hatte damit gerade angefangen und mich gefragt, ob ich mit will zum Training von "Parkour im Pott". Bei Parkour geht's darum, so schnell, so effizient und so sicher wie möglich von A nach B zu kommen. Ich dachte, das ist bestimmt gefährlich, und ich bin so dick, aber das sieht voll cool aus, das möchte ich auch lernen, vielleicht lande ich dann besser bei den Mädchen.

Aber erst mal schaute ich nur den anderen zu. Das kann ich nie, dachte ich, die hole ich nie ein! Ich kam mir so schwach vor. Aber Parkour ist kein Wettbewerb, das macht man für sich selber. Dann hab ich selbst was probiert. Weil man im T-Shirt trainiert, hab ich mir dauernd irgendwo rumgezupft, immer guckte Haut raus. Mit der Zeit war mir das egal. So egal wie die Leute, die uns im Stadtgarten von Dortmund beim Üben zugucken, wo man ja auch mal hinfällt, und die dann sagen: "Das sieht eh nicht gut aus."

Erst hab ich die Grundübungen gemacht: die Katze über eine niedrige Mauer, da springt man mit den Füßen durch die Arme, Präzisionssprünge aus dem Stand, Sicherheitsübungen - abrollen auf dem Boden zum Beispiel. Für Parkour muss man seinen Körper gut einschätzen können, man braucht Disziplin und Muskeln. Ich hab mir auf Youtube Übungen angeschaut und zu Hause trainiert, Liegestützen, Sit-ups und so.

Mein großes Ziel war der Salto vorwärts, das ist aus dem Freerunning, da macht man auch Tricks einfach so zum Spaß. Den Salto hab ich bestimmt ein halbes Jahr lang geübt, bei den Trainings in der Halle, wo es Matten gibt. Ich hatte Angst davor, also Respekt. Weil ich da den Boden nicht mehr fühle und nicht genau weiß, wo ich lande und wie. Unser Trainer, der Pablo, hat gesagt: "Wenn du unsicher bist, mach erst mal was anderes und probier es später noch mal." Die Teammitglieder sagten: "Locker! Du schaffst das! Du hast nur eine Blockade im Kopf." Und irgendwann konnte ich den Salto! Jetzt arbeite ich am Rückwärtssalto, der ist schwieriger, weil man den aus dem Stand macht und nicht mit Anlauf.

Ich bin nicht mehr schüchtern. Das kam mit dem Sport, weil ich Leute fragen musste, wie das geht mit den Tricks. Ich geh jetzt auch auf Geburtstage, wo ich kaum jemanden kenne. Ich kann mich ja vorstellen und eine Konversation beginnen. Wenn die über Fußball reden - und ich hasse alle Sportarten mit Bällen! -, rede ich halt erst ein bisschen mit und bring dann ein anderes Thema ein. Wenn die Leute über Filme reden, komme ich dazu und sage: "Ja, der Film ist voll gut" oder: "Guckt euch lieber den und den Film an! "

Früher konnte ich nicht richtig reden. Wenn ich in der Schule gemobbt wurde, hab ich mich nie verteidigt. Aus Angst, dass ich aufs Maul bekomm, wenn ich meine Meinung sage. Und ich hab angefangen zu heulen, wenn die zum Beispiel sagten: "Du bist so fett! " Heute vertrete ich meinen Standpunkt. Wenn jemand was zu mir sagt, muss ich was zurücksagen. Ich sag dann: "Ist mir egal, ist halt deine Meinung." Ich fress nichts mehr in mich rein.

Und dass ich durch Parkour besser bei den Mädchen ankomme, das war nur mein erster Gedanke gewesen. Mir selbst tut der Sport gut! Ich muss nicht cool sein. Ich will einfach nur so sein, wie ich bin. Sonst finden die Mädchen cool, was ich da mache, aber nicht, wie ich selber bin.

Protokoll: Christine Holch

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