Er war der Außenseiter, ob in Berlin oder in der Türkei. Jetzt will er sich taufen lassen. Er hat gekämpft für seine Entscheidung. Sein Sohn soll es besser haben als er
07.10.2010

Meine Eltern sind überzeugt, dass ich vom Teufel besessen bin. Sie haben das Kreuz an meiner Halskette gesehen und ahnen, was los ist. Sie fragen aber nicht nach. So war das immer. Bei uns wird nicht diskutiert. Der türkische Bäcker von nebenan findet, Muslime, die zum Christentum konvertieren, sollte man alle erschießen. Mit der Meinung ist er hier in Berlin-Neukölln garantiert nicht alleine. Deshalb sage ich auch nicht jedem, dass ich Christ werden möchte. Aber ich stehe dazu. Inzwischen ist es mir egal, was andere von mir denken.

Das war nicht immer so. Als Kind habe ich mich zum Weinen in mein Zimmer eingeschlossen. Zum Beispiel, wenn die anderen Kinder "Tarzan" zur mir gesagt hatten, weil ich so schlecht Deutsch sprach. Mein Vater hat mich dann geschimpft: "Verhalte dich wie ein Mann und heul nicht." Ich aber war erst sieben und gerade in Deutschland angekommen. Vorher lebte ich bei meinen Großeltern in der Türkei und wusste nichts von meinen Eltern, die waren kurz nach meiner Geburt als Gastarbeiter nach Berlin gereist. Und dann standen sie plötzlich bei meinen Großeltern vor der Tür und nahmen mich mit. Es war schwer für mich in Deutschland. Die anderen Kinder nannten mich "Kümmeltürke", im Sportunterricht zogen sie mir die Hosen runter. Ich war oft einsam.

Viele Jahre später bin ich in die Türkei zurückgekehrt, mit meiner türkischen Frau und unseren beiden Söhnen. In Berlin waren uns die Probleme über den Kopf gewachsen, weil ich meinen Job als Maschinenführer bei einem Automobilzulieferer verloren hatte. Wir zogen zu meinen Schwiegereltern und machten einen Blumenladen auf. Meine Frau stand im Laden, ich machte die Buchhaltung und kümmerte mich um die Kinder und den Haushalt. Uns reichte das Geld, aber bald begann meine Schwiegermutter auf meine Frau einzureden. Sie fand, ich sei ein Versager. Meine Frau solle sich einen anderen Mann suchen.

Die Leute im Dorf fanden mich auch merkwürdig. Ich frage eben gern andere Menschen, was sie tun und denken. Sie nannten mich "den Deutschen", später "den Christen", einfach so, weil das die schlimmste Beleidigung ist. Dann fand ich meine Kleidung mit Schweinefett beschmiert vor, und in meinem Kissen war ein Papier mit Verwünschungen eingenäht. Meine Schwiegermutter hatte sich an einen Geisterbeschwörer gewandt.

Jeden Morgen sind meine Augen verquollen, vom Weinen

Ich habe noch versucht, um meine Ehe zu kämpfen, aber meine Frau wollte nicht mehr. Der Richter hat den jüngeren Sohn meiner Frau zugesprochen, den älteren mir. Ich zog wieder nach Deutschland, ich hatte so was wie Heimweh. Aber für mich ist es das Schlimmste auf der Welt, dass ich nun mein anderes Kind nicht mehr sehen kann. Meine Frau hat jeden Kontakt abgebrochen. Wenn ich anrufe, legt sie auf. Ich bete für meinen jüngeren Sohn, jede Nacht. Jeden Morgen sind meine Augen verquollen.

In der evangelisch-freikirchlichen Gemeinde habe ich mit den anderen darüber gesprochen. Sie beten für meine Familie. Dort fühle ich mich endlich geborgen. Diese Leute hören mir zu und verurteilen mich nicht. Wenn ich jetzt weine, dann schäme ich mich nicht mehr. Ich weiß, Gott liebt auch die Schwachen.

Das hilft mir in meinem Alltag als alleinerziehender Vater. Denn ich möchte meinem Sohn so ein Vater sein, wie ich ihn mir als Kind gewünscht habe. Er soll auch bessere Chancen haben, als ich sie hatte. Er lernt jetzt Klavier in der Volkshochschule. Ich will nicht, dass er auf der Straße ist. Wenn ich nachmittags mal früher von der Arbeit als Sozialbetreuer bei den "Kiezvätern" komme, gehen wir zusammen in die Stadtbibliothek. Er ist sehr ernst. In der Schule nennen sie ihn "Streber". Aber in den Bewertungen der Lehrer steht nur Gutes über ihn: Bei Hilfsbereitschaft, Selbstständigkeit und respektvollem Umgang haben sie ihm die Note "sehr gut" gegeben.

Bald werde ich meine Taufe bekanntgeben. Durch sie werde ich symbolisch sterben und dann wieder auferstehen. Alle schlechten Erfahrungen kann ich dann hinter mir lassen. Das ist wie eine Neugeburt in Deutschland.

Protokoll: Isabella Kroth

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