Dieses Ehrenamt macht Oliver Frey glücklich. Auch wenn es dauerte, bis das Kind auftaute.
Tim Wegner
07.10.2010

Natürlich habe ich auch in meinem Beruf mit Menschen zu tun, ich bin Ingenieur für Systemdynamik und numerische Mathematik. Aber ich wollte mehr, etwas Ehrenamtliches. Ich stellte mir vor, dass ich mit einem älteren Herrn, der keine Familie mehr hat, einmal die Woche Schach spielen könnte oder Museen angucken. Im Internet fand ich nur die umgekehrte Variante: dass Senioren was für Jugendliche tun. Die Alten können offensichtlich gut für sich selber sorgen. Dafür stieß ich bei der Suche auf "Big Friends for Youngsters". Und weil ich selbst ein Trennungskind bin, konnte ich mir gut vorstellen, solch eine Patenschaft für einen Jungen zu übernehmen, der gut einen großen Freund brauchen kann.

Was mache ich, wenn der Junge Grenzen austestet oder einfach abhaut?

Ich hatte natürlich auch Befürchtungen: dass das ein Junge ist, der auf nichts Bock hat, der meine Grenzen austestet, mitten in der Stadt einfach abhaut ... Was mache ich dann? Ich habe ja Verantwortung, auch wenn ich nicht weisungsbefugt bin. Aber Florian ist sehr vernünftig. Und still. Beim ersten Treffen mit der Mutter und ihren drei Söhnen haben mich die beiden Kleinen mit 1000 Fragen gelöchert. Florian hat lieber zugehört. Ich hab ihn gleich gemocht. Ich war als Kind auch recht still und vorsichtig.

In der Woche darauf haben wir uns dann alleine getroffen. Er hat mich artig begrüßt, mit einem verlegenen Händedruck. Ich war auch verlegen. Wir sind dann einfach in den Park und haben Indiaca gespielt. In den Pausen erzählte er mir von seiner Klasse. Die nächsten Male waren wir zum Beispiel bei einer Führung durch einen alten Luftschutzbunker und in einer Aussstellung über Reiternomaden.

Manchmal driftet Florian ein bisschen in Gedanken ab, dann weiß ich nicht: Langweilt er sich? Oder denkt er über was nach, was ich gesagt habe? Macht er sich Sorgen über etwas? Die Mutter hatte mir zwar gesagt, dass Florian sehr verschlossen sein kann, aber am Anfang hat mich das doch verunsichert. Mittlerweile bin ich da gelassener geworden. Ich muss nicht unbedingt rauskriegen, was ist.

Er fängt an zu erzählen, wenn ihn was beschäftigt. Indirekt meist.

Und ich habe das Gefühl, dass er anfängt zu erzählen, wenn ihn was beschäftigt. Indirekt meist. So wie neulich, als er fast beiläufig erwähnte, dass er wegen seines leukämiekranken Vaters bei der Knochenmarktypisierung war. Er hat das nicht weiter vertieft. Mir ist wichtig, dass er spürt: Er kann alles ansprechen, aber er muss nicht. Ich bin für ihn da, aber er hat mir gegenüber keine Verpflichtungen.

Meine eigenen Eltern haben sich nach der Scheidung sehr angestrengt, dass sie ihren Konflikt nicht auf uns Kinder übertragen. Und so war mein Vater fast jedes Wochenende entweder bei uns oder wir bei ihm. Das war sehr schön. Aber ich hatte oft das Gefühl, ich muss jetzt glücklich sein, sonst ist mein Vater traurig. Wo er sich doch extra Zeit nimmt.

Florian soll nicht denken, dass er mich bei der Stange halten muss. Er muss sich nicht verstellen. Ich mich auch nicht. Er hat nämlich ein feines Gespür dafür, wann ich mich sicherer gebe, als ich bin. Wir dürfen beide so sein, wie wir uns gerade fühlen. Und manchmal fühlen wir uns sehr albern.

Ich bin so was wie ein Wahlverwandter.

Ich bin so was wie ein Wahlverwandter. Ich verdränge den Vater nicht. Ich erziehe Florian auch nicht. Aber ich hoffe, dass ich ihm in manchem ein Vorbild sein kann. Als wir mal im Café Eis aßen, linste er zum Fernseher, wo die Frauenfußball-WM lief. Er sagte, dass die Frauennationalmannschaft auf jeden Fall gegen die Männernationalmannschaft verlieren würde. Da habe ich ihm schon gesagt, dass ich das anders sehe.

Neulich hat mir die Mutter erzählt, dass Florian viel ausgeglichener und offener wirkt, wenn er von den Treffen zurückkommt. Das hat mich glücklich gemacht. Und jetzt hat er mich zum Leichtathletikfest seines Vereins eingeladen. Ich empfinde es als große Ehre, dass er sich mit mir in der Öffentlichkeit zeigen will, dass es ihm nicht peinlich ist vor seinen Kameraden. Ich glaube, Florian taut auf. 

Protokoll: Christine Holch

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